Verbindung zweier Mythen
Von Thomas Molke
/
Fotos von Ludwig Olah
Dass die Geschichte um den
thrakischen Sänger Orpheus, der seine Gattin Eurydike aus der Unterwelt
zurückholen will, Thema bei den Internationalen Gluck-Opern-Festspielen
ist verwundert nicht, da Glucks Opernreform gewissermaßen mit einer
Neukomposition dieser Geschichte seinen Anfang nahm. Auch dass dieser Mythos in
Form eines Ballettes präsentiert wird, klingt plausibel, da Gluck den
Balletteinlagen in seinen Opern handlungstragende Eigenschaften eingeräumt hat
und sie nicht, wie es zu Glucks Zeit üblich war, als bloße Divertissements
betrachtet hat. Dass der Dortmunder Ballettdirektor Xin Peng Wang in diesem
Ballett unter dem Titel Orpheus aber nun die 1947 entstandene Komposition
von Igor Strawinsky mit dem chinesischen Mythos Mudan Ting, dem
bedeutendsten Werk der Kunqu-Oper, die im 16. Jahrhundert die Vorläuferin der
Peking-Oper darstellte, kombiniert, mag auf den ersten Blick dann doch ein wenig
irritieren. Doch Wangs Dramaturg Christian Baier erläutert es in der Einführung
zum Stück mit dem übergeordneten Thema der diesjährigen Festspiele: ReForm
und ReVision bedeute auch, welche Auswirkungen Glucks Opernschaffen auf die
Nachwelt habe. Mit Blick auf Strawinsky trifft das sicherlich zu, da in seiner
Musik zahlreiche Zitate von Gluck zu finden sind. Aber wie verhält es sich bei
der vor Gluck entstandenen Kunqu-Oper?

Noch ist ihre Welt in Ordnung: Orpheus (Dmitry
Semionov) und Eurydike (Monica Fotescu-Uta).
Nach Baier sind es vor allem die Parallelen der beiden Mythen, die Wang
fasziniert hätten, wobei nicht klar sei, ob die asiatische und die europäische
Geschichte unabhängig voneinander entstanden seien oder einander beeinflusst
hätten. In Mudan Ting übernimmt allerdings die Frau den aktiven Part. Du
Liniang erwirkt von den Göttern, dass ihr Geist nach ihrem viel zu frühen Tod in
die Menschenwelt zurückkehren darf, um weiter nach dem Mann ihrer Träume zu
suchen. Der begegnet ihr in dem jungen Studenten Liu Mengmei, der daraufhin
ihren Leichnam wieder ausgräbt, um auch ihren Körper zu neuem Leben zu erwecken.
Die Überliefungen des Endes variieren ähnlich wie beim Orpheus-Mythos. Während
es in der ursprünglichen Fassung der Oper ein glückliche Verbindung des
Liebespaares durch einen Deus ex machina gibt, der eine Verurteilung des jungen
Mann verhindert und auch Du Liniangs Körper in die Menschenwelt zurückkehren
lässt, bleibt den beiden in späteren Fassungen ein gemeinsames Leben verwehrt,
und Du Liniang kann nur nachts in der Welt der Träume bei Liu Mengmei verweilen.

Orpheus (Dmitry Semionov) will seine Geliebte
Eurydike (Monica Fotescu-Uta) aus der Unterwelt zurückholen.
Wang folgt in seinem Handlungsballett aber hauptsächlich, wie es der Titel des
Abends schon sagt, dem Orpheus-Mythos und unterbricht die gut halbstündige
Komposition Strawinskys an zahlreichen Stellen durch Musik aus der
altchinesischen Ming-Zeit, die im Gegensatz zu Strawinskys Musik vom Band
eingespielt wird. Dabei überrascht, wie modern die durch starke rhythmische
Perkussionen geprägten Klänge wirken, auch wenn sich dabei nicht immer
erschließt, was inhaltlich an diesen Stellen eigentlich erzählt werden soll.
Direkt zu Beginn des Abends treten die Tänzerinnen und Tänzer mit
ausdrucksstarken Bewegungen zu diesen Perkussionen auf. Aus der Masse der Tänzer
lösen sich im folgenden "Lento sostenuto" von Strawinsky Orpheus und Eurydike
und finden in einem innigen Pas de deux zueinander. Doch die Harmonie wird
schnell gestört. Aristeus tritt dazwischen und versucht, Orpheus und Eurydike
auseinander zu bringen. Als ihm dies nicht gelingt, sieht er nur noch einen
einzigen Ausweg. Er muss Eurydike töten.

Orpheus (Dmitry Semionov, im Hintergrund) steigt
zu Eurydike (Monica Fotescu-Uta) in die Unterwelt herab.
Wang verzichtet in seiner Choreographie größtenteils auf ein Bühnenbild, das
lediglich aus zehn Hockern im Hintergrund der Bühne besteht, und arbeitet vor
allem mit Lichteffekten, die in den einzelnen Szenen durch die bloße Farbgebung
die jeweilige Stimmung gut nachvollziehbar einfangen. So ist das erste Pas de
deux der beiden Liebenden in zartem Gelb gehalten, das hell wie das Sonnenlicht
strahlt. Mit dem Auftritt des Aristeus wechselt die Farbe zu einem dunklen Rot,
was sowohl Aristeus' unerfüllte Liebe zu Eurydike symbolisiert, als auch seine
Bereitschaft, dafür zu morden. Dieses Rot wird bei seinem Mord an Eurydike durch
einen Handschuh an seiner rechten Hand wieder aufgenommen. Wenn er später in den
Armen anderer Frauen Vergessen sucht, ist der Hintergrund in ein kühles Blau
getaucht, was die Leere in seinem Herzen andeutet. Eine wichtige Bedeutung kommt
auch den Augen der Tänzerinnen und Tänzer zu. Mit Ausnahme von Orpheus und
Eurydike führt bei den Männern ein schwarzer Streifen und bei den Frauen ein
roter Streifen wie ein Band über die Augen. Wenn Eurydike in die Unterwelt
kommt, hat sie ebenfalls einen roten Streifen über den Augen, was bedeuten
könnte, dass dieser Streifen den Übergang in eine andere Welt markiert.

Ensemble mit ausdrucksstarkem Tanz zu
altchinesischer Musik Mit seinen bloßen
Augen kann Orpheus der Abstieg in die Unterwelt nicht gelingen. Folglich muss er
eine schwarze Brille aufsetzen, um so in der Unterwelt Eurydike entgegentreten
zu können. Es kommt zu einem weiteren ergreifenden Pas de deux, das erneut von
Aristeus gestört wird. Dieses Mal nimmt er Orpheus die Brille ab. Orpheus
erblickt die Geliebte, wie er sie nicht hätte sehen dürfen und verliert sie
erneut. Mit getrennten Lichtkegeln wird die Kluft zwischen den beiden Liebenden
eindrucksvoll deutlich gemacht. Hier schimmert am Ende die Vision des
asiatischen Mythos durch, wenn sich Eurydike und Orpheus allein in ihren
Lichtkegeln zu den chinesischen Klängen bewegen. Im Traum dürfen sie noch
zueinander finden, doch ein gemeinsames reales Leben bleibt ihnen verwehrt.
Aristeus liegt dabei leblos im Hintergrund. Dmitry Semionov stattet die
Titelpartie mit kräftigen Sprüngen und großem Ausdruck aus. Monica Fotescu-Uta
verleiht mit ihren zarten Bewegungen der Eurydike eine atemberaubende
Zerbrechlichkeit, und auch Howard Quintero Lopez begeistert als Bösewicht
Aristeus mit diabolischem Spiel.Das Ensemble
begeistert vor allem bei der chinesischen Musik durch ausdrucksstarke
Bewegungen, die stellenweise spontanen Szenenapplaus hervorrufen, was besonders
amüsant ist, da das Publikum aufgrund der Unbekanntheit der Musik nicht genau
erkennen kann, wann die Musik eigentlich zu Ende ist und immer wieder erneut zum
Applaus ansetzt, dann wieder innehält, weil die Musik doch noch weitergeht.
Einziges Manko bei diesen großartig getanzten Massenszenen ist, dass sie sich
teilweise inhaltlich nicht in die Geschichte einordnen lassen, was bei einem
Handlungsballett vielleicht wünschenswert wäre, für den Genuss des Tanzes
allerdings auch nicht unbedingt erforderlich ist.
Marek
Šedivý leitet die Prague Philharmonia mit großer Präzision durch Strawinskys
Partitur, so dass es nach diesem mit einer Stunde recht kurzen Abend großen
Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Den Fans des Dortmunder Balletts, die nicht nach Fürth kommen können, um diese
Produktion zu sehen, sei beruhigend mitgeteilt, dass dieser Ballettabend in der
übernächsten Spielzeit auch in Dortmund präsentiert werden soll. Vielleicht
sollte bis dahin die inhaltliche Verständlichkeit einzelner Szenen noch ein
bisschen detaillierter herausgearbeitet werden.
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Internationalen Gluck-Opern-Festspielen 2014
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Marek
ŠedivýInszenierung und Choreographie
Xin Peng Wang
Kostüme
Alexandra Schiess
Lichtdesign
Carlo Cerri
Konzept und Dramaturgie
Christian Baier Prague Philharmonia
Solisten
Orpheus
Dmitry Semionov
Eurydike
Monica Fotescu-Uta
Aristeus
Howard Quintero Lopez Die
Dämonen
Gal Mazor Mahzari
Francesco Nigro
Giuseppe Ragona Die Götter
Alysson da Rocha Alvéz
Francesco Nigro
Giuseppe Ragona Die Furien
Denise Chiarioni
Stephanine Ricciardi
Emilie Nguyen
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