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Belcanto vom FeinstenVon Thomas Molke / Fotos von Clive Barda
Don Bucefalo (Filippo Fontana, rechts) überzeugt die Dorfgemeinschaft (Ensemble und Chor), allen voran Don Marco (Davide Bartolucci, Mitte), von ihrer Fähigkeit, eine Oper aufzuführen Cagnonis Oper geht zurück auf Le cantatrici villane von Valentino Fioravanti, die nach ihrer Uraufführung 1799 in Neapel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für zahlreiche Vertonungen als Vorlage diente. Der Musiklehrer Don Bucefalo hört in einem Dorf in der Nähe von Neapel die Landbevölkerung beim Einbringen der Ernte singen und schlägt ihnen vor, ihnen Musikstunden zu geben. Damit werde er sie stimmlich so trainieren, dass sie eine Oper aufführen und mit dem eingenommenen Geld im Luxus leben könnten. Der Plan stößt bei der Bevölkerung auf große Begeisterung. Rosa, Agata und Giannetta streiten sich darum, wer denn die Primadonna werden könne. Sehr zum Missfallen von Agata bevorzugt Don Bucefalo Rosa, die auch noch von dem Conte di Belprato und Don Marco verehrt wird. Letzterer will die Opernproduktion finanziell unterstützen, wenn ihm dafür die führende Bassrolle zugestanden wird. Rosa träumt von einer großen Karriere als Opernsängerin und scheint auch einer Verbindung mit dem Conte di Belprato zur Verbesserung ihrer finanziellen Lage nicht ganz abgeneigt zu sein. Doch da taucht plötzlich ihr tot geglaubter Ehemann Carlino auf, der sich allerdings zunächst nicht zu erkennen gibt, um die Treue seiner Frau zu prüfen. Rosas zahlreiche Verehrer schüren in ihm die Eifersucht, und so platzt er schließlich in die Vorstellung der einstudierten Oper und droht, alles in einem Fiasko enden zu lassen. Rosa kann die Lage aber retten, indem sie vorgibt, dass alles, was er gesehen habe, nur Proben für das Stück gewesen seien. So ersetzt er kurzerhand in der Aufführung den Conte di Belprato als Rosas Liebhaber, und es gibt für alle Beteiligten ein gutes Ende. Die von allen begehrte Rosa (Marie-Ève Munger) hat das Zeug zur Primadonna. Das Regieteam um Kevin Newbury verlegt die Handlung in einen Gemeindesaal des ausgehenden letzten Jahrhunderts, wo junge Leute ihren Freizeitaktivitäten nachkommen. Diese können sowohl sportlicher als auch künstlerischer Natur sein. Der große Saal bietet einerseits die Möglichkeiten zu Gymnastikübungen oder Ballspielen - so befindet sich auf der rechten Seite ein Basketballkorb -, verfügt andererseits aber auch über eine Bühne im Hintergrund. Rosa scheint in diesem Gemeindesaal eine Sekretärin zu sein, deren Büro sich auf der linken Seite im ersten Stock befindet. Don Bucefalo ist nicht ein einfacher Musiklehrer, sondern ein Hochstapler, der, wie eine große Zeitungsanzeige offenbart, die ein Angestellter in diesem Gemeindesaal schon vor Beginn der Ouvertüre liest, auf der Flucht ist. So stürzt er gleich zu Beginn des Stückes mit einem Koffer in den Saal, deponiert den Koffer in einem Schließfach auf der linken Seite und versteckt sich auf der Bühne, verfolgt von zwei Sicherheitsbeamten, die seine Spur zunächst aber nicht wieder aufnehmen können. Wenn die Dorfjugend sich nun zu einer Art Aerobic-Übung im Gemeindesaal versammelt, wittert er sofort eine Chance für den nächsten Betrug. Allzu leicht lassen sich die jungen Leute von seiner Vision eines grandiosen Theaterstückes begeistern, und die Casting-Show kann beginnen. Dass Rosa dabei das Rennen macht, dürfte nicht weiter verwundern, da Jessica Jahn sie sehr figurbetont und aufreizend einkleidet. Rosa (Marie-Ève Munger, links), der Conte di Belprato (Matthew Newlin) und Agata (Jennifer Davis) üben für das neue Stück. Unglaubwürdig wirkt hingegen, dass Rosa ihren Ehemann nicht erkennen soll, da seine Maskierung lediglich aus einem aufgeklebten Schnurbart besteht. Aber das spielt in dieser turbulenten Komödie eigentlich auch keine Rolle. Mit großer Spielfreude kann auch der Chor des Wexford Festival Opera individuelle Charaktere beim Kampf um die Hauptrollen in der zu präsentierenden Oper entwickeln, bei der es sich wahrscheinlich um Verdis ein Jahr zuvor uraufgeführte Oper Attila handeln dürfte. Doch trotz aller Bemühungen reicht es nicht, den finanzkräftigen Don Marco auszustechen, der zwar kein Talent besitzt und sich auch nicht eine einzige Zeile seiner Arie merken kann, aber nun einmal die Produktion finanziert. Auch die unvollständigen antiken Säulen, die vom Chor im dritten Akt dilettantisch und teilweise auch mit der falschen Seite nach vorne auf die Bühne getragen werden, unterstreichen, dass man in dieser Produktion nichts ernst nehmen darf. Don Bucefalos Schwindel fliegt am Ende allerdings auf. Wenn alle in gemeinsamen Jubel ausbrechen, versucht er, sich heimlich mit dem eingenommenen Geld aus dem Staub zu machen. Doch der Koffer geht auf, und seine wahren Absichten werden enttarnt. Don Bucefalo (Filippo Fontana) instruiert das Orchester. Musikalisch beweist die Oper, dass Cagnoni nicht nur die Altmeister Rossini und Donizetti intensiv studiert hat, sondern auch ihren Stil in Perfektion umzusetzen und sogar noch zu verfeinern versteht. So schafft er am Ende der ersten beiden Akte jeweils zwei große Ensembles, die das Publikum mit herrlichem Parlando-Stil und großartiger Ausgestaltung begeistern. Besonders amüsant ist auch, wie Cagnoni das Stimmen des Orchesters in die große Szene des Don Bucefalo im dritten Akt aufnimmt. Was der Zuhörer normalerweise beim Betreten des Opernhauses vor Beginn der Aufführung vernimmt, wird hier von Cagnoni komponiert. Daran schließt sich direkt eine Auseinandersetzung Don Bucefalos mit den einzelnen Instrumenten des Orchesters an. Schön ist der Streit mit dem Cello, das bewusst einen halben Ton zu tief spielt, oder die Auseinandersetzung mit den Bläsern, deren Spiel Don Bucefalo abfällig mit dem Gebrüll von Ochsen vergleicht. Die Schlussarie Rosas erinnert dann wieder ganz an Rossinis La Cenerentola oder La donna del lago. Wenn sich Rosa mit halsbrecherischen Koloraturen regelrecht überschlägt, scheint Cagnoni Rossini allerdings nicht zu imitieren, sondern sich eher ein wenig über dessen Stil zu mokieren. So wird es jedenfalls in Newburys Inszenierung angelegt. Cagnonis großartige Belcanto-Musik lebt vor allem von den Sängerinnen und Sängern, und da hat man in Wexford ein stimmlich herausragendes Ensemble zusammengestellt. Jennifer Davis glänzt als Agata mit strahlendem Sopran, so dass man ihren Frust durchaus nachvollziehen kann, ständig nur die Nummer Zwei zu sein. Mit großem Spielwitz versucht sich Davis immer wieder in den Vordergrund zu drängen, allerdings ohne großen Erfolg. Nur der Conte di Belprato scheint ihr gegenüber am Ende nicht abgeneigt zu sein. Wenn Rosa am Ende wieder glücklich mit ihrem Mann Carlino vereint ist, schenkt der Conte nun seine ganze Aufmerksamkeit Agata. Matthew Newlin stattet den Conte mit einem herrlich strömenden Tenor aus und entwickelt bei seinen zahlreichen Annäherungsversuchen großartige Komik. Davide Bartolucci begeistert als Don Marco mit profundem Bariton und wunderbar tollpatschigem Spiel, vor allem, wenn er im dritten Akt bei der Aufführung bei jeder einzelnen Zeile den vorgesagten Text verdreht. Durch großen Spielwitz begeistert auch Filippo Fontana in der Titelpartie. Ein Höhepunkt des Abends dürfte seine Arie als Maestro des Orchesters im dritten Akt sein. Marie-Ève Munger wird der anspruchsvollen Partie der Rosa stimmlich in jeder Hinsicht gerecht. In ihrer Schlussarie beweist sie in den Koloraturen eine unglaubliche Beweglichkeit und Leichtigkeit. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt dürfte auch ihr Duett mit dem Conte di Belprato sein, in dem dieser ihr seine Reichtümer in Form von Obst auf einer grünen Wiese zu Füßen legt. Auch die kleineren Partien sind mit Kezia Bienek als Giannetta und Peter Davoren als Carlino adäquat besetzt. Das Orchester des Wexford Festival Opera beweist unter der Leitung von Sergio Alapont, dass es dem leichtfüßig wirkenden Stil Cagnonis in jeder Hinsicht gewachsen ist. So gibt es am Ende nicht nur frenetischen Jubel für alle Beteiligten, sondern auch stehende Ovationen für eine Produktion und eine Inszenierung, die das Publikum in Wexford im wahrsten Sinne des Wortes von den Sitzen reißt.
FAZIT Wer diese spritzige Inszenierung in Wexford nicht erleben kann, kann sich mit der Live-Aufnahme des Festival della Valle d'Itria aus Martina Franca von 2008 von den Qualitäten dieser wunderbaren Komposition davon überzeugen, dass diese Opera buffa es durchaus verdient, dem Vergessen entrissen zu werden.
Weitere Rezensionen zum
Wexford Festival Opera 2014 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungSergio Alapont Regie Bühne
Kostüme Licht Choreographie Chorleitung
Chor des
SolistenDon Bucefalo
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- Fine -