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Meditation mit vielen Bildern Von Christoph Wurzel / Foto: Monika Rittershaus Aus Berlin brachten die Philharmoniker eine Produktion der Johannespassion mit zu den Osterfestspielen, der seit der dortigen Premiere im Februar bereits eine gewisse Fama vorauseilte. Zum zweiten Mal (nach der Matthäuspassion vor vier Jahren) hatte der Amerikaner Peter Sellars, vielen bekannt als Regisseur eines Don Giovanni, den er in Harlem und der Bronx ansiedelte, sich ausgerechnet eine Bach-Passion vorgenommen. Würde also ähnlich provokatives Theater ins Haus stehen oder zumindest eine verstörende Fassung des geheiligten Werks am Karfreitag? Und wie würde sich ein klassisches Sinfonieorchester auf dem Feld der Barockmusik schlagen? Bei der Aufführung barocker Musik erscheint uns im heutigen Musikbetrieb die historische Aufführungspraxis beinahe schon als Norm, von der nur noch selten abgewichen wird. Barockrepertoire taucht kaum noch in den Programmen klassisch-romantischer Sinfonieorchester auf. Auch die großen Chorwerke werden heute zumeist von Spezialensembles auf historischen Instrumenten und in überschaubarer Chorbesetzung aufgeführt. Karajan ließ die Philharmoniker (in der prä-historischen Ära) bei Bachs h-Moll Messe oder der Matthäuspassion noch in üppigem Streichersound glänzen. An Simon Rattle ist dagegen die Originalklangbewegung nicht spurlos vorübergegangen. So ist die Orchestergröße für seine Aufführung der Johannespassion auf rund zwei Dutzend Musikerinnen und Musiker reduziert, die auch durchaus an das Ideal barocker Klangrede heranreichen können, sofern es der Dirigent erlaubt, denn Rattle scheint stellenweise von Mendelssohn inspiriert und malt mitunter mit dem breiteren Pinsel romantischen Klanggefühls, etwa gleich zu Beginn im Eingangschor, wenn die Anrufung des Herrn vehement intoniert wird. So wird auch in einigen Chorälen deren Charakter als Ausdruck schlichter Volksfrömmigkeit durch Wechsel in Dynamik oder Lautstärke ein wenig zu sehr pathetisch überhöht. Mit großer Intensität gestaltet Rattle die innewohnende Dramatik der Turbachöre im zweiten Teil. Die Philharmoniker spielen auf modernen Instrumenten, eine Viola da Gamba und eine Theorbe setzen deutlich vernehmbar Akzente in Richtung eines barocken Klangs. Und besonders in der Begleitung der Arien und beim Continuospiel ist historisch informiertes Musizieren am stärksten ausgeprägt. Ein Chor in Bewegung: "Herr, unser Herrscher" - mit den Mitgliedern der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Simon Rattle bei den Osterfestspielen 2014 Der Chor allerdings ist wesentlich größer besetzt als das Orchester, was den Berliner Rundfunkchor allerdings nicht zu einem zähflüssigen Klangbild verführt, sondern die Sängerinnen und Sänger meistern die vielfach sehr bewegten Partien exzellent mit großer Präzision, zumal sie nicht in der kollektiven Formation der einzelnen Stimmen aufgestellt sind. Letzteres ist Bestandteil des szenischen Konzepts dieser Aufführung: Der Chor ist auf der Bühne nahezu ständig in Bewegung, um den Gesangstext gestisch zu kommentieren und zu illustrieren. Peter Sellars sagt über seine szenische Präsentation sie sei „kein Theater, sondern ein Gebet, eine Meditation“. Dass der Chor etwa zu den Worten Herr unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist seine Arme nach oben reckt, die Hände öffnet und dabei noch eine umschließende Bewegung macht, ist in der Tat noch kein Theater, sondern allenfalls eine Verdoppelung und eine Veräußerlichung des Textes, die als erster Eindruck in diesen Anfangstakten des Werkes erst einmal befremdet. Eine Meditation dagegen wäre doch eher ein stark nach Innen gerichteter mentaler Vorgang. Mindestens ansatzweise zur szenischen Aktion aber wird die Aufführung, etwa wenn Jesus wirklich gefangen genommen wird, ihm die Augen verbunden werden und Petrus dem Knecht Malchus in gestischer Andeutung ein Ohr abschlägt, wie es im Bibeltext heißt. Allerdings haben diese Gesten und Bewegungsarrangements zugleich auch oft einen symbolischen Gehalt. So legt sich Pilatus beim Verhör des von Schergen bereits zu Boden gerungenen Jesus zu ihm, um ihn zu fragen, ob er nicht wisse, dass er alle Macht über dessen Kreuzigung oder eben Freilassung habe und macht damit deutlich, wie stark er an Jesu Schicksal Anteil nimmt. Überhaupt wird die gesamte Gerichtsszene sehr konkret ausgespielt und die Darstellung des Pilatus durch Christian Gerhaher macht augenfällig, wie sehr der römische Statthalter sich von der geifernden jüdischen Volksmenge absetzt: Ich finde keine Schuld an ihm! So werden die Juden deutlich als Hauptschuldige am Tod Jesu markiert, was der Interpretation des Passionsgeschehens durch das Johannesevangelium (in der Übersetzung Luthers, der nicht gerade ein Judenfreund war), immer wieder als Antjudaismus vorgehalten wird. Und weil im Vergleich zum lediglich erzählten Bibeltext in diesem szenischen Realismus das Geschehen noch wesentlich präsenter wirkt, könnte sich solch problematischer Eindruck sogar noch verstärken. An einigen Stellen gelingen sehr intensive Bilder. Dies besonders, wenn Christian Gerhaher, der neben Pilatus auch die Petrus-Rolle ausführt, dessen Schmerz und Scham über die dreimalige Verleugnung seines Herrn gestisch anrührend zum Ausdruck bringt. Und die Kreuzigungsszene hat Sellars fast wie eine Skulptur des Kalvarienbergs gestellt mit dem ausgestreckt am Boden liegenden Jesus und zwei Frauen zu seiner Seite sitzend. Am Kopfende kauert der Evangelist und berichtet die Worte der Hl. Schrift: Siehe, dein Sohn - siehe, deine Mutter. Aber auch hier verschwimmt die Grenze zum Drama und man weiß nicht mehr recht, ob der Evangelist bereits zum Mit-Akteur geworden ist. Mark Padmore singt diesen Part mit äußerst sensibler Artikulation. Gestisch lässt er seine Rolle gleichsam mit dem Text emotional verschmelzen. An derart expressiver Gebärdensprache nehmen auch die Sängerinnen und Sänger der Arien teil. Aber nicht jede dieser gestischen Äußerungen gibt dem gesungenen Text auch die angemessene Tiefe und Würde. Vor allem infolge der häufigen Textwiederholungen erscheinen die körpersprachlichen Zeichen inflationär, bisweilen platt zu wirken oder unfreiwillig komisch, wie im Falle der hochschwangeren Magdalena Kožená, die ständig auf die Worte gebunden und entbunden (gemeint sind natürlich die Stricke meiner Sünden) entsprechend ihre Hände übereinander oder auseinander schlagen muss. Auch mancher Stimme sind derart mechanische Bewegungen nicht immer förderlich. Topi Lehtipuu Gesangslinie mag dadurch in seinen Arien stimmlich noch flackriger und manirierter erschienen sein, als es ihr guttat, sind doch gerade die beiden Tenorarien in der Johannespassion rhythmisch besonders vertrackt. Ruhig und ausgeglichen und mit wohldosiertem Ausdruck der Affekte singt Camilla Tilling ihre Sopranarien. Und Christian Gerhaher gestaltet auch die Bassarien wunderbar und ausdrucksstark schon allein durch die stimmliche Färbung. Präsent singen auch die beiden Chorsolisten Isabell Voßkühler und Holger Marks. Roderick Williams betont die menschliche Seite der Jesusgestalt, singt die Partie ohne Heiligenschein, sondern stellt Angst, Schmerz und Widerstandswillen des Menschensohnes heraus. Einen theatralischen Zug bekommt dann aber die Sterbeszene, wo er den Text nur noch flüstert. Da kommt Sellars Inszenierung religiöser Sentimentalität doch verdächtig nahe und der schrille Provokateur aus Amerika landet in Baden-Baden als frommer Pilger. FAZIT Sicherlich sind szenische Präsentationen von Bachs Passionen eine Möglichkeit ihrer Aufführung. Schon Ferruccio Busoni dachte daran. John Neumeier brachte sie als Ballett heraus. Und Sellars hat bereits mit der Matthäuspassion vor vier Jahren Begeisterungsstürme ausgelöst, wie es auch an diesem Abend mit der Johannespassion in Baden-Baden geschah. Der Rezensent vermag aber nicht uneingeschränkt einzustimmen. Bachs Musik erscheint ihm allein durch ihre Faktur so expressiv und für das innere Auge so bildmächtig, dass sie einer visuellen Ergänzung eigentlich nicht bedarf. Sellars Fassung mutet ihm eher an wie ein Zugeständnis an bildsüchtige Bedürfnisse, die in unserer mediendominierten Erfahrungswelt mittlerweile für einen echten Event als unerlässlich gelten. Und wenn es nun eine Meditation über den Gehalt dieses Werks sein soll, so berührt sie den Rezensenten allein durch bloßes Zuhören immer noch wesentlich tiefer. Weitere Rezensionen zu den Osterfestspielen 2014
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ProduktionsteamMusikalische LeitungSir Simon Rattle Inszenierung
Chorleitung
Berliner Philharmoniker
Mezzosopran (Arien)
Evangelist (Tenor)
Tenor (Arien)
Christus (Bariton)
Pilatus, Petrus, Arien (Bariton)
Chorsolisten:
Servus (Tenor) |
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