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Musikalische Topografie zwischen Tradition und Moderne
erkundet
Von Christoph Wurzel / Fotos: Monika Rittershaus Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war Wien zum (mindestens) zweiten Mal in der jüngeren Musikgeschichte zur Hauptstadt der europäischen Musik geworden. Gerade waren Brahms, Bruckner, Mahler hier die bestimmenden musikalischen Größen gewesen, da brach sich gleichzeitig der Aufbruch in die Moderne Bahn. Zuerst hatte Arnold Schönberg das Fenster zu neuen Welten aufgestoßen, Alban Berg und Anton Webern folgten ihm als seine Schüler auf dem Weg zur neuen Musik. Aber wie fruchtbar zwischen den Polen Tradition und Moderne sonst das Feld der musikalischen Kreationen war, wollten die Philharmoniker bei den diesjährigen Osterfestspielen ausloten. „Wien um 1900“ lautete das Motto der Meisterkonzerte, derer sie an ihren elf Residenztagen in Baden-Baden insgesamt dreizehn bestritten. Und dies an Orten, die in ihrer Vielfalt von besonderem Reiz waren und jeder eine eigene Atmosphäre ausstrahlte. Eine kleine Auswahl dieser etwa einstündigen Kammerkonzerte haben wir besucht. Die ganze Bandbreite der musikalischen Ausdrucksformen dieser Zeit kam im Programm gleich des ersten Meisterkonzerts zum Klingen, wo Klarinetten-Kammermusik von Alexander Zemlinsky, Alban Berg und Carl Frühling auf dem Programm stand. Letzterer (und zugleich Ältester dieser Drei) ist heute nahezu vollkommen vergessen, nicht einmal einschlägige Lexika verzeichnen mehr seinen Namen. Im Wien um 1900 muss er aber keine unbedeutende Rolle gespielt haben. Immerhin war er Begleiter u. a. des damaligen Geigenstars Bronislaw Hubermann, der in spektakulären Konzerten mit den Berliner Philharmonikern dem damals darbenden Privat-Orchester finanziell kräftig auf die Beine geholfen hatte. Von Frühling spielten Walter Seyfahrth (Klarinette), Hendrik Heilmann (Klavier) und Knut Weber (Violoncello) das um 1900 komponierte Trio op. 40 in a-Moll, in dem sich der Komponist als tief verwurzelt in der romantischen Tradition erweist. Gleichwohl kamen in der Interpretation der philharmonischen Solisten die Reize des Stücks blendend zur Wirkung, besonders im anmutigen zweiten Satz, in dem die Klarinette im Tonfall volkstümlicher Wirtshausschrammeln schwelgen darf. Exzellentes Zusammenspiel brachte auch die finale Steigerung des Werks beeindruckend zur Wirkung. Am Beginn dieses Konzerts stand Zemlinskys Trio in d-Moll von 1896, ein Beleg für dessen Position an der Schwelle hochexpressiver Spätromantik zu den neuen Klangwelten sich auflösender Tonalität. Es gelang eine packende Interpretation, die nicht allein die starke Expressivität, sondern auch die innere Dramatik dieses Werk betonte. Welcher Kontrast dazu Bergs lakonische Kürze in seinen 3 Stücken für Klarinette und Klavier, die in der Mitte des Programms standen: Stücke voller klanglicher Raffinesse, überraschender Wendungen und motivischer Verknappung – in kongenialer Übersetzung durch Walter Seyfahrt und Hendrik Heilmann. Wie Carl Frühling so war im Wiener Musikleben damals auch Robert Fuchs ein Vertreter der konservativen Richtung, in seinem Komponierstil stark rückwärtsgewandt, aber noch viel mehr als jener eine Koryphäe der damaligen Musikwelt. Selbst ausgebildet von Brahms und Bruckner wurde er begehrter Kompositionslehrer am Konservatorium der Musikfreunde. Die halbe Elite der Zeit ging durch seine Schule: Wolf, Strauss, Sibelius, Schreker, Zemlinsy und Gustav Mahler. So standen in dem Konzert im Burda – Museum zwischen den Bildern der laufenden Ausstellung von Arnulf Rainer Werke von Fuchs, dem Lehrer und Mahler, dem Schüler Seite an Seite. Die beiden trennen nur dreizehn Jahre Altersunterschied, aber Welten trennen ihre musikalischen Sprachen. Die von Martin Stegner, Viola und Tomoko Takahashi, Klavier zuerst gespielten drei Fantasiestücke aus op. 117 von Fuchs zeigten den Komponisten als deutlich an Brahms bzw. Schubert orientiert, so dass sich der im damaligen Wien grassierende Spottvers „Fuchs, das hast du ganz gestohlen“ zu bewahrheiten schien. Im fis-Moll- Trio op. 115 dagegen erwies sich Fuchs’ Komposition dann in individuellerer Faktur mit intensiver motivischer Arbeit und reizvoller Melodik, besonders im Andante-Satz; mit ziemlich akademisch gezwungenem Humor dagegen im folgenden Allegretto scherzando. Dennoch gelang im Verein mit dem Geiger Àlvaro Parra eine engagierte Interpretation, die nur durch die Prädominanz des Klaviers ob der ungünstigen Akustik in diesem Museumsraum ein wenig ungleichgewichtig erschien. In den vom Bratschisten in schönstem cantabile gestalteten Bearbeitungen der Mahlerschen Rückertlieder kamen deren melodische Schönheit besonders eindrucksvoll zur Geltung. Martin Stegner führte seine Bratsche mit makelloser Phrasierung und hochsensibler dynamischer Abstimmung so anrührend, wie es kaum eine Gesangsstimme so klar und bruchlos vermocht hätte. Anna Prohaska mit Solisten der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Duncan Ward im Weinbrennersaal des Kurhauses Natürlich ist Mahler im Wien um 1900 einer der Fixsterne. Nicht lange danach aber musste er heftigen antisemitischen Anfeindungen ausweichen und ging für kurze Zeit nach Amerika. Zwei seiner Lieder (allerdings aus einer früheren Zeit) standen auch auf dem Programm von Anna Prohaska. Und sie waren die interpretatorischen Trouvaillen dieses Konzerts: Wer hat dies Liedlein erdacht und besonders Der Kuckuck und die Nachtigall, in dem Mahler heftig über Ignoranten und Dummköpfe spottet. Und solche vergifteten das kulturelle Klima damals nicht unerheblich. In die Geschichte eingegangen ist ja ein Konzert des Schönberg-Kreises, bei dem sogar Watschen verteilt wurden. In Mahlers Lied ist es bezeichnenderweise der Esel, der hier die Weisheit gepachtet hat und Anna Prohaska sang von dessen „hohem Verstand“ mit köstlicher Ironie, wozu Andreas Ottensamer auf der Klarinette die entsprechenden Kiekser und Stefan Dohr mit dem Horn die Stimmung passender Behäbigkeit beisteuerten. Von Webern sang Anna Prohaska in diesem Konzert zwei sehr selten zu hörende Lieder auf Gedichte von Rilke und führte das Publikum musikhistorisch auch zurück zu Johannes Brahms. Besonders dessen Gestillte Sehnsucht sang sie mit empathischer Wärme und ließ in dieser Rückert-Vertonung dessen Weltentrückung eindrucksvoll durchklingen. Auch hier begleitete anstelle der im Original vorgesehenen Bratsche Andreas Ottensamer mit seidenweichem Klarinettenton. José Gallardo steuerte sensibel den Klavierpart bei. Anton Weberns Konzert für neun Instrumente op. 24, kaum sechs Minuten aphoristisch pointierte Musik in drei Sätzen aus funkelnden Klangfarben, Ping-Pong-Tonspielen und schillernd klingenden Flächen bildete fast provokativ den anspruchsvollen Einstieg. Mit dem Hirt auf dem Felsen gab es den versöhnlichen Abschluss dieses schönen Konzerts. Wie eine dramatische Szene gestalteten Prohaska, Ottensamer und Gallardo dieses Schubert-Lied, ließen darin aber auch die seelischen Tiefen aufscheinen. Den Kontrast zur Wiener Moderne um 1900 bildete das Konzert mit Kompositionen für Streichquartett von Hugo Wolf und Ludwig van Beethoven sowie von Mozart (mit Verstärkung der Klarinette). Hier kamen vor allem heitere Seiten zum Zuge, zuerst in Wolfs Italienischer Serenade G-Dur, die Thomas Timm und Romano Tommasini (Violine), Wolfgang Talirz (Viola) und die sich perfekt einbindende junge Stipendiatin der Orchester-Akademie der Philharmoniker Manon Gillardot am Cello mit beseelter Melodik und vitalem Schwung darboten. Und abschließend Mozarts wundervolles A-Dur- Klarinettenquintett KV 581, dessen Larghetto zu einem Gipfel an Empfindsamkeit geriet, in dem Wenzel Fuchs’ Klarinette mit den vier Streichern zu einem harmonischen Ganzen verschmolz. Mit Schwung und Esprit führten die Musiker dann im Allegretto-Schlusssatz vor, wie genial Mozart aus einem banalen Gassenhauer mit scheinbar leichter Hand ein Kunstwerk filigraner Variationen entstehen lässt. Das Mittelwerk bildete Beethovens drittes Rasumowsky-Quartett op. 59 in einer eminent ausgefeilten Interpretation voll klanglicher Finessen und virtuosem Schwung. Das Philharmonische Streichquartett mit Thomas Timm (Violine), Romano Tommasini (Violine), Wolfgang Talirz (Viola) und Manon Gillardot, Violoncello im Renaissancesaal des Casinos Wie Mahler hatte auch Arnold Schönberg unter dem muffigen Wiener Kulturleben zu leiden. So kam es, dass ein Meilenstein der Wiener Moderne in Berlin entstand: Sein Opus 21 Pierrot lunaire komponierte Schönberg während seiner Berliner Zeit als Kompositionslehrer am dortigen Konservatorium. Mit der Vertonung dieser Texte des belgischen Lyrikers Albert Giraud aus düsterer Romantik, schwarzem Humor und absurder Skurrilität etablierte Schönberg endgültig die freie Atonalität als das zentrale Prinzip der musikalischen Moderne. Weniger „Lieder“ sind diese 21 Gedichte in Schönbergs Vertonung eher Melodramen, deren Vortragsweise er sich ausdrücklich (bis auf wenige Stellen) nicht gesungen, sondern in genau vorgeschriebener Tonhöhe rezitiert vorstellt. Laura Aikin erfüllte diese Vorgabe des Komponisten in der Baden-Badener Aufführung exakt. Auch durch die präzise Ausführung der instrumentalen Stimmen kamen die blitzschnell wechselnden, überraschenden Klangeffekte dieser Musik großartig zur Geltung. Leider ließ die problematische Akustik im Historischen E-Werk die Stimme der Interpretin nicht in wünschenswertem Maße hervortreten, aber in der Gestaltung gab Laura Aikin den Aussagen der Texte klare Kontur, ohne übermäßige interpretatorische Beigaben. So gelang jener Grad an Verfremdung, den Schönberg intendiert haben mag, indem er die Instrumente als Kommentar und Konterpart der Stimme eingesetzt hat. In diesem Sinne gelang eine mustergültige Interpretation durch dieses hervorragend aufeinander eingespielte und zudem technisch brillant agierende Philharmoniker-Ensemble. FAZIT „Wien um 1900“ erwies sich als überaus tragfähiger Leitgedanke für die diesjährigen Meisterkonzerte. Wer Gelegenheit hatte, mehrere Konzerte zu besuchen (bei dem Preis von je 20 € auch leichter machbar gegenüber den Eintrittspreisen bei Oper und Konzert) bekam ein breites Spektrum der Musik jener Epoche geboten. Und dies zudem von durchweg exzellenten Musikerinnen und Musikern, die sich auch auf kammermusikalischem Gebiet von allerbester Seite zeigten. Weitere Rezensionen zu den Osterfestspielen 2015
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Die Programme: (Auswahl) 28. März 2015 Florentinersaal im Kurhaus Baden-Baden Klarinettentrio Werke von Zemlinsky, Berg und Frühling Walter Seyfarth, Klarinette Knut Weber, Violoncello Hendrik Heilmann, Klavier 28.März 2015 Weinbrennersaal im Kurhaus Baden-Baden Mit Anna Prohaska in Wien Werke von Webern, Brahms, Mahler und Schubert Anna Prohaska, Sopran Andreas Ottensamer, Klarinette Támas Velenczei, Trompete Stefan Dohr, Horn Marie-Pierre Langlamet, Harfe Luiz Filipe Coelho, Violine Amihai Grosz, Viola Stephan Koncz, Violoncello Egor Egorkin, Flöte Jonathan Kelly, Oboe Olaf Pott, Posaune Duncan Ward, Dirigent 30. März 2015 im Burda Museum Baden-Baden Fuchs und Mahler Werke von Robert Fuchs und Gustav Mahler Álvaro Parra, Violine Martin Stegner, Viola Tomoko Takahashi, Klavier 1. April 2015 Florentinersaal im Kurhaus Baden-Baden Wolf, Beethoven und Mozart Werke für Streichquartett und Klarinettenquintett von Hugo Wolf, Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart Wenzel Fuchs, Klarinette Thomas Timm, Violine Romano Tommasini, Violine Wolfgang Talirz, Viola Manon Gillardot, Violoncello 2. April 2015 Historisches E-Werk Arnold Schönberg Pierrot lunaire op. 21 Laura Aikin, Stimme Jelka Weber, Flöte Manfred Preis, Klarinette Majella Stockhausen, Klavier Andreas Buschatz, Violine, Viola David Riniker, Violoncello
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