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Partita 2

Tanzstück von Anne Teresa De Keersmaeker

Musik von Johann Sebastian Bach (Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine Solo)

Aufführungsdauer: ca. 1h 10' (keine Pause)

Premiere in der Jahrhunderthalle Bochum am 15. September 2013
(rezensierte Aufführung: 16.9.2013)

Logo: Ruhrtriennale 2012

Ein flüchtiger Versuch, Bach zu erobern

von Stefan Schmöe

Zu den prägenden Gestalten der Ruhrtriennale-Jahrgänge 2012 und 2013 gehören die Choreographen Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz – die Belgierin, Jahrgang 1960, hatte im vorigen Jahr mit ihrer Compagnie ROSAS in En Atendant und Cesena das Dämmerlicht des Sonnenunter- und folgenden –aufgangs im Historienspiegel des Mittelalters thematisiert (in diesem Jahr wir sie noch ihr Stück Vortex temporum präsentieren), der Franzose, Jahrgang 1973, stellte in Enfant Kinder und Maschinen in ein rätselhaftes Spannungsverhältnis und zeigte in diesem Jahr in Levée des conflits eine fast skulpturale Choreographie aus zeitversetzt ablaufenden identischen Bewegungsfolgen. Begegnet waren sich die beiden Künstler bereits 2010 in Avignon, und dort entstand die Idee zu einem gemeinsamen Projekt: Bachs d-Moll-Partita für Violine solo als Grundlage für einen pas de deux zweier in ihrer Ästhetik doch recht unterschiedlicher Künstler. Der internationale Festivalzirkus bringt es mit sich, dass solche Produktionen von einem Ort zum nächsten gereicht werden – Premiere hatte das etwas mehr als eine Stunde kurze Stück im Mai beim kunstenfestival in Brüssel und ist nun nach verschiedenen Zwischenstationen bei der Ruhrtriennale in Bochum angekommen.


Vergrößerung in neuem Fenster Foto © Herman Sorgeloos

Die Choreographie, für die laut Programmheft Anne Teresa De Keersmaeker verantwortlich ist, in der man aber auch viel vom Stil Charmatz' spürt, balanciert die Individualität beider Tänzer sehr schön aus. Auf der einen Seite Keersmaekers zwar unakademische, aber eher strenge und kunstvoll durchchoreographierte Raumbeherrschung, auf der anderen Charmatz' jugendlich-direkt ansprechende, mitunter fast schon untänzerisch sportliche Bewegungssprache. Das spiegelt sich auch in den Kostümen (Anne-Catherine Kurz) wieder, die so gar nicht nach Kostüm aussehen: Sie im schwarzen Kleid mit bunten Turnschuhen, er im Sportzeug. Dazu Geigerin Amadine Beyer in Alltagskleidung, etwa am hinteren Schnittpunkt mehrerer ineinander verschlungener Kreise stehend und ein Kraftzentrum, um das die Tänzer kreisen.


Vergrößerung in neuem Fenster Foto © Herman Sorgeloos

Zunächst sieht man jedoch gar nichts: In fast völliger Dunkelheit beginnt Amadine Beyer die Partita BWV 1004, wegen der das Werk beschließenden und alle Gattungsgrenzen sprengenden Ciaccona eines der Heiligtümer aller Musik. Beyer spielt unpathetisch, geht oft flüchtig über die kurzen Noten hinweg, gibt dem Werk trotz der exorbitanten technischen Schwierigkeiten eine gewisse Leichtigkeit. Kurz vor dem Finalsatz bricht die Musik ab, und mit der einsetzenden Beleuchtung treten De Keersmaeker und Charmatz auf – fast wie zwei übermütige Kinder, die übermütig herumspringen, mit den knirschenden Geräuschen der Schuhsohlen als Begleitmusik. Was folgt, ist das tänzerische Vokabular, das – hier noch unbegleitet – später mit der noch einmal (und dann vollständig) gespielten Partita verschmelzen wird. Diese doppelte Exposition, getrennt nach Musik und Tanz, hat auch etwas von einem work in progress, bezieht den Entstehungsprozess in die Aufführung ein. Somit zeigt Partita 2, wie zwei Tänzer sich Bachs Musik aneignen, damit umgehen, sie in den Raum tragen und wie dabei, trotz der überirdischen Musik, der Mensch im Mittelpunkt bleibt.


Vergrößerung in neuem Fenster Foto © Herman Sorgeloos

Was zuerst noch aussieht wie in einer Probe, verändert trotz der formal unveränderten Figuren und Bewegungsabläufe seinen Charakter, sobald es mit der Musik zusammenkommt. Bereits in der einleitenden Allemande wird deutlich, wie stark verdichtet diese Musik ist und wie genau die Choreographie den schnellen Stimmungsumschwüngen folgt, Sprünge der Tänzer etwa mit den Aufschwüngen der Violine korrespondieren, das scheinbar Übermütige einem Plan folgt (und doch seine Unmittelbarkeit behält). De Keersmaeker und Charmatz zeichnen aber nicht einfach die Stimmung nach, ein psychologisierendes Ballett ist Partita 2 schon gar nicht, und auch die spieltechnischen Anforderungen werden nicht widergespiegelt in technischen Anforderungen an die Tänzer.

Der Tanz bleibt autonom, greift aber die Charakteristika der Tanzsätze auf. In der Sarabande etwa sieht man eine zärtlich-elegante Annäherung der beiden, in der noch entfernt der höfische Charakter der Suite mitschwingt. Die Ciaccona mit ihren 32 kurzen Variationen ist entsprechend kleinteilig choreographiert. Es gibt eine Szene, da umkreist Charmatz seine am Boden liegende Partnerin, die mit ihren Füßen den Kontakt zu seinen Schuhen sucht, sich am Boden mitdreht. In einer anderen Szene legt er sich auf ihren Rücken, lässt sich ziehen, die Füße nachschleifend. Das sind berührende, gleichzeitig unpathetische Momente. Es bleibt ein Hauch von Improvisation. Am Ende laufen De Keersmaeker und Chramatz in einem schmalen Lichtstrahl davon, wie zwei Kinder, deren Spiel plötzlich aufhört. Kein großes Finale, ein eher offenes, nachdenkliches Ende, mit dem das Publikum zurück bleibt.


FAZIT

Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz verweigern Bachs großer Partita das existenzielle Pathos und machen daraus ein leichtes und doch gewichtiges, sehr menschliches Tanzstück.




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Produktionsteam

Choreographie
Anna Teresa de Keersmaeker

Mitarbeit
George Alexander Van Dam

Ausstattung
Michel François

Kostüme
Anne-Catherine Kunz


Violine
Amandine Beyer


Tänzer

Anna Teresa de Keersmaeker
Boris Charmatz




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