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Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker 2014

Manon Lescaut

Dramma lirico in vier Akten
Libretto von Ruggiero Leoncavallo, Marco Praga, Domenico Oliva, Liugi Illica,
Giuseppe Giacosa, Giulio Adami und Giacomo Puccini nach dem Roman Die Geschichte des Chevalier Des Grieux und der Manon Lescaut von Abbé Prevost (1731)
Musik von Giacomo Puccini

Dauer: 3 Stunden – zwei Pausen

Koproduktion des Festspielhauses Baden-Baden mit der Metropolitan Opera in New York

Premiere am 12. April 2014
(rezensierte Aufführung. 16.04.2014)

 


Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)


Tod auf der Treppe

Von Christoph Wurzel / Fotos: Jochen Klenk und Monika Rittershaus

Manon Lescaut, Puccinis dritte Oper, ist sein erster wirklicher Bühnenerfolg - und zwar trotz des wenig geglückten Librettos. Den (unter Einschluss des Komponisten) sieben Autoren ist es nämlich nicht gelungen, aus dem Roman von Abbé Prevost eine dramaturgisch schlüssige Opernhandlung zu basteln. Was schließlich über die Bühne geht, enthält so viele Leerstellen, dass entscheidende Stationen der Handlung gar nicht gezeigt werden und das Verhalten der Figuren daher an vielen Stellen unmotiviert erscheint. Puccini schien es hauptsächlich auf die Emotionen anzukommen, die aus der Liaison dangereuse zwischen der jungen und schönen Manon und dem ihr verfallenen Studenten Des Grieux erwachsen. Dafür aber hat er eine großartige Musik geschrieben, in der die Leidenschaften nur so glühen. Und stilistisch gehört die Partitur der Manon Lescaut zu Puccinis reichsten Werken. Die musikalische Seite vor allem macht also sicher den seit der Uraufführung 1893 anhaltenden Erfolg aus.

Es dürfte daher nicht leicht sein, dieses Werk zu inszenieren und jede Inszenierung müsste besonders die Psychologie der Personen verdeutlichen. Eben dies aber ist gerade in der Regie dieser Produktion zu vermissen. Die Charakterisierung der Figuren bleibt matt, konventionell und eindimensional. Dabei brauchte diese Oper viele Ideen, viel Arbeit im Detail bei der Charakterzeichnung. Regisseur Richard Eyre hat für die Darsteller aber nur die üblichen Operngesten im Repertoire und richtet offensichtlich sonst das Hauptaugenmerk auf das Szenenarrangement, das auch gerade im 1. Akt als großes Chortableau am besten gelingt. Ansonsten aber gibt die Regie dem Werk keine Tiefe. Für die Psyche Manons hat Eyre kaum Erhellendes parat, dieser so leicht verführbaren Frau, die sich den Männern und ihrem Geld ebenso wie ihren Schmeicheleien ausliefert. Und die andere Seite der Medaille ist, dass ihr bedauernswertes Schicksal zugleich auch eine Folge fataler Männerprojektionen ist. Auch das bleibt außen vor.  Stattdessen beschränkt sich die Regie darauf, die Handlung im angenehmem Ambiente  aufwändiger Kulissen lediglich brav nachzuerzählen; eigentlich zu wenig für ein Opernsujet mit derart viel Interpretationspotential.

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Verpatzter Handel: Lescaut (links im Vordergrund: Lester Lynch) und Geronte (auf dem Balkon: Lian Li) im 1. Akt. (Foto: Monika Rittershaus)

Eva-Maria Westboek vermag noch am meisten Empathie für ihre Rollengestalt aufzubringen. Je mehr Manon ins Elend gerät, desto präsenter und plastischer wird die Sängerin in ihrer Darstellung. In Rollen von leidenden Frauen ist diese Sängerin ja gerade besonders stark; man denke etwa an ihre fesselnden Darstellungen der Frauen in Janáček -Opern. So hat sie auch ihre stärksten Momente im letzten Akt, wo sie Manons letztes Aufbäumen vor ihrem Tod wirklich bewegend verkörpern kann. Ihr "sola, perduta, abbandonata" geht wirklich unter die Haut, eben weil Eva-Maria Westbroek Stimme und Darstellung zu einer Einheit verbindet. Emphatisches Aufblühen, leidenschaftliches Glühen, Sehnsucht, Schmerz und das Leid des Abschieds schwingen hier ausdrucksstark in ihrer Stimme. Im ersten Akt dagegen bleibt die Sängerin darstellerisch noch blass. Und im zweiten Akt könnte die zynische Berechnung, mit der Manon den Luxus im Hause Gerontes genießt, noch wesentlich deutlicher ausgespielt sein. Hier scheint sie von der Regie eben ziemlich allein gelassen worden zu sein.

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Flucht ohne Ausweg: Manon (Eva-Maria Westbroek) und Des Grieux (Massimo Giordano) im 2. Akt (Foto: Jochen Klenk)

Fatal wird ein solches Manko, wenn ein Sänger wie Massimo Giordano selbst nur wenige Mittel darstellerischer Überzeugungskraft aufbietet. Dass Des Grieux von Manons Anblick zu Beginn der Oper schlagartig vom Blitz getroffen wird, lässt sich an seiner Körpersprache kaum ablesen. Giordano singt seine Rolle exzellent, mit strahlender Höhe, mühelos, kraftvoll, ohne Druck, lyrisch und schwärmerisch, darstellerisch jedoch bleibt er hölzern. So knistert es leider auch nicht in den Liebesduetten. Erotisch keimfrei bleibt es auch, wenn Manon ihren Geliebten mit herunterhängenden Hosenträgern, sonst aber in voller Montur auf das Lotterbett zieht. Auch die Überzeugungskraft der weiteren Rollen steht und fällt allem durch die persönliche Spielfreude der Darsteller. Lester Lynch gibt sich als Lescaut alle Mühe, einen gerissenen Kuppler zu spielen, stimmlich bleibt er jedoch etwas eindimensional. Und der Geronte von Lian Li ist eher ein steifer Geselle als ein eitler Lebemann mit dem sentimentalen Hang zu lyrischen Ergüssen. Diesen hat sich  dann hochkarätig  in der Rolle des Sängers bei der Madrigal-Einlage im 2. Akt Magdalena Kožená zu widmen und tut das mit einem erfrischenden Schuss Ironie. Mit schöner, aber etwas kleiner Stimme gibt Bogdan Mihai Edmondo, den quirligen Studenfreund von Des Grieux.

Kein Aufwand wurde für das Bühnenbild gescheut: Als nettes Genrebild  sieht man im ersten Akt den Bahnhofsvorplatz in Amiens, im zweiten Akt ein pompöses Boudoir im Hause des neureichen Steuerbeamten Geronte in Paris, in dessen Zentrum eine römische Siegssäule prangt. Den dritten Akt beherrscht der Rumpf eines Dampfers, der die verstoßenen Frauen (außer Manon noch neun ziemlich klischeehaft gezeigte Prostituierte) von Le Havre nach Amerika deportiert. Schließlich ist im vierten Akt als überraschende Abweichung vom bisherigen Bühnennaturalismus statt der vorgeschrieben Wüste in Louisiana wieder das Zimmer aus dem zweiten Akt zu sehen, allerdings mittlerweile zerstört und mit zusammengestürzter Treppe, auf deren Stufen Manon  mühsam mit Des Grieux herumkraxelnd schließlich den Tod findet.

Wo Richard Eyre aus den Bahnen reiner Regieroutine auszubrechen versucht und eine Aktualisierung versucht, scheitert er gleich komplett. Zu Recht hat er die Handlung nicht zur Rokokozeit spielen lassen, die das Libretto vorsieht, dass er sie aber in die vierziger Jahre verlegt, als Frankreich von den Nazis besetzt war, zeugt von wenig historischem Gespür. Mithilfe der Nazibesatzer ist damals niemand aus Frankreich nach Amerika deportiert worden, schon gar keine Freudenmädchen. Im Gegenteil: Wer aus dem besetzten Frankreich nach Amerika gelangte, dem glückte das nur durch lebensgefährliche Flucht, weil er rassisch oder politisch verfolgt war.  Deportiert aber wurden Zigtausende Menschen in die Konzentrationslager! Um zu zeigen, dass Geronte zur Bestrafung Manons die Staatsmacht instrumentalisiert, hätte es nicht der deutschen Wehrmacht bedurft, die hier zum wiederholten Male völlig unnütz und in ärgerlicher Weise auf der Opernbühne bemüht wird.

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Abschiebung ins Ungewisse: Das Bild des dritten Aktes (Foto: Monika Rittershaus)

Bleibt nur die Musik als Versöhnerin. Die Philharmoniker spielen Puccinis Musik mit einschmeichelnder Schönheit. Edelsten Puccinisound zaubert Rattle aus dem Orchester. Allein das Vorspiel zum 3. Akt ist eine Kostbarkeit aus solistischen Wohllaut (u.a. des jungen Solocellisten Bruno Delepelaire) und bittersüßem Orchesterschmelz. Phantastisch das Timing der schwingenden Dynamik, überraschend der zarte Anflug an Tristanklänge. Allein diese fünf Minuten waren schon reine Erfüllung. Auch sonst gelingt Rattle ein herrlich transparentes, filigranes Klangbild, das stets die Solisten durchhören lässt. Die Klangfarben der Partitur strahlen auf, die Dramatik der Musik entfaltet Rattle mit Emphase und doch kontrolliert. Das ganze Sentiment in Puccinis Musik entfaltet sich, ohne sich kitschig zu blähen. Nicht zu vergessen: der großartige Philharmonia Chor aus Wien.

FAZIT

Inszenatorisch ist die Produktion reine Routinearbeit, der aktualisierende Aspekt geht sogar vollständig fehl. Musikalisch gibt es einen großen Star auf der Bühne (Eva-Maria Westbroek) und gleich ganz viele im Graben (das Orchester und sein Dirigent).

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sir Simon Rattle

Inszenierung
Sir Richard Eyre

Bühnenbild
Rob Howell

Kostüme
Fotini Dimou

Licht
Peter Mumford

Choreografie
Sara Erde

Chorleitung
Prof Walter Zeh

 

Berliner Philharmoniker

Philharmonia Chor Wien




Solisten

Manon Lescaut
Eva-Maria Westbroek

Lescaut, ihr Bruder
Lester Lynch

Renato Des Grieux, ein Student
Massimo Giordano

Gerente de Ravoir, ein hoher Steuerbeamter
Lian Li

Edmondo, ein Student
Bogdan Mihai

Wirt / Kapitän
Reinhard Dorn

Sänger
Magdalena Kožená

Balettmeister
Krešimir Špicer

Straßenfeger
Arthur Espiritu

Sergeant
Johannes Kammler

Tangotänzer (stumme Rolle)
Saulo Garrido




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)









Da capo al Fine

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