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Salzburger Festspiele 2013

Gawain
Oper in zwei Akten
Libretto von David Harsent nach der anonymen mittelenglischen Romanze Sir Gawain and the Green Knight
Musik von Harrison Birtwistle (*1934)


In englischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)


Premiere am 26. Juli 2013 in der Felsenreitschule
(rezensierte Aufführung: 2. August 2013 - dritte Aufführung)

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Salzburger Festspiele
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Der berühmte Künstler Joseph Beuys erteilt eine Kunststunde zum Thema Endzeit, weiß aber auch nicht weiter

Von Stefan Schmöe / Fotos von den Salzburger Festspielen, © Ruth Walz

Die Ritter der Tafelrunde sind ziemlich heruntergekommen. König Arthus hat seinen Hof - die letzten Überlebenden in einer Welt, die von der Natur zurück erobert wird - in einen Bunker verlegt. Unter einem trostlosen Weihnachtsbaum, der längst die letzte Nadel verloren hat, herrscht brutaler Kannibalismus. Wenn dort ein geheimnisvoller grüner Ritter Einlass begehrt, dann steht dieses grün für ein Wesen aus einer anderen, von Moosen und Pflanzen überwucherten, von Menschen entvölkerten Welt. Im Jahr 2021, in das Regisseur Alvis Hermanis die Handlung verlegt hat, ist die Öko-Katastrophe Wirklichkeit geworden.

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Wir schreiben das Jahr 2021, und im Bunker herrscht unter den letzten Überlebenden Endzeitstimmung:

Harrison Birthwistles Oper Gawain, entstanden 1991 und 1994 und 1999 revidiert, basiert auf einem mittelenglischen Epos, das an die Arthus-Sage anknüpft. Ein unbekannter grüner Ritter bietet an, sich wehrlos köpfen zu lassen, wenn sein Gegner bereit ist, sich ein Jahr später seinerseits von ihm, dem grünen Ritter, köpfen zu lassen. Gawain nimmt das rätselhafte Spiel an, köpft den Ritter – und wird durch den Geköpften noch einmal an die Spielregel erinnert. Ein Jahr später trifft er nahe des Ortes, an dem der grüne Ritter auf ihn wartet, auf Bertilak de Hautdesert und dessen Frau, die dem auch wegen seiner Liebeskunst legendären Gawain verfällt. Auch Bertilak bietet Gawain ein Spiel an: Drei Tage lang wollen beide am Abend austauschen, was sie am Tag erbeutet haben. An zwei Abenden übergibt Gawain die Küsse, die er von der Hausherrin erhalten hat, am dritten schenkt diese ihm eine unverwundbar machende Schärpe – die aber händigt Gawain nicht aus und hintergeht so Bertilak. Als sich Gawain dem grünen Ritter stellt, schützt ihn die Schärpe, der grüner Ritter gibt sich als Bertilak zu erkennen und lässt ihn ziehen. Im Bewusstsein, nicht der erhoffte Held zu sein und dem eigenen Ehrenkodex nicht zu entsprechen, zieht Gawain zurück an den Arthushof.


Vergrößerung in neuem Fenster Gawain (bzw. der junge Joseph Beuys) und der grüne Ritter

Birthwistles an vielen Stellen ritualhaft strukturiertes Werk ist um den Gegensatz von christlicher und heidnischer Sphäre konstruiert. Der Regisseur deutet dies um in eine untergehende Sphäre der Kultur und eine Sphäre der Natur. So weit ist das Konzept plausibel, im von Hermanis selbst konzipierten, eindrucksvollen Breitwandbühnenbild in der Felsenreitschule mit Bunker links, vermoosten Autowracks rechts auch wirkungsvoll. Gawain ist für ihn ein Mittler zwischen den Welten – oder zumindest einer, der es versucht. Insofern ist es schlüssig, Gawain als Küntleroper und den Titelhelden als Künstler aufzufassen. Hermanis aber hat ganz konkret einen bestimmten Künstler im Auge, und zwar Joseph Beuys, und selbst das ist an sich noch nachvollziehbar. Dass aber der imposant heldenbaritonal singende Christopher Maltmann unter der Filzkutte heraushüpft wie der leibhaftige Beuys, das macht die Sache dann doch problematisch, denn von nun an erleben wir allerlei Beuys'sche Kunstaktionen als Bebilderung der Musik, so etwa „wie man dem toten Hasen Bilder erklärt“ (Düsseldorf 1965) oder den Aufbau der Installation „Das Rudel“ (1970). Ein besonders guter Kuntkenner muss man übrigens nicht sein, um die etlichen Bildzitate zu erkennen – vorsichtshalber steht ganz viel dazu im Programmheft.

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Die andere Welt - Morgan le Fay, Lady Hautdesert und Bertilak de Hautdesert, gleichzeitig der geheimnisvolle grüne Ritter

Die Idee hat manches für sich, die Querverbindungen zu Beuys sind zweifellos erhellend, aber die plakative Überdeutlichkeit tut dem Werk nicht gut. Solchermaßen enthüllt, wirkt die Figur des Gawain durchschaut und rätsellos, Übervater Beuys dominiert allzu sehr das Geschehen. Mit allem, was nicht zu dieser Deutung passt, weiß die Regie nicht viel anzufangen – auch nicht mit der heimliche Hauptfigur, die geheimnisvolle Morgan le Fay (in ihren unendlichen melismatischen Linien von Laura Aikin mit berückenden Tönen ausgestattet), die wie eine Spielleiterin das Geschehen kommentiert, die Figuren zu lenken scheint. Ist das die Stimme der Natur? Dazu muss man die Texte schon ziemlich pauschal ausblenden. Vor allem aber der Schluss bleibt ziemlich unbefriedigend. Ach, Joseph Beuys kann gar nicht die Welt retten? Ist nicht der ersehnte Superheld, dessen Portrait am Arthushof inzwischen quasi angebetet wird? Nun ja: Ob im Festspielpublikum sich auch nur ein einziger Besucher zu der Behauptung verstiegen hätte, Joseph Beuys sei ein solcher Ersatzheiliger, das erscheint dann doch fraglich.

Hätte Hermanis es bei assoziativen Andeutungen belassen, hätte es ein großer Abend werden können – so ist es ein interessanter, teils spannender und anregender, stellenweise banaler. Das nervende Dauergezappel der Statisterie hätte ebenso gestrichen werden sollen wie ein Video mit Bildern einer Überschwemmung, das zwar eindrucksvoll die Gewalt der Natur zeigt, in seinen spektakulären Bildern aber viel zu sehr ablenkt vom eigentlichen Geschehen. Die Kostüme (Eva Desecker) dürften differenzierter, weniger plakativ sein. Die ritualisierten Szenen könnten ritualhafter dargestellt werden (ja, ja, bei Beuys ist natürlich fast alles irgendwie Ritual, aber wir sind hier im Theater), müssten erkennbar genauer auf die Musik eingehen.


Vergrößerung in neuem Fenster Der Held, der dann doch keiner ist: Gawain, umringt, rechts Guinever und (im Rollstuhl) Arthus

Diese Musik ist in ihrer registerartigen Schichtung von Liegeklängen und vetrackten rhythmischen Strukturen fesselnd und wird vom ORF-Symphonieorchester unter der Leitung von Ingo Metzmacher ganz hervorragend umgesetzt, intensiv in jedem Detail, oft geradezu körperlich erfahrbar in der Wucht des Schlagwerks. Gesungen wird nicht nur von den schon genannten Laura Aikin und Christopher Maltmann ganz ausgezeichnet, sondern auch von dem charismatischen, in der Höhe etwas dünnen, in Basstiefen sehr präsenten John Tomlinson als Grüner Ritter und Bertilak, vom charakterscharf alle Tenorhöhen meisternden Jeffrey Lloyd-Roberts als Arthus im Rollstuhl, von den beiden sehr souveränen jugendlich-dramatischen Sopranen Gun-Brit Barkmin als Königsgattin Guinevre und Jennifer Johnston als Lady de Hautdesert sowie von Countertenor Andrew Watts als Bischof, Brian Galliford als Narr, Ivan Ludlow als Agravain und Alexandeer Sprague als Ywain, letztere Gestalten am Hofe Arthus'. Der Salzburger Bachchor (Einstudierung Alois Glassner) bleibt unsichtbar, singt aber ausgesprochen klangschön. Die 14 Schauspielerinnen und Schauspieler können nichts für den hyperaktiven Unsinn, den sie da veranstalten müssen.


FAZIT

Was hätte Joseph Beuys wohl dazu gesagt, dass er ausgerechnet bei den Salzburger Festspielen als Opernfigur zu bildungsbürgerlichen Bühnenehren kommt? Seine Vereinnahmung durch die Regie von Alvis Hermanis gerät leider allzu vordergründig und eindeutig. Trotzdem wirft dieser musikalisch festspielreife, als Stück unbedingt sehens-und hörenswerte Gawain auch produktive Fragen auf.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung und Bühne
Alvis Hermanis

Kostüme
Eva Dessecker

Licht
Gleb Filshtinsky

Mitarbeit Regie
Gudrun Hartmann

Mitarbeit Bühnenbild
Uta Gruber-Balleh

Videodesign
Multimedia design studio "RAKETAMEDIA", Moskau

Chor
Alois Glaßner



Salzburger Bachchor

ORF Radio-Symphonieorchester Wien


Solisten

Gawain
Christopher Maltman

The Green Knight/Bertilak de Hautdesert
John Tomlinson

Morgan le Fay
Laura Aikin

Lady de Hautdesert
Jennifer Johnston

King Arthur
Jeffrey Lloyd-Roberts

Guinevere
Gun-Brit Barkmin

Bishop Baldwin
Andrew Watts

A Fool
Brian Galliford

Agravain
Ivan Ludlow

Ywain
Alexander Sprague

Schauspieler
Miriam Birkl
David Dumas
Benedikt Flörsch
Anna-Sophie Fritz
Rupert Grössinger
Ludwig Hohl
Nikolaij Janocha
Anna Maria Rieser
Vasslissa Reznikoff
Elisabeth Therstappen
Alexander Tröger
Silvana Veit
Jarek Widuch
Sarah Zaharanski


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