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Händel-Festspiele 2014 in Halle (Saale)

05.06.2014 - 15.06.2014

Riccardo I., Re d'Inghilterra

Oper in drei Akten (HWV 23)
Libretto von Paolo Antonio Rolli nach dem Libretto Isacio tiranno von Francesco Briani
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 5' (zwei Pausen)

Premiere im Goethe-Theater Bad Lauchstädt am 7. Juni 2014
(rezensierte Aufführung: 09.06.2014)

 

 

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Halluzinationen einer Schiffbrüchigen

Von Thomas Molke / Fotos von Oliver Fantitsch (© Händel-Festspiele Halle)

Obwohl Händels am 11. November 1727 am King's Theatre am Haymarket uraufgeführte Oper Riccardo I., Re d'Inghilterra bereits 1734 von den Spielplänen verschwand und in Vergessenheit geriet, haben sich in dieser Spielzeit direkt zwei Händel-Festspiele diesem zu Unrecht vernachlässigten Werk gewidmet, das einerseits mit der Starbesetzung Senesino (Kastrat), Faustina und Cuzzoni (Sopranistinnen), andererseits mit dem patriotischen Sujet über Richard Löwenherz, womit auch gleichzeitig dem neuen englischen König Georg II. gehuldigt wurde, einen großen, wenn auch nur kurzen Erfolg verbuchen konnte. Nachdem Benjamin Lazar dieses Stück in Karlsruhe als zentrale Opernproduktion der diesjährigen Festspiele in barockem Glanz in Szene gesetzt hat, wird es bei den Händel-Festspielen  in Halle als eine der beiden Opernproduktionen im kleinen aber feinen Goethe-Theater Bad Lauchstädt präsentiert. So pittoresk dieser alte Aufführungsort in der Nähe von Halle auch sein mag, so unerträglich heiß ist es aufgrund der tropischen Außentemperaturen in diesem Jahr auch in dem nicht klimatisierten Saal, so dass man sich für die dritte Aufführung am Pfingstmontag entschieden hat, nach beiden Akten eine Pause einzuschieben, um den Musikern, Sängern und Zuschauern die Möglichkeit zu geben, sich bei kalten Getränken von der Hitze im Theater zu erholen, wodurch sich die Vorstellung um gute 20 Minuten verlängert.

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Berardo (Cornelius Uhle) sucht nach dem Schiffbruch Riccardos Verlobte Costanza.

Das Stück basiert auf der historisch belegten Eroberung Zyperns am 6. Mai 1191 durch Richard Löwenherz (Riccardo I.), als dieser sich auf seinem Weg nach Jerusalem zum Dritten Kreuzzug befand. Der zypriotische Kaiser Isaak Komnenos (Isacio) hatte dessen Braut Berengaria von Navarra (in der Oper: Costanza) gefangen genommen, als sie vor Zypern Schiffbruch erlitten hatte. Im Zentrum der Opernhandlung stehen aber neben der Befreiung Costanzas weitere Verwirrungen und Verwicklungen. So befiehlt Isacio seiner Tochter Pulcheria, sich selbst als Costanza auszugeben, um durch eine Hochzeit mit Riccardo die englische Königskrone zu erlangen. Pulcheria wiederum liebt den syrischen Fürsten Oronte, den sie allerdings für untreu hält, so dass sie sich aus Wut auf ihren Verlobten und aus Pflichtgefühl ihrem Vater gegenüber auf den Betrug einlässt. Doch Oronte deckt den Schwindel auf. Pulcheria will nun ebenfalls Riccardo und Costanza zusammenführen, aber Isacio ist bereit, gegen Riccardo und seine Truppen für Costanza in den Krieg zu ziehen. Mit Orontes und Pulcherias Hilfe gelingt es Riccardo, Costanza zu befreien und Zypern einzunehmen. In seiner großen Güte begnadigt Riccardo Isacio, übergibt den zypriotischen Thron an Pulcheria und Oronte und schwört seiner Costanza ewige Liebe.

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Costanza (Marielou Jacquard, vorne links) landet am Hof des Königs Isacio (Ludwig Obst, rechts) von Zypern (hinten rechts: Pulcheria (Jennifer Gleinig), auf der linken Seite: Berardo (Cornelius Uhle) und Oronte (Georg Arssenij Bochow)).

Während Benjamin Lazar in Karlsruhe auf barocke Gestik bei Kerzenschein setzte, wählt Clara Kalus einen völlig anderen Regie-Ansatz und fokussiert ihre Inszenierung ganz auf Costanza. Wenn sich der Vorhang hebt und Costanza mit ihrem Diener Berardo nach dem Schiffbruch an der Küste Zyperns strandet, sieht man auf der Bühne zahlreiche weiße Möbel, die wild übereinander gestapelt sind, so wie sie vielleicht nach einem Schiffsuntergang von der Wucht des Meeres in einer Kabine durcheinander gewirbelt sein könnten. In den weiteren Akten ist dieses Zimmer wieder aufgebaut. Nur dem Bett fehlt noch ein Bein, was die Folgen des Sturmes noch spüren lässt. Dass alle drei Akte nun in diesem Zimmer spielen, lassen vermuten, dass sich das Geschehen nur in Costanzas Kopf gewissermaßen als Halluzination einer Schiffbrüchigen abspielt. Wenn die anderen Figuren zum Ende des dritten Aktes Tierköpfe aufsetzen, wird die Szene völlig surreal. Am Ende holt Costanza aus dem Bühnenhintergrund eine schwarze Plane hervor, mit der sie alle Gegenstände und die anderen Figuren bedeckt. In diesem dunklen Ambiente singt Costanza dann ihre letzte große Arie "Il volo così fido", in der sie sich mit einem kleinen Vogel vergleicht, der glücklich in sein Nest zurückkehrt, bevor sie zum Jubelchor in den Bühnenhintergrund tritt und die Tür nach draußen öffnet, während glitzerndes Konfetti auf sie herabfällt.

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Riccardo (Zoe Kissa) verbündet sich mit Pulcheria (Jennifer Gleinig) und Oronte (Georg Arssenij Bochow) gegen den König von Zypern.

Dass die anderen Figuren gewissermaßen animalische Züge haben, wird auch schon vor dem dritten Akt bei einzelnen Protagonisten angedeutet. So führt Isacio zu Beginn seine Tochter an einer Leine herein. Was das allerdings mit einer Maus zu tun haben könnte - Pulcheria trägt am Ende den Kopf einer Maus -, bleibt unklar. In seinen exzentrischen Bewegungen erinnert der selbstgefällige Isacio schon in seinem Werben um Costanza an einen Affen. Der Pavian, in den er sich verwandelt, scheint also durchaus passend. Dass auch Oronte und Riccardo sich in einen Schimpansen beziehungsweise einen Gorilla verwandeln, wirft dann allerdings wieder einige Fragen auf. Soll damit gezeigt werden, dass Riccardo doch nicht dem Bild entspricht, dass sich Costanza, ohne ihn wirklich zu kennen, von ihm gemacht hat? Berardo als treues Hündchen wirkt dabei wieder etwas nachvollziehbarer. Jedenfalls scheint das Publikum an diesem Ansatz nicht so viel Anstoß zu nehmen wie an der Arminio-Inszenierung von Nigel Lowery im Opernhaus. Vielleicht bleibt Kalus bei ihrem Ansatz aber auch einfach stringenter als Lowery.

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Riccardo (Zoe Kissa) will Costanza aus den Fängen Isacios befreien.

Betrachtet man die wunderbare Musik dieses Werkes, verwundert es eigentlich nicht, dass es in diesem Jahr gleich zwei Produktionen dieser selten gespielten Oper gibt. Was den Einsatz der einzelnen Instrumente zeigt, erweist sich Händel mit Blick auf lautmalerische Gesichtspunkte absolut abwechslungsreich. Zu nennen ist hier die Ouvertüre, die mit heftigem Schlagen der Streicher den tobenden Sturm auf dem Meer regelrecht spürbar macht, oder der Einsatz der Holzbläser, wenn Pulcheria im zweiten Akt in ihrer Arie "L'aquila altera" Riccardo ihre Treue versichert, so dass er sich wie ein "Adler" auf "seine Kinder" verlassen könne. Musikalisch außergewöhnlich ist auch das große Duett zwischen Riccardo und Costanza "T'amo sì", in dem sich die beiden inniglich nach ihrer ersten Begegnung ihre große Liebe versichern. Dazu zaubert Wolfgang Katschner mit der Lautten Compagney Berlin völlig neue Klänge aus dem Orchestergraben. Der leicht rockige Ausflug bei Isacios Liebeswerben dürfte zwar so nicht in der Partitur stehen, passt aber sehr gut zum arroganten Gehabe des Königs von Zypern, so dass die Lautten Compagney Berlin einen musikalischen Hörgenuss erster Güte beschert.

Auch die durchweg jungen Solisten bewegen sich musikalisch auf hohem Niveau. Ludwig Obst lässt als Isacio mit seinem recht jugendlichen Bass zwar noch etwas die schwarze Tiefe dieses Charakters vermissen, gleicht dies aber durch eine hervorragende Bühnenpräsenz und exzellentes Spiel wieder aus. Zoe Kissa präsentiert die Titelpartie mit beweglichem Mezzo und einer samtenen Tiefe, die dem virilen Charakter der Figur gerecht wird. Cornelius Uhle und Georg Arssenij Bochow überzeugen als Diener Berardo mit frischem Bass und als Oronte mit schlankem Countertenor, der sich in den Koloraturen äußerst beweglich zeigt. Die Stars des Abends sind Jennifer Gleinig als Pulcheria und Marielou Jacquard als Costanza. Gleinig stattet Isacios Tochter mit einem warmen Mezzo aus und bewegt sich in den Koloraturen nahezu spielerisch in dramatische Höhen. Jacquard gestaltet die Partie der Costanza mit weichem Sopran, der die tiefe Empfindsamkeit der Figur unterstreicht. Großartig gelingen ihr die musikalischen Bögen und die Piani, in denen sich das tiefe Leid Costanzas ausdrückt. So werden die Solisten mit zahlreichem Szenen- und frenetischen Schlussapplaus belohnt, wobei selbst die tropischen Temperaturen im Theater die Begeisterung des Publikums nicht bremsen können.

FAZIT

Es bleibt zu hoffen, dass sich auch weitere Bühnen an dieser zu Unrecht vernachlässigten Oper versuchen werden. Die beiden absolut unterschiedlichen Inszenierungen in Karlsruhe und Bad Lauchstädt zeigen, dass das Stück Regisseuren zahlreiche unterschiedliche Lesarten bietet.

Weitere Rezensionen zu den Händel-Festspielen 2014 in Halle

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Katschner

Regie
Clara Kalus

Ausstattung
Mechthild Feuerstein

Licht
Marc Zeuske



Lautten Compagney Berlin

 

Solisten

Riccardo I., König von England
Zoe Kissa

Costanza, Riccardos Verlobte
Marielou Jacquard

Berardo, ein Diener
Cornelius Uhle

Isacio, Herrscher von Zypern
Ludwig Obst

Pulcheria, Isacios Tochter
Jennifer Gleinig

Oronte, Pulcherias Verlobter
Georg Arssenij Bochow

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Händel-Festspiele in Halle
(Homepage)



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