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Bayreuther Festspiele 2014
25.07.2014 - 28.08.2014



Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Große romantische Oper in drei Akten
Text und Musik von Richard Wagner
Dresdner Fassung


In deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 5 h 5' (zwei Pausen)

Aufführung im Festspielhaus Bayreuth am 02.08.2014 (2. Aufführung im Rahmen der Bayreuther Festspiele 2014)
(Premiere der Produktion: 25.07.2011)


Bayreuther Festspiele 2011 / Übersicht

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Weder Sperma noch Kaulquappen

Von Michael Magercord, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Biogasanlagen befinden sich in der Krise. In nur wenigen Jahren entpuppten sich die einstigen Hoffnungsträger der alternativen Energiebewirtschaftung als wenig praktikabel für die allgemeine Versorgung. Wo sie nicht bloß für eine lokal begrenzte Versorgung angelegt sind, wird ihr Betrieb besser vorzeitig eingestellt. So geschehen in Bayreuth. Noch ein Jahr sollte sie dort laufen, nun sind nur noch vier Zyklen vorgesehen. So schnell ist sie veraltet. Ende August ist endgültig Schluss, die Anlage stellt ihren Betrieb ein, und für manche auch das noch viel zu spät.

Dies ist eine Opernrezension. In Anbetracht des aufgeführten Werkes sollte es darin um Liebe und Künstlerschicksale gehen, um die Hin-und-her-Gerissenheit zwischen Geist und Macht, Traum und Realität und die Grenzen der Realisierung des Traumes in struktur-konservativem gesellschaftlichem Umfeld. Was aber, wenn dieses Umfeld eine Biogasanlage ist? Vor allem dann, wenn sie nach heftiger Kritik nach nur vierjähriger Laufzeit von der Festspielbühne genommen werden wird? Dann kann sich ein letzter Rezensent nur noch an einer Rezeption nach der Rezeption versuchen, einer Postrezeption an einer postmodernen Bühnenwelt aus Gasbehältnissen.

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Rumtollen mit Molchen, Kaulquappen oder doch Sperma? Tannhäuser (Torsten Kerl) muss sich von Schaumstoff-Ungetümen beschwabbeln lassen.

Viel ist schon über diesen Tannhäuser von Sebastian Baumgarten und dem Bühnenbild des Holländers Joep van Lieshout, den Videoclips von Christopher Kondek und den Zitatenschnipseln, die immer wieder dazwischen flackern, geschrieben worden. Doch wie unvorbereitet ist man trotzdem: Von Beginn an meint man sich im falschen Röntgenfilm zu befinden, und spätestens wenn die Schaumstoff-Ungetüme, die schon als Sperma, Molche oder Kaulquappen betitelt wurden, über die Rampe schwubbeln, beginnt ein Lachkrampf einzusetzen. Die Dinger sind ja noch alberner als erwartet! Und mit diesem Lachen beginnt ein Zersetzungsprozess im Zuberwald der Biogasbottiche: nämlich jener der Kunstform „Oper“.

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Die Versorgung mit ausreichend Drogen ist in der Biogasanlage gesichert: Alkohol für die ganze Woche.

Die Oper war mal ein Gesamtkunstwerk, oder hatte zumindest den Anspruch eines zu sein – und im ganz Besonderen jene Opern von Richard Wagner. In Bayreuth wurde sie in die Werkstatt geschickt, zur Überarbeitung, Erneuerung, Erweiterung. Bei diesem Tannhäuser kam dieser Reparaturprozess kaum über ihre Zerlegung in Einzelteile hinaus. Und alles, was hinzugefügt wurde, war beliebiger Schrott, der noch irgendwo herumlag. Das Bühnenbild ist nämlich keines, sondern ein völlig unabhängiges Kunstwerk namens „Technocrat“, in dem jetzt wie zufällig noch eine Oper stattfindet; die Videos einer nackten Tonnenrollerin sollen mit ihrer angeblichen Tempoverschleppung gegen die Ordnung der Musik stehen; und all die Textfragmente, die unentwegt über die Leinwände huschen, scheinen das Misstrauen gegen die Fähigkeit der Oper ausdrücken zu wollen, eine Botschaft könne sich aus dem Werk selbst ergeben, also aus dem Zusammenspiel von Libretto, Bühne und Musik. „Kunst wird Tat“ heißt es in einer der flimmernden Betextungen, die so aber eher von Verzweiflung genährt zu sein scheint. „Ich will die totale Formlosigkeit“, sagte der Regisseur laut Programmheft vor drei Jahren zur Premiere, „wir hatten nur noch eine Möglichkeit: mit Zitaten zu arbeiten, mit Ready-Mades, in Unsinn, in Trash.“ Die tiefe Idee dahinter sei es gewesen, „herauszukommen aus dieser Hölle des Interpretationstheaters“.

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Tannhäuser (Torsten Kerl) springt vom brennenden Bottich.

Geschafft hat er mit seiner Ansammlung von bedeutungsschwangeren, aber völlig losen Bestandteilen und der Zerfledderung der Kunstform Oper genau des Gegenteil: er hat den Weg in den Höllenschlund erst so richtig gewiesen. Da sitzt es nun, das Publikum (noch so ein Flimmerspruch: „Alle Kunst geht vom Volke aus“), und es wird gezwungen, die eigentliche Oper nur noch in Klammern genießen zu können. Denn richtig, eine Oper fand noch statt: Es gab Musik (unter Axel Kober auf eine beinahe zurückhaltende Weise dargeboten, die vor allem im zweiten Akt eine ungewohnte, äußerst reizvolle Dynamik entfaltete), es gab Gesang der Solisten (mit drei Neubesetzungen gegenüber dem Vorjahr, wobei mit dem Bass Kwangchul Youn als Landrat ein alter Bayreuth-Bekannter glänzte), und es gab Massenszenen (mit dem vorzüglich eingestellten Festspielchor). Und es gab noch die Handlung mit den berühmten Szenen, ob im Venushügel (mit den Sperma-Molchen-Kaulquappen), oder der Sängerstreit mit Klatschszene (komikhaft tonlos die Massen, laut Elisabeth, der aber von dem Onkel mit der Kim-Jong-il-Sonnenbrille Einhalt geboten wird).

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Elisabeth (Camilla Nylund) zeigt ihre Opfermale im 2. Akt. Im 3. Akt dann geht sie ins Biogas.

Und es gab die Todesszene der Elisabeth. Und da geschah es, das Unerwartete: Doch noch ein Opernmoment. Für einen Augenblick lang mündete das Zusammenwirken aller Bestandteile in ein Ganzes. Schließlich doch noch einen dieser Momente, in denen der Zuschauer keiner mehr ist: Poesie, Überwältigung. Diese Momente können durchaus in einem Lachen bestehen, es darf aber kein hämisches sein; er kann aus Berührung entstehen, aber die darf nicht peinlich sein. Und das geschah nun ausgerechnet in der am geschmacklosesten inszenierten Szene: Elisabeth geht, letztlich ein wenig unfreiwillig, ins Biogas. Und es war hier, wo zum ersten Mal diese ganze Anlage aus qualmenden Tanks, Behältern und Tonnen einen Bezug zu einer Handlung des Werkes und der Musik hatte.

Wäre der ganze Ansatz also doch zu retten gewesen, wenn man ihn einfach konsequent zu Ende gebracht und nicht durch Trash und Unsinn selbst verkaspert hätte? Wie hätte es ausgesehen? Alle aufs Klo setzen, damit die Exkremente erzeugt werden, die für die Biogasproduktion benötigt werden, und sie dabei immer schön saufen lassen, damit sie es aushalten? Oder war der Ansatz von vornherein zum Scheitern verurteilt, wie so viele dieser Regietheatergezüchte, mit denen Nachwuchsregisseure von Hochschulen ohne eigene Schauspiel-Erfahrung auf hochsubventionierten Bühnen an Darstellern und Publikum ihre Egomanien befriedigen dürfen?

Die Frage muss ein Rezensent nicht beantworten, er kann nur Sinnsucher im bereits Vollbrachten sein. Da steht er bei solchen Darbietungen allerdings von Beginn an auf verlorenem Posten. Er könnte bestenfalls den Schaffner der DB zitieren, der auf dem Weg nach Bayreuth die Korrektur einer Wagenreihung mit dem Satz ankündigte: “Ich entschuldige mich für die Fehlinformationen, die Ihnen nicht gegeben wurden.“ Um also gar nicht erst Falschinterpretationen zu liefern, sei hier nicht nur eine Entschuldigung für ihr Fehlen ausgesprochen, sondern zu dem noch das Rätsel um die Beschaffenheit der Sperma-Molche-Kaulquappen-Ungetüme gelöst. Sie sind kein Sperma, keine Molche oder Kaulquappen, sondern in einem Extruder unter hohem Druck mit den Treibgasen Pentan oder CO2 versetztes, zuvor aufgeschmolzenes Polypropylen, das mit einer gummiartigen Schicht überzogen wurde. An deren Schwänzen kann man nun lustvoll ziehen, sich mit ihnen auf dem Boden wälzen oder prächtig dran kuscheln. Bewegliche Deco also, die von gelenkigen Schauspielern zum Schwubbeln gebracht wird. Mein Applaus gilt ihnen – und der Schaumstoffindustrie.

FAZIT

„Quo vadis Bayreuth?“, titelte das Festivalbegleitglanzheft Bayreuth Tribune. Dass diese Frage sich zunehmend dringlicher stellt und vielleicht doch mehr, als eine postmoderne Antwort aus Unsinn und Trash einfordert, stellte dieses Stück kraftvoll unter Beweis. Sollte diese Antwort bald gefunden werden, hätte diese Inszenierung doch noch einen Sinn gehabt.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Inszenierung
Sebastian Baumgarten

Bühnenbild
Joep van Lieshout

Kostüme
Nina von Mechow

Licht
Franck Evin

Video
Christopher Kondek

Dramaturgie
Carl Hegemann

Choreinstudierung
Eberhard Friedrich



Chor und Statisterie der
Bayreuther Festspiele

Orchester der
Bayreuther Festspiele


Solisten

Hermann, Landgraf von Thüringen
Günther Groissböck

Tannhäuser
Torsten Kerl

Wolfram von Eschenbach
Markus Eiche

Walther von der Vogelweide
Lothar Odinius

Biterolf
Thomas Jesatko

Heinrich der Schreiber
Stefan Heibach

Reinmar von Zweter
Rainer Zaun

Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Camilla Nylund

Venus
Michelle Breedt

Ein junger Hirt
Katja Stuber

Vier Edelknaben
Beate Gartner
Anja Ulrich
Kirsten Obelgönner
Johanna Dur


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