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Musikfestspiele
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Salzburger Pfingstfestspiele
17.05.2013 - 20.05.2013

Les Noces (Die Hochzeitsfeier)

Scènes chorégraphiques russes avec chant et musique
in der Choreographie der Uraufführung (1923) von Bronislava Nijinska mit dem Bühnenbild und Kostümen von Natalia Gontcharova

Le Sacre du printemps (Das Frühlingsopfer)

Tableaux de la Russie païenne
in der Choreographie der Uraufführung (1913) von Vaslav Nijinsky mit dem Bühnenbild und Kostümen von Nicholas Roerich

L'Oiseau de feu (Der Feuervogel)

in der Choreographie der Uraufführung (1910) von Michel Fokine in einer Ausstattung nach Michel Fokine, Alexander Golovin und Léon Bakst
Musik von Igor Strawinsky

Aufführungsdauer: ca. 3 h (zwei Pausen)

Premiere im Großen Festspielhaus am 18. Mai 2013

 

 

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Drei Klassiker im "Originalgewand"

Von Thomas Molke / Fotos von Natasha Razina

Wenn die Salzburger Pfingstfestspiele unter dem Motto "Opfer" stehen, darf natürlich Igor Strawinskys berühmtes Le Sacre du printemps nicht fehlen, zumal dieses "Gründungsdokument" der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts in diesem Jahr auch noch seinen 100. Geburtstag feiert. Wenn man ferner bemüht ist, altbekannte Werke in rekonstruierten Originalfassungen zu präsentieren, verwundert es außerdem nicht, dass man Valery Gergiev mit dem Ballett und Orchester des Mariinski-Theaters aus St. Petersburg eingeladen hat, da man es sich dort zur Aufgabe gemacht hat, in der Choreographie und Ausstattung der Uraufführung großer Werke des Ballett-Repertoires möglichst nahe zu kommen. Schließlich wurde die berühmte Compagnie Ballets Russes, die mit Strawinskys Werken unter dem legendären Impresario Serge Diaghilev das Tanztheater erneuerte und in die Moderne führte, in St. Petersburg gegründet, so dass man hier ein durchaus berechtigtes Interesse an der Pflege alter Tradition haben dürfte. Mag den Verfechtern des Modernen Tanztheaters dieser Ansatz auch museal anmuten, so gibt es sicherlich genügend Ballettfreunde, die dankbar dafür sind, eine Aufführung so zu erleben, wie sie ursprünglich gedacht war. Zumindest hatten sich diese Anhänger am Pfingstsamstag im Großen Festspielhaus versammelt.

Um den Abend in eine gewisse Relation zum Eintrittspreis zu stellen, hat man Le Sacre mit zwei weiteren Werken kombiniert, die Strawinsky ebenfalls für die Ballets Russes komponierte. Die Darbietung folgt dabei allerdings nicht in zeitlicher Reihenfolge der Entstehung, sondern endet mit L'Oiseau de feu, einem klassischen Handlungsballett, das zum einen den Ruhm der Ballets Russes endgültig manifestierte und zugleich Strawinskys Weltkarriere in Gang setzte. Den Anfang macht folglich Les Noces, ein Werk, das als letztes der drei präsentierten Stücke 1923 seine Uraufführung in Paris erlebte, von Strawinsky aber im Wesentlichen in den Jahren 1914 bis 1917, also ziemlich zeitnah an Le Sacre komponiert worden war. Statt einer fortschreitenden Handlung nimmt es in einer Aneinanderreihung von Szenen traditionelle russische Hochzeitsbräuche in den Blick. Die Rituale, die sich dabei bei der Vorbereitung der Hochzeit im ersten Teil und bei der Hochzeit selbst im zweiten Teil abspielen, stellen im weiteren Sinn eine Verbindung zum Thema der diesjährigen Festspiele dar. Originell ist hierbei die Orchesterbesetzung, die aus vier Klavieren und diversen Schlaginstrumenten besteht und ein spürbar hartes und nur wenig geschmeidiges Klangbild erzeugt, bei dem wie bei Le Sacre das Rhythmische über das Melodische dominiert.

Die Ausstattung von Boris Kaminsky (Bühnenbild) und Tatiana Noginova (Kostüme), die dem Originalentwurf von Natalia Gontcharova nachempfunden ist, bildet mit den recht einfach gehaltenen Kostümen in Weiß und Braun eine bäuerliche Atmosphäre ab,  wie man sie sich gut auf dem weiten russischen Land fernab jeglicher Metropolen vorstellen kann. Das Bühnenbild zeigt im ersten Teil zunächst einen grauen Prospekt mit einem einsamen Fenster. Hier wird die Braut (Maria Shevyakova) von den Brautjungfern für die Hochzeit zurechtgemacht. Aus dem Orchestergraben erklingt der Damenchor, der versucht, der Braut die Furcht zu nehmen. Dabei sind die Tänzerinnen fortwährend mit den Haaren der Braut beschäftigt, die als zwei lange geflochtene Zöpfe durch alle Hände gehen und schließlich um die Arme der Braut gewickelt werden. Während dieser Zeremonie stehen Mutter und Vater der Braut (Soslan Kulaev und Elena Bazhenova) nahezu unbeteiligt am rechten vorderen Bühnenrand. Der Tanz besteht größtenteils aus rhythmischen Sprüngen, die die Compagnie in atemberaubender Präzision und Homogenität zum pulsierenden Schlag der Musik umsetzt.

Das Bühnenbild beim Bräutigam ist mit einem Prospekt in Erdtönen ein wenig freundlicher gehalten, wenn auch nicht weniger kahl. Die Rituale, die sich hier abspielen, sind mit dem ersten Bild vergleichbar. Auch der Bräutigam (Ivan Sitnikov) muss von seinen Freunden auf die bevorstehende Hochzeit vorbereitet werden. Seine Eltern (Fedor Lopukhov und Olga Balinskaya) stehen getrennt auf unterschiedlichen Seiten am vorderen Bühnenrand. Beim Hochzeitsmahl im zweiten Teil sitzen die Familien erhöht im Hintergrund, während die Compagnie im vorderen Teil der Bühne als Hochzeitsgesellschaft in rituellen Tänzen das neue Bündnis feiert. Kleine solistische Einlagen wechseln sich mit Ensembles ab, wobei die Brautleute und ihre Familien in ihren Bewegungen recht passiv bleiben, also weit von lebensechten Naturen entfernt sind und nur Archetypen darstellen. So ist der Höhepunkt des Brautpaars kein groß angelegtes Pas de deux, sondern ein einfacher Kuss, der den Weg der Brautleute ins Hochzeitsgemach einleitet.

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Le Sacre du printemps: Ensemble in "Die Anbetung der Erde"

Der zweite Teil des Abends widmet sich dem eigentlichen Kernstück des Abends: Le Sacre du printemps, dem Werk, dessen Uraufführung am 29. Mai 1923 in Paris zwar einen der größten Theaterskandale auslöste, das aber dennoch als ein wahres Jahrhundertwerk in die Geschichte eingehen sollte. Millicent Hodson und Kenneth Archer haben in jahrelangen intensiven Recherchen diese damalige Uraufführung rekonstruiert und wollen so den Beweis antreten, dass der damalige Choreograph Vaslav Nijinsky damit eine neue Tradition des Tanzes geschaffen habe Das Bühnenbild, das Nicolas Roerich nachempfunden ist, zeigt auf einem großen Prospekt eine herrlich bunte Landschaft dar, in der sich das Volk in folkloristischen bunten Kostümen versammelt hat, um dem Frühlingsgott Yarilo gefällig zu sein, damit dieser die Natur mit den Menschen versöhnt und den Winter beendet. Im ersten Teil unter dem Titel "Die Anbetung der Erde" folgen unterschiedliche Tänze der einzelnen Gruppierungen des Volkes, die von einer Hexe (Elena Bazhenova) gelenkt werden, um den Frühlingsgott auch wirklich zu erreichen. Zentrales Element ist hier der pulsierende Rhythmus, den man vor Strawinsky in dieser Urgewalt noch nicht gehört hatte und den das Ensemble in kraftvollen und präzisen Sprüngen in einen rituellen Tanz umsetzt, der beim Betrachter den Atem stocken lässt. Der erste Teil endet mit dem Auftritt eines weisen Alten (Vladimir Ponomarev, der selbst beim Schlussapplaus in der entrückten Pose des alten Mannes verharrt), der in den "Tanz der Erde" übergeht.

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Le Sacre du printemps: Tänzerinnen in "Das Opfer"

Im zweiten Teil unter dem Titel "Das Opfer" sieht man nun einen mystischen Reigen junger Mädchen. Der Prospekt wirkt mit einigen aufsteigenden Erscheinungen mittlerweile ein wenig unheimlich. Beim Tanz im Kreis wird schnell klar, wer die Auserwählte (Daria Pavlenko) ist, da sie mehrere Male zu Boden fällt. Nach anfänglicher Verherrlichung des jungen Mädchens wird diese nun in die Mitte des Reigens genommen und tanzt sich anschließend in kraftvollen Sprüngen und Bewegungen im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode. Der rituelle Charakter wird durch einige Tänzer unterstützt, die im Bärenkostüm auftreten und das Mädchen einkreisen. Dem Ensemble gelingt es auch in diesem Teil, die pulsierende Kraft der Musik hervorragend umzusetzen, und auch Daria Pavlenko begeistert als Auserwählte mit expressivem Tanz.

Der letzte Teil des Abends hat nun eigentlich gar nichts mehr mit dem Thema "Opfer" zu tun. Strawinskys Ballett L'Oiseau de feu, das nach seiner Uraufführung 1910 den jungen russischen Komponisten quasi über Nacht zum Weltstar machte, ist ein märchenhaftes Handlungsballett, das noch wesentlich stärker von verschiedenen traditionellen Einflüssen wie Rimski-Korsakow und Tschaikowski geprägt ist als Strawinskys spätere Kompositionen. Das Märchen handelt von dem jungen Iwan Zarewitsch, der auf der Jagd einen sagenumwobenen Feuervogel fängt. Als er diesem auf dessen inständiges Bitten die Freiheit schenkt, übergibt der Vogel ihm aus Dankbarkeit eine rote Feder, mit der der Zarewitsch den Vogel herbeirufen kann, sollte er einmal in Not geraten. Die Gefahr lässt auch nicht lange auf sich warten. In einem geheimnisvollen Garten entdeckt der Zarewitsch die wunderschöne Zarewna mit 12 weiteren Prinzessinnen. Diese sind Gefangene des unsterblichen Kaschtschej, der ein riesiges Heer von Ungeheuern beherrscht. Bei dem Versuch, die Mädchen zu befreien, unterliegt der Zarewitsch Kaschtschej und seinen Kreaturen und soll getötet werden. Da ruft er mit Hilfe der Feder den Feuervogel herbei, der die Ungeheuer und den bösen Zauberer mit einem Tanz verzaubert und anschließend einschlafen lässt. Dem befreiten Zarewitsch weist er den Weg zu einer verborgenen Truhe, in der sich ein Ei befindet, aus dem Kaschtschej seine Macht bezieht. Der Zarewitsch zerstört das Ei und verbannt somit den Zauberer und seine Kreaturen. Die 12 versteinerten Ritter, die als Mauer Kaschtschejs Schloss umgeben haben, verwandeln sich zurück, und so gibt es am Ende 13 glückliche Paare, die unter Leitung des Zarewitsches und seiner Zarewna ihre wiedergewonnene Freiheit feiern.

So märchenhaft wie die Geschichte ist auch die Ausstattung, die Anna und Anatoly Nezhny den Originalentwürfen von Michel Fokine, Alexander Golovin und Léon Bakst nachempfunden haben. Auf Theaterprospekten in sattem Grün sieht man eine verwunschene Waldgegend, die von einem geheimnisvollen Baum in der Mitte dominiert wird. Das goldene Gitter, das hinter diesem Baum in ein unheimliches Schloss führt, ist auf der linken Seite durch eine gewaltige Steinfront bedeckt, was - wie sich später herausstellt - die verzauberten Ritter sind. Wenn am Ende der Zauber besiegt ist, wird auf einem roten Prospekt ein imposantes Schloss sichtbar, in das der Zarewitsch mit seiner Zarewna in leuchtendem Rot wie eine Art Sonnenkönig einzieht. Auch die übrigen Kostüme lassen in ihrer detailgetreuen, märchenhaften Ausstattung keine Wünsche offen, so dass kritische Stimmen sie vielleicht bereits als kitschig bezeichnen könnten. Aber bei solch einer Erzählung muss auch mal ein bisschen Kitsch erlaubt sein.

Das Ensemble begeistert auch im dritten Ballett des Abends durch absolute Präzision und überwältigenden Spitzentanz. Alexandra Iosifidi versprüht als Titelfigur in ihrem roten Kostüm eine federnde Leichtigkeit in den Sprüngen und flattert nahezu schwerelos über die Bühne. Alexander Romanchikov gibt mit kraftvollen Sprüngen einen überzeugenden Iwan Zarewitsch, der den Kampf mit den bösen Mächten furchtlos aufnimmt. Ekaterina Mikhailovtseva macht die schöne Zarewna mit geschmeidigen fließenden Bewegungen zum Objekt seiner Liebe. Auch die anderen 12 Prinzessinnen überzeugen in ihrem Spiel mit den goldenen Äpfeln durch große Eleganz. Soslan Kulaev verkörpert den bösen Zauberer Kaschtschej mit spinnenartigen Bewegungen, die ihn recht bedrohlich wirken lassen. Wie Vladimir Ponomarev in Le Sacre bleibt auch er während des Schlussapplauses in der Rolle. Das Ensemble läuft in den fantasievollen Kostümen der Ungeheuer im Kampf gegen den Zarewitsch zu regelrechter Höchstform auf. Dass es nach diesem letzten Ballett im Großen Festspielhaus den größten Applaus des Abends gibt, kann zwei Gründe haben. Entweder trifft dieser märchenhafte Ansatz des letzten Teils noch mehr den Publikumsgeschmack als die ersten beiden oder es liegt an Valery Gergiev, der erst nach dem letzten Teil die Bühne betritt und mit regelrechten Ovationen dafür gefeiert wird, wie er das Orchester des Mariinski-Theaters punktgenau und bewegend durch diese musikalisch doch recht abwechslungsreichen Partituren führt.

FAZIT

Das Orchester und Ballett des Mariinski-Theaters werden ihrem Ruf als herausragende Ballettkompanie und erprobter Klangkörper für russische Musik mehr als gerecht.

Weitere Rezensionen zu den Salzburger Pfingstfestspielen 2013

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valery Gergiev

Ballettdirektor
Yuri Fateev

Chorleitung
Andrei Petrenko


 

Ballett des Mariinski-Theaters, St. Petersburg

Chor und Orchester des Mariinski-Theaters,
St. Petersburg

 

Les Noces

Neueinstudierung
Howard Sayette
Natalia Domskaya

Reproduktion des Bühnenbilds
Boris Kaminsky

Reproduktion der Kostüme
Tatiana Noginova

Tänzerinnen und Tänzer

Die Braut
Maria Shevyakova

Der Bräutigam
Ivan Sitnikov

Der Vater der Braut
Soslan Kulaev

Der Vater des Bräutigams
Fedor Lopukhov

Die Mutter der Braut
Elena Bazhenova

Die Mutter des Bräutigams
Olga Balinskaya

Solisten
Anastasia Asaben
Ilya Petrov
Fedor Murashov
Alexey Nedviga
Tatiana Bazhitova
Anna Lavrinenko

Sängerinnen und Sänger

Sopran
Irina Vasilieva

Mezzosopran
Olga Savova

Tenor
Alexander Timchenko

Bass
Gennady Bezzubenkov

 

Le Sacre du printemps

Rekonstruktion und Einstudierung
Millicent Hodson

Rekonstruktion und Leitung der Wiederherstellung
des Bühnenbilds und der Kostüme

Kenneth Archer

Tänzerinnen und Tänzer

Die Auserwählte
Daria Pavlenko

Die Hexe
*Elena Bazhenova /
Liubov Kozharskaya

Der weise Alte
Vladimir Ponomarev

 

L'Oiseau de feu

Rekonstruktion
Isabelle Fokine
Andris Liepa

Bühnenbild und Kostüme
Anna Nezhny
Anatoly Nezhny

Tänzerinnen und Tänzer

Der Feuervogel
Alexandra Iosifidi

Iwan Zarewitsch
*Alexander Romanchikov /
Ivan Sitnikov

Die schöne Zarewna
Ekaterina Mikhailovtseva

Kaschtschej
*Soslan Kulaev /
Vladimir Ponomarev

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Salzburger Pfingstfestspiele
(Homepage)



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