Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Festival Aix en Provence 2013

Ariodante

Dramma per musica in drei Akten
Libretto anonym nach Antonio Salvis Ginevra, Principessa di Scozia nach Orlando furioso von Ariost
Musik von Georg Friedrich Händel


in italienischer Sprache mit französischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h (zwei Pausen)

Koprodution: Fesival d’Aix-en-Provence, Dutch National Opera, Canadian Opera Company, Lyric Opera of Chicago  

Premiere am 3. Juli 2014 im Théâtre de l’Archevêché, Aix-en-Provence


Homepage

Festival Aix en Provence
(Homepage)

Hinter unsichtbaren Wänden

Von Roberto Becker / Foto von Pascal Victor

Die für den zweiten Festival-Abend in Aix-en-Provence vorgesehene Premiere war eine Neuinszenierung von Georg Friedrich Händels Ariodante. Sie geriet unversehens zu einer Art partieller Uraufführung. Es gab wieder Proteste der "Intermittents". Aber diesmal verlief das Ganze nicht so friedlich wie am ersten Tag. Eine aus Marseilles angereiste, militante Gruppe versuchte die Vorstellung im Théâtre de l’Archevêché, das romantisch im Innenhof des erzbischöflichen Palastes, also unter freiem Himmel liegt, zunächst zu verzögern, in dem man die Zuschauer beim Einlass behinderte. Als es drinnen zum Aufmarsch der Techniker und Beleuchter auf der Bühne ein zugespieltes Statement von Edwy Plenel gab, protestierten einige Zuschauer ihrerseits gegen den Protest, so dass der Intendant Bernard Foccroulle seinerseits um Ruhe bitten musste.

Bild zum Vergrößern

"Ouvertüre" vor der Ouvertüre: Die aufmarschierten Techniker und Beleuchter verlesen ein Statement. (Foto von Roberto Becker)

Als endlich im Graben die Ouvertüre und auf der Bühne ein stummes Vorspiel begannen, setzte auf dem Vorplatz ein Höllenlärm ein, der den gesamten ersten Akt lang andauerte. Wie sich herausstellte war die eine kurze Pause, die vor dem ersten Auftritt Ariodantes unplanmäßig eingelegt werden musste, darauf zurückzuführen, dass die Sängerin der Titelpartie von einigen Eindringlingen am Auftritt gehindert werden sollte. Zu dieser recht beklemmenden Situation passte es, dass man das Riesen-Eingangstor des Theaters in beiden Pausen verschlossen hielt. Man wäre zwar raus, aber aus Sicherheitsgründen nicht wieder hinein gekommen. Oper, die nur unter Polizeischutz laufen kann - das ist eine Horrorvorstellung für den Festivalchef und wohl auch für die Besucher, die immerhin bereit sind, bis zu 250 € für eine Karte auszugeben.

Für diese Vorstellung verdienen Andrea Marcon, das Freiburger Barockorchester und alle Protagonisten schon allein für die Nervenstärke, die sie allesamt in dieser Situation bewiesen und mit der sie sich trotz allem auf ihr Kerngeschäft konzentrierten, einen Sonderrespekt. Wobei Marcon, anders als Mark Minkowski (der unter den Zuschauern war, weil dessen Turco in Italia eigentlich für den nächsten Abend auf dem Programm stand), bei seiner Quasi-Wiederentdeckung des Ariodante in Amsterdam, sehr auf das Besinnliche, Lyrische setzte und weniger mit dem Furor der in dieser Oper besonders zahlreichen, hitverdächtigen Arien glänzte.

Bild zum Vergrößern

Hier ist die Welt noch in Ordnung: Ginevra (Patricia Petibon, Mitte), während Ariodante (Sarah Connolly, links) mit seinem künftigen Schwiegervater (Luca Tittoto, rechts) die Hochzeit bespricht

Unter den Freiluftbedingungen, die im zweiten Akt „nur“ noch durch einen kleinen Sabotage-Alarm und im dritten durch aufkommenden Mistral angereichert wurden, ist das besonders heikel, weil sich da die Vorzüge dieses musikalischen Nachschmeckens weit weniger entfalten können, als es in einem geschlossenen Theatersaal möglicherweise der Fall wäre. Vielleicht auch, um das auszugleichen, setzten die Protagonisten auf ein Maß von Emotionalität, das fast schon den barocken Rahmen der Musik sprengte. Vor allem Patricia Petibon in der Rolle der böse verleumdeten Ginevra und Sarah Connolly als Ariodante legten so viel Verve und Gefühl in ihre Rollenporträts, dass sie damit deutlich übers barocke Maß hinauswiesen. Sie beeindruckten denn auch vor allem durch ihre risikobereite Rückhaltlosigkeit. Sandrine Piau allerdings, die als Dalinda in den Bösewicht des Stückes verliebt ist und ihm willig ihre Gestalt in den Kleidern Ginevras leiht, um Ariodantes Braut des Fremdgehens zu bezichtigen, blieb hochvirtuos im stilistischen Rahmen und erinnerte mit jeder ihrer Arien daran, wie man Koloraturgesang mit der vokalen Imagination von Affekten verbindet. Problematischer war vor allem der Polinesso von Sonia Prina. Sie spielte den durchtrieben hinterlistigen und bei Dalinda sogar zu sexueller Gewalt neigenden Finsterling ganz ausgezeichnet, bei ihren Koloraturen freilich blieb die Grenze zur Parodie immer in Sichtweite. Wobei die Steigerung im dritten Akt dann wenigstens zur Ehrenrettung wurde.

Händel hat ja einer seiner verführerischsten Arien, das "Dopo Notte", mit dem Ariodante, den Weg zum lieto fine einleitet, als Bonbon ziemlich weit hinten platziert. Bei der Generalprobe kam man wegen des für Aix-en-Provence zum Glück seltenen nächtlichen Regens gar nicht bis dahin. Am Ende der Premiere ignorierten Marcon und seine Musiker die paar auch hier fallenden Regentropfen zum Glück und spielten durch. "Dopo Notte" – nach solchen Nächten, der rechte Lohn für alle. Auch für das Regieteam. Richard Jones knüpfte mit seiner Regie zwar nicht an die verstörend ungewöhnliche Machart seiner Beiträge zur Münchner Händelrenaissance an. Er verortete das Personal aus schottischer Königsfamilie (Ginevra und ihr Vater), Herzog (Polinesso) und kühnem Ritter (Ariodante nebst Bruder) nicht im adligen, sondern einem eher bürgerlichen Seefahrer- oder Jäger-Ambiente. Drei großgemustert tapezierte Innenräume liegen nebeneinander. Polinesso hat für sein Schmierentheater ein Predigergewand über der Alltagskleidung, die gut von heute sein könnten. Den König erkennt man am würdigen Bart und dem Schottenrock. Von den unsichtbaren Zwischenwänden und Türen gibt’s nur die Türklinken, was einen hübsch verfremdenden running gag bei den Auf- und Abtritten von Protagonisten und Chor ergibt. Wenn im ersten (im Stück und auf der Bühne) verdächtig harmonisch verlaufenden Akt die bevorstehende Hochzeit von Ginevra und Ariodante vorbereitet wird, gibt es auf der langen Tafel ein hübsch verdoppelndes Marionettenspiel, das zum allgemeinen Vergnügen die Hochzeitsnacht und den bevorstehenden Kindersegen vorspielt. Bei der zweiten Ballettmusik, die Ginevra in tiefster Verzweiflung als Verstoßene zeigt, die durch ihre angeblich Untreue am vermeintlichen Tod des Helden schuld sein soll, gibt es wieder ein Puppenspiel. Mit einer Ginevra Puppe wird da von der bigotten Gemeinde der soziale Abstieg vor- oder nachgespielt. Die bis eben noch hoch Angesehene wird zur Straßennutte gemacht.

Zum lieto fine nimmt Jones dieses Bild noch einmal auf. Diesmal packt die reale Ginevra ihren Koffer und steigt aus dieser Geschichte aus. Sie steht am Ende als Anhalterin an der Rampe. Und man wünscht ihr alles Gute in einer besseren Welt. Was die Sängerin Patricia Petibon betrifft, so gehört zu deren Zukunftsplänen auch die Alcina, mit der im nächsten Jahr (wenn nicht wieder irgendein lautstarker französischer Wutausbruch dazwischen kommt) ein kleiner Händelzyklus installiert werden soll. Da wird sie dann als Herrscherin im Reich der Liebe Philipe Jaroussky als ihren Ruggerio behexen.

FAZIT

In Aix-en-Provence wurde die Premiere von Händels Ariodante mit Nervenstärke, einer klugen Inszenierung und auch vokalen Glanzlichtern ziemlich widrigen Umständen abgetrotzt.


Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andrea Marcon

Inszenierung
Richard Jones

Bühne und Kostüme
Ultz

Licht
Mimi Jordan Sherin

Choreografie
Lucy Burge

Marionetten
Finn Caldwell

Koregisseur für Marionetten
Nick Barnes

Kostüme der Marionetten
Dulcie Best

Marionnettenspieler
Kate Colebrook
Sam Clark
Tommy Luther
Shaun McKee



English Voices

Freiburger Barockorchester


Solisten

Ariodante
Sarah Connolly

Ginevra
Patricia Petibon

Dalinda
Sandrine Piau

Polinesso
Sonia Prina

Lurcanio
David Portillo

König von Schottland
Luca Tittoto

Odoardo
Christopher Diffey


Zur Homepage der
Festival Aix en Provence


weitere Rezensionen vom
Festival Aix en Provence 2014




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2014 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -