Der berühmte Künstler Joseph Beuys erteilt eine Kunststunde zum Thema Endzeit, weiß aber auch nicht weiter
Von Stefan Schmöe
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Fotos von den Salzburger Festspielen, © Ruth Walz
Die Ritter der Tafelrunde sind ziemlich heruntergekommen. König Arthus hat seinen Hof - die letzten Überlebenden in einer Welt, die von der Natur zurück erobert wird - in einen Bunker verlegt. Unter einem trostlosen Weihnachtsbaum, der längst die letzte Nadel verloren hat, herrscht brutaler Kannibalismus. Wenn dort ein geheimnisvoller grüner Ritter Einlass begehrt, dann steht dieses grün für ein Wesen aus einer anderen, von Moosen und Pflanzen überwucherten, von Menschen entvölkerten Welt. Im Jahr 2021, in das Regisseur Alvis Hermanis die Handlung verlegt hat, ist die Öko-Katastrophe Wirklichkeit geworden.
Wir schreiben das Jahr 2021, und im Bunker herrscht unter den letzten Überlebenden Endzeitstimmung:
Harrison Birthwistles Oper Gawain, entstanden 1991 und 1994 und 1999 revidiert, basiert auf einem mittelenglischen Epos, das an die Arthus-Sage anknüpft. Ein unbekannter grüner Ritter bietet an, sich wehrlos köpfen zu lassen, wenn sein Gegner bereit ist, sich ein Jahr später seinerseits von ihm, dem grünen Ritter, köpfen zu lassen. Gawain nimmt das rätselhafte Spiel an, köpft den Ritter und wird durch den Geköpften noch einmal an die Spielregel erinnert. Ein Jahr später trifft er nahe des Ortes, an dem der grüne Ritter auf ihn wartet, auf Bertilak de Hautdesert und dessen Frau, die dem auch wegen seiner Liebeskunst legendären Gawain verfällt. Auch Bertilak bietet Gawain ein Spiel an: Drei Tage lang wollen beide am Abend austauschen, was sie am Tag erbeutet haben. An zwei Abenden übergibt Gawain die Küsse, die er von der Hausherrin erhalten hat, am dritten schenkt diese ihm eine unverwundbar machende Schärpe die aber händigt Gawain nicht aus und hintergeht so Bertilak. Als sich Gawain dem grünen Ritter stellt, schützt ihn die Schärpe, der grüner Ritter gibt sich als Bertilak zu erkennen und lässt ihn ziehen. Im Bewusstsein, nicht der erhoffte Held zu sein und dem eigenen Ehrenkodex nicht zu entsprechen, zieht Gawain zurück an den Arthushof.
Gawain (bzw. der junge Joseph Beuys) und der grüne Ritter
Birthwistles an vielen Stellen ritualhaft strukturiertes Werk ist um den Gegensatz von christlicher und heidnischer Sphäre konstruiert. Der Regisseur deutet dies um in eine untergehende Sphäre der Kultur und eine Sphäre der Natur. So weit ist das Konzept plausibel, im von Hermanis selbst konzipierten, eindrucksvollen Breitwandbühnenbild in der Felsenreitschule mit Bunker links, vermoosten Autowracks rechts auch wirkungsvoll. Gawain ist für ihn ein Mittler zwischen den Welten oder zumindest einer, der es versucht. Insofern ist es schlüssig, Gawain als Küntleroper und den Titelhelden als Künstler aufzufassen. Hermanis aber hat ganz konkret einen bestimmten Künstler im Auge, und zwar Joseph Beuys, und selbst das ist an sich noch nachvollziehbar. Dass aber der imposant heldenbaritonal singende Christopher Maltmann unter der Filzkutte heraushüpft wie der leibhaftige Beuys, das macht die Sache dann doch problematisch, denn von nun an erleben wir allerlei Beuys'sche Kunstaktionen als Bebilderung der Musik, so etwa wie man dem toten Hasen Bilder erklärt (Düsseldorf 1965) oder den Aufbau der Installation Das Rudel (1970). Ein besonders guter Kuntkenner muss man übrigens nicht sein, um die etlichen Bildzitate zu erkennen vorsichtshalber steht ganz viel dazu im Programmheft.
Die andere Welt - Morgan le Fay, Lady Hautdesert und Bertilak de Hautdesert, gleichzeitig der geheimnisvolle grüne Ritter
Die Idee hat manches für sich, die Querverbindungen zu Beuys sind zweifellos erhellend, aber die plakative Überdeutlichkeit tut dem Werk nicht gut. Solchermaßen enthüllt, wirkt die Figur des Gawain durchschaut und rätsellos, Übervater Beuys dominiert allzu sehr das Geschehen. Mit allem, was nicht zu dieser Deutung passt, weiß die Regie nicht viel anzufangen auch nicht mit der heimliche Hauptfigur, die geheimnisvolle Morgan le Fay (in ihren unendlichen melismatischen Linien von Laura Aikin mit berückenden Tönen ausgestattet), die wie eine Spielleiterin das Geschehen kommentiert, die Figuren zu lenken scheint. Ist das die Stimme der Natur? Dazu muss man die Texte schon ziemlich pauschal ausblenden. Vor allem aber der Schluss bleibt ziemlich unbefriedigend. Ach, Joseph Beuys kann gar nicht die Welt retten? Ist nicht der ersehnte Superheld, dessen Portrait am Arthushof inzwischen quasi angebetet wird? Nun ja: Ob im Festspielpublikum sich auch nur ein einziger Besucher zu der Behauptung verstiegen hätte, Joseph Beuys sei ein solcher Ersatzheiliger, das erscheint dann doch fraglich.
Hätte Hermanis es bei assoziativen Andeutungen belassen, hätte es ein großer Abend werden können so ist es ein interessanter, teils spannender und anregender, stellenweise banaler. Das nervende Dauergezappel der Statisterie hätte ebenso gestrichen werden sollen wie ein Video mit Bildern einer Überschwemmung, das zwar eindrucksvoll die Gewalt der Natur zeigt, in seinen spektakulären Bildern aber viel zu sehr ablenkt vom eigentlichen Geschehen. Die Kostüme (Eva Desecker) dürften differenzierter, weniger plakativ sein. Die ritualisierten Szenen könnten ritualhafter dargestellt werden (ja, ja, bei Beuys ist natürlich fast alles irgendwie Ritual, aber wir sind hier im Theater), müssten erkennbar genauer auf die Musik eingehen.
Der Held, der dann doch keiner ist: Gawain, umringt, rechts Guinever und (im Rollstuhl) Arthus
Diese Musik ist in ihrer registerartigen Schichtung von Liegeklängen und vetrackten rhythmischen Strukturen fesselnd und wird vom ORF-Symphonieorchester unter der Leitung von Ingo Metzmacher ganz hervorragend umgesetzt, intensiv in jedem Detail, oft geradezu körperlich erfahrbar in der Wucht des Schlagwerks. Gesungen wird nicht nur von den schon genannten Laura Aikin und Christopher Maltmann ganz ausgezeichnet, sondern auch von dem charismatischen, in der Höhe etwas dünnen, in Basstiefen sehr präsenten John Tomlinson als Grüner Ritter und Bertilak, vom charakterscharf alle Tenorhöhen meisternden Jeffrey Lloyd-Roberts als Arthus im Rollstuhl, von den beiden sehr souveränen jugendlich-dramatischen Sopranen Gun-Brit Barkmin als Königsgattin Guinevre und Jennifer Johnston als Lady de Hautdesert sowie von Countertenor Andrew Watts als Bischof, Brian Galliford als Narr, Ivan Ludlow als Agravain und Alexandeer Sprague als Ywain, letztere Gestalten am Hofe Arthus'. Der Salzburger Bachchor (Einstudierung Alois Glassner) bleibt unsichtbar, singt aber ausgesprochen klangschön. Die 14 Schauspielerinnen und Schauspieler können nichts für den hyperaktiven Unsinn, den sie da veranstalten müssen.
FAZIT
Was hätte Joseph Beuys wohl dazu gesagt, dass er ausgerechnet bei den Salzburger Festspielen als Opernfigur zu bildungsbürgerlichen Bühnenehren kommt? Seine Vereinnahmung durch die Regie von Alvis Hermanis gerät leider allzu vordergründig und eindeutig. Trotzdem wirft dieser musikalisch festspielreife, als Stück unbedingt sehens-und hörenswerte Gawain auch produktive Fragen auf.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher
Inszenierung und Bühne
Alvis Hermanis
Kostüme
Eva Dessecker
Licht
Gleb Filshtinsky
Mitarbeit Regie
Gudrun Hartmann
Mitarbeit Bühnenbild
Uta Gruber-Balleh
Videodesign
Multimedia design studio "RAKETAMEDIA", Moskau
Chor
Alois Glaßner
Salzburger Bachchor
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Solisten
Gawain
Christopher Maltman
The Green Knight/Bertilak de Hautdesert
John Tomlinson
Morgan le Fay
Laura Aikin
Lady de Hautdesert
Jennifer Johnston
King Arthur
Jeffrey Lloyd-Roberts
Guinevere
Gun-Brit Barkmin
Bishop Baldwin
Andrew Watts
A Fool
Brian Galliford
Agravain
Ivan Ludlow
Ywain
Alexander Sprague
Schauspieler
Miriam Birkl David Dumas Benedikt Flörsch Anna-Sophie Fritz Rupert Grössinger Ludwig Hohl Nikolaij Janocha Anna Maria Rieser Vasslissa Reznikoff Elisabeth Therstappen Alexander Tröger Silvana Veit Jarek Widuch Sarah Zaharanski
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