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Gestrandet am FlughafenVon Thomas Molke / Fotos von Patrick Pfeiffer
Verloren am Flughafen: von links: Il Cavalier Belfiore (Artavazd Sargsyan), Lord Sidney (Baurzhan Anderzhanov), Contessa di Folleville (Sofia Mchedlishvili) und Modestina (Miriam Zubieta) Schönleber hat die Handlung der Oper, die eigentlich im dem Badehotel zur "Goldenen Lilie" in Plombières spielt, wo sich eine illustre Reisegesellschaft aus ganz Europa versammelt hat, um weiter nach Reims zu reisen und dort den Krönungsfeierlichkeiten von Karl X. zum neuen König von Frankreich am 29. Mai 1825 beizuwohnen, an einen Flughafen verlegt. Am Abflugterminal der Lufthansa checken die "Hotelgäste" während der Ouvertüre ein, geben ihr Gepäck auf und lassen die Sicherheitskontrollen über sich ergehen. Der Camerata Bach Chor Posen nimmt dabei unterschiedliche Funktionen ein. Zum einen tritt er als Flughafenpersonal in Form von Stewardessen, Sicherheitskontrollen und Putzkolonnen auf, was wohl den Bediensteten des Badehotels entsprechen soll. Zum anderen lungern allerdings auch einige Sängerinnen und Sänger an diesem Flughafen herum, denen der Weg durch die Sicherheitskontrollen verweigert wird. Soll damit auf die Asylproblematik angespielt werden? Maddalena und Madama Cortese wirken in ihren blauen Kostümen wie die Chef-Stewardessen. Während Silvia Aurea De Stefano als Maddalena sich in ihrer Einleitung "Presto, presto" recht kratzbürstig den anderen Stewardessen und der Putzkolonne gegenüber präsentiert, tritt Annalisa d'Agosto als Madama Cortese mit einem gekünstelten Dauergrinsen auf, das sie selbst aber auch nur mit einigen Pillen aufrechterhalten kann. Noch vor ihrem Auftrittsgesang "Di vaghi raggi adorno", in der sie bedauert, dass sie die Reisegesellschaft nicht nach Reims begleiten kann, hängt sie ein Schild auf, dass der Flug ausfallen muss. Nun heißt es also, am Flughafen auszuharren, bis eine andere Gelegenheit gefunden wird, nach Reims zu gelangen. Annalisa d'Agosto begeistert in ihrem Gesang mit sauber geführten Spitzentönen und leicht perlenden Koloraturen. Wenn sie allerdings im Folgenden dem Personal im Parlando-Stil Anweisungen gibt, um die Abreise vorzubereiten, spielen die Virtuosi Brunenses unter der Leitung von Antonino Fogliani ein bisschen zu stürmisch auf, so dass ihr Gesang in der Musik leider ein wenig untergeht. Missglückter Flirt-Versuch: Corinna (Guiomar Cantó) zeigt sich für das Werben des Cavalier Belfiore (Artavazd Sargsyan) unempfänglich. Dann hat Sofia Mchedlishvili, die in der Partie der Contessa di Folleville bereits eine Woche zuvor bei der konzertanten Aufführung im Königlichen Kurtheater brillierte, ihren großen Auftritt. Während alle Reisenden nach der Absage des Flugs ihr Gepäck zurückerhalten haben, sind ausgerechnet die beiden Koffer der Contessa nicht da, ein geschickter Inszenierungs-Clou für die Tatsache, dass die Garderobe, die die Contessa eigentlich aus Paris angefordert hat, durch ein Kutschenunglück verloren gegangen ist. Dieses Dilemma reicht natürlich für einen dramatischen Auftritt, den Mchedlishvili absolut divenhaft in Szene setzt. Mit Miriam Zubieta steht ihr als Dienstmädchen Modestina eine Darstellerin zur Seite, die durch expressive Schnodderigkeit und Respektlosigkeit ihren Mitmenschen gegenüber begeistert. Wahrscheinlich könnte man anders jemanden wie die Contessa auch gar nicht ertragen. Mit glasklaren Koloraturen und einer atemberaubenden Beweglichkeit in den Höhen bringt Mchedlishvili mit ihrer Arie "Partir, oh ciel! desio", in der die Contessa beklagt, dass sie ohne ihre Garderobe keineswegs die Reise antreten kann, das Publikum zum Toben. Auch darstellerisch beweist Mchedlishvili mit überzeichnetem komischen Spiel, dass diese Contessa ihrem Namen Folleville alle Ehre macht, vor allem wenn ein geretteter Hut - kleines Manko in der Inszenierung, weil hier nicht motiviert wird, woher dieser Hut plötzlich auftauchen soll, da er nicht zum aufgegebenen Reisegepäck gehörte - die Contessa sofort in Jubelstimmung zu versetzen mag. Nur gucken, nicht anfassen: Conte di Libenskof (Carlos Cardoso, Mitte) muss die Marchesa Melibea (Olesya Chuprinova, Mitte) beim Anblick des leidenschaftlichen Don Alvaro (Matija Mei ć, rechts) zurückhalten (links: die Contessa di Folleville (Sofie Mchedlishvili)).Das nachfolgende Sextett wird ebenfalls gut in Szene gesetzt. Carlos Cardoso und Matija Mei ć posieren dabei als Streithähne Conte di Libenskof und Don Alvaro auf zwei Podesten mit machohaften Posen um die Gunst der polnischen Marchesa Melibea. Cardoso überzeugt als russischer Conte mit einem durchschlagenden Tenor, wobei er in den Höhen etwas vorsichtiger sein sollte. Zwar trifft er jeden Ton absolut sauber, aber man hat das Gefühl, dass er ein wenig forciert, was seiner Stimme auf die Dauer schaden könnte. Meić begeistert als Don Alvaro mit profundem Bass und strotzt darstellerisch vor Testosteron. Während die beiden männlich pubertär ihre Bereitschaft zum Duell verkünden, drehen sich d'Agosto und Olesya Chuprinova als Marchesa Melibea etwas hilflos im Kreis, weil sie keine Möglichkeit sehen, die beiden Streithähne zu beruhigen. Erst der zarte Gesang Corinnas kann die beiden zur Raison bringen. Im Hintergrund öffnen sich zwei Bühnenelemente, und man sieht auf der linken Seite Guiomar Cantó als Corinna verträumt an einem Tisch, während auf der rechten Seite die Harfe positioniert ist, zu deren Klängen Cantó mit sauber geführtem Sopran die Harmonie wieder herstellen kann. Am Ende fallen sich Cardoso und Meić sogar in die Arme.Entspannte Harmonie im Finale: von links: Madama Cortese (Annalisa d'Agosto), Contessa di Folleville (Sofia Mchedlishvili), Marchesa Melibea (Olesya Chuprinova), Conte di Libenskof (Carlos Cardoso), Don Profondo (Lucas Somoza Osterc) und Il Barone di Trombonok (Bruno Praticò) Baurzhan Anderzhanov glänzt in der nachfolgenden Arie "Invan strappar dal core", in der er seine bis jetzt leider unerfüllte Liebe zu Corinna zum Ausdruck bringt, mit markantem Bassbariton. Seine glaubhaft dargestellte Melancholie steht im großen Kontrast zu der Selbstgefälligkeit des Chevalier Belfiore, den Artavazd Sargsyan, Preisträger des letztjährigen Belcanto Prize bei der Akademie BelCanto, mit strahlendem Tenor und wunderbaren Don-Juan-Allüren interpretiert. Sein folgendes Duett mit Cantó "Nel suo divin sembiante", in der der Cavalier der Römerin unverhohlen den Hof macht, wird stimmlich und darstellerisch zu einem weiteren Höhepunkt des Abends. Sargsyan beweist dabei großartiges komödiantisches Talent, wenn er sich immer wieder an den Dornen der Rosen verletzt, sich aber absolut mannhaft nichts anmerken lassen will. Lucas Somoza Osterc ist für die Partie des Don Profondo leider noch etwas zu jung. Zwar verfügt sein Bariton in der großen Katalogarie "Medaglie imcomparabile" über den erforderlichen Parlando-Stil, besitzt aber noch nicht die Durschlagskraft, um sich dabei immer gegen das Orchester zu behaupten. Auch bei der Imitation der unterschiedlichen Nationalitäten fehlt ihm noch ein wenig die Buffo-Erfahrung. Umso beeindruckender gelingt das große Ensemble, das das Ende des ersten Teils markiert. Auch wenn hier statt 14 Stimmen nur 13 zu hören sind, da Zubieta sowohl Delia als auch Modestina darstellt, und der vorherige A-capella-Teil "Ah! A tal colpo inaspettato" folglich nur von 12 Solisten angestimmt werden kann, gibt es in der Trinkhalle kein Halten mehr, und das Publikum bricht in frenetischen Jubel aus.
Nach der Pause begeistern Olesya Chuprinova als Marchesa
Melibea mit warmem Mezzo und herrlicher Beweglichkeit in den Koloraturen und
Cardoso als Libenskof mit leidenschaftlichem Tenor in einem Versöhnungsduett,
das auch durch die große Spielfreude der beiden Solisten überzeugt. Warum
Schönleber im anschließenden Finale die Damen des Chors mit Helmen auftreten
lässt, um an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu erinnern, erschließt sich
nicht ganz. Auch bei den folgenden Nationalhymnen tritt den Interpreten eine
Chordame im jeweiligen militärischen Outfit zur Seite. Wenn am Ende alle in
großen Jubel ausbrechen und der friedlichen Herrschaft des französischen Königs
eine lange Zeit wünschen, sieht man erneut Soldaten im Hintergrund, dieses Mal
in moderneren Uniformen, was wahrscheinlich andeuten soll, dass auch die Jahre
nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Zusammenwachsen Europas nicht überall den
ersehnten Frieden gebracht haben. All diese Andeutungen sind für das Stück
eigentlich unbedeutend, werden von Schönleber allerdings auch so dezent
gehalten, dass sie den Genuss des Werkes in keiner Weise stören. Antonino
Fogliani führt die Virtuosi Brunenses mit leichter Hand durch die Partitur und
nutzt zahlreiche Gelegenheiten, um mit den Solistinnen und Solisten in
Interaktion zu treten, wenn diese ihre stimmlichen Verzierungen mal wieder
bewusst übertreiben und vom Maestro scheinbar zur Raison gebracht werden müssen.
Auch der Camerata Bach Chor Posen unter Leitung der selbst mitsingenden Ania
Michalak begeistert durch große Spielfreude, so dass es am Ende lang anhaltenden
und frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Il viaggio a Reims funktioniert auch mit einem sehr jungen Ensemble. Es
ist unglaublich, wie viel musikalische Sprengkraft in dieser "Cantata" steckt.
Auch Schönlebers szenische Umsetzung verdient wie die konzertante Aufführung im
Kurtheater die Bezeichnung "Festaufführung".
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Wildbad 2014 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAntonino Fogliani Inszenierung Regie Mitarbeit Choreographie Bühne Kostüme Licht Chor
Camerata Bach Chor Posen Virtuosi Brunenses
SolistenCorinna
Marchesa Melibea
Contessa di Folleville
Madama Cortese
Il Cavalier Belfiore
Conte di Libenskof
Lord Sidney Don Profondo Il Barone di Trombonok Don Alvaro Don Prudenzio
Don Luigino / Zefirino / Gelsomino
Delia / Modestina Maddalena
Antonio
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- Fine -