Im Sande verweht
Von Roberto Becker
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Foto von Pascal Victor
Diese Entführung begann mit einer Irritation. Als Vorspiel und medialer Begleitmusik außerhalb des Theaters. Gab doch der Chef des Münchner Residenztheaters Martin Kusej, der als Regisseur eingeladen worden war, zu Protokoll, dass er über einen Eingriff in seine Inszenierung verärgert sei, weil dieser sie "entschärfen und sie insgesamt auf ein gut konsumierbares Niveau herunterpegeln" würde. Es ging um zwei vom Festivalchef Bernard Foccroulle erbetene Veränderungen, mit denen Kusej auf den Terroranschlag in Paris, vor allem aber auf die jüngste Enthauptung in Lyon reagieren wollte. Nach Ansicht des Festivalchefs wären die Anspielungen auf die Terrormiliz Islamischer Staat nach diesen Frankreich und den Westen schockierenden Ereignissen "auf einer Opernbühne nicht sachdienlich erschienen" und seine Intervention nicht als Zensur, sondern als Reife zu verstehen.
Selim Bassa und Konstanze - seltsame Wüstenromantik
Der Regisseur wollte das versöhnliche Ende der Mozartoper mit ihrem Toleranzoptimismus unserer in dieser Frage so gar nicht optimistischen Realitäten anpassen und deutlich machen, dass der "Terrorismus jegliche positive Utopie zerstört". Osmin sollte die in blutige Fetzen gewickelten Köpfe der enthaupteten Gefangenen dem Selim Bassa vor die Füße werfen. Davon blieben in der Premierenfassung nur die blutigen Fetzen übrig, die Osmin auf die Bühne zurückbringt, nach dem er mit den Gefangenen und einer Eskorte aus seinen Kämpfern schon abgegangen war. Als Metapher bleibt das auch so ein starkes Schlussbild. Ein zweiter Eingriff bezog sich auf einen arabischen Schriftzug auf einem schwarzen Banner. Osmin und seine Leute posierten mit den gefangenen Frauen und Belmonte um den bis zum Hals im Sand vergrabene Pedrillo, von dem nur noch der Kopf zu sehen war, und bedrohten sie mit ihren Waffen. Mit einer Kamera aus den zwanziger Jahren wurde von dieser Gruppe ein Film gedreht und damit die heutigen IS-Enthauptungsvideos imitiert. Den eigentlich vorgesehenen arabischen Schriftzug gab es nun nicht. Es blieb nur das schwarze Banner.
Pedrillo im Kreise der Bewacher
Wenn Musikfestspiele wie die in Aix-en-Provence in Mittelmeer-Nähe stattfinden und das Land gerade Akte der Barbarei wie in Paris und Lyon verkraften musste, ist die Sensibilität für den Umgang mit den Bildern der Terrors sicher besonders geschärft. Und man möchte nicht in der Haut der Verantwortlichen stecken, hier abzuwägen und möglicherweise sogar einzugreifen. Das hat schon eine andere Qualität als die nachträgliche Korrektur einer Tannhäuser-Inszenierung in Düsseldorf, die in Deutschland die Gemüter erhitzte.
Beim jüngsten Fall in Südfrankreich meint man eine reale Gefahr zu spüren und muss wohl die Entscheidung der Verantwortlichen respektieren, ohne gleich die Zensurkeule herauszuholen. So ähnlich muss es auch Kusej gesehen haben, denn nachdem er lautstark via Erklärung protestierte, blieb er doch zum Schlussapplaus.
Der viel freilich recht mau aus. Was einerseits an bestenfalls guten, aber nicht außergewöhnlichen Gesangleistungen und einem matten Eindruck des Freiburger Barockorchesters, diesmal unter dem jungen Dirigenten Jérémie Rhorer, vor allem aber an der Inszenierung einschließlich der von Albert Ostermaier beigetragenen überarbeiteten Dialoge gelegen hat. Die Eingriffe spielen dabei eine eher untergeordnete Rolle.
Abschied des Selim Bassa von Konstanze, Pedrillo, Blonde und Belmonte - er hat freilich die Rechnung ohne Osmin gemacht.
Kusej hat die Entführung in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg verortet, wobei man das allenfalls der Bewaffnung der Kämpfer anmerkt und weniger der Alltagskleidung (Kostüme: Heide Kastler), mit der die Engländer hier in der Wüste herumlaufen. Die gesamte Bühne hat Annette Murschetz als Wüste hergerichtet, mit viel Sand, einem stimmungsvollen Horizont und einem Beduinenzelt, in dem der Bassa und offenbar auch alle anderen übernachten. Wenn sie nicht des Nachts am Lagerfeuer sitzen wie Konstanze im Luxus- Nachtgewand, die etwas über ihr Schicksal zu Protokoll gibt und sich von den Bewaffneten begrapschen lässt.
Tobias Moretti ist natürlich eine Luxusbesetzung für die Sprechrolle im Stück und er schafft es sogar, mit den etwas gewollt zwischen hohem lyrischen Ton und Slang changierenden, überarbeiteten Sprechtext (feige sein reimt sich da auf Feige essen) gegen Ende hin klar zu kommen. Wenngleich er meist auf jenes Pathos setzt, mit dem er sich im einzigen aus dem Rahmen der Konvention fallenden Bild der Inszenierung, als blutüberströmter und von Rosen überdeckter, verschmähter Liebhaber zur Martern-Arie vor Konstanze in Szene setzt. Ansonsten bleibt Belmonte, obwohl Daniel Behle mit seiner geschmeidigen Stimme sein Bestes tut und neben Franz Josef Seligs Osmin den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt, eher im Klischee des Europäer stecken, dem nichts besseres in den Sinn kommt, als den bis zum Hals im Sand vergrabenen Pedrillo (markant und beweglich: David Portillo) nach der Treue seiner Konstanze zu befragen. Wenn sich diese Freizeit-Europäer davon stehlen, dann versuchen sie barfuß und ohne etwas auf dem Kopf, mit einem Schlückchen Wasser in der Flasche tagelang durch die Wüste zu rennen, bis Osmin sie einholt und der Teil der Inszenierung beginnt, der die Geschichte aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, die "gemeint" war, in die Gegenwart holt, die immer mehr die Geschichte der in die Hände der extremistischen Moslems (a la Osmin) gelangten Europäer überblendet.
Die Erwartungen, die der Ansatz von Kusej und seine ja schon öfter auch in der Oper bewiesene Fähigkeit, auf die Nachtseiten der Existenz zu blicken, weckten, die erfüllt er in Aix-en-Provence mit seiner über weite Strecken rampennah und opernkonventionell nacherzählten Entführung aus dem Beduinenzelt nicht.
Immerhin sind Jane Archibald als Konstanze und Rachel Gilmore als Blonde vokal mit ihren gesungenen Passagen auf der Höhe. Mit dem deutsch und englisch gemischten Teil ihrer Sprechpassagen tun sie sich schon schwerer. Leider schafft es auch das Orchester nicht, die Lücken, die die nachgedrechselten Sprechpassagen reißen, gedanklich und emotional zu überbrücken. Da bleibt Rohrer mit dem enttäuschenden Orchester in Residenz zu sehr im Ungefähren.
FAZIT
Vor allem gemessen an den hohen Erwartungen und den Aufregungen im Vorfeld ist diese Entführung aus dem Serail eine Enttäuschung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Jérémie Rhorer
Inszenierung
Martin Kusej
Bühne
Annette Murschetz
Kostüme
Heide Kastler
Licht
Reinhart Traub
Dramaturgie
Albert Ostermaier
Freiburger Barockorchester
Solisten
Selim Bassa
Tobias Moretti
Konstanze
Jane Archibald
Blonde
Rachele Gilmore
Belmonte
Daniel Behle
Pedrillo
David Portillo
Osmin
Franz-Josef Selig
Schauspieler
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