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Musikfestspiele
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Bregenzer Festspiele 2015

Turandot

Lyrisches Drama in drei Akten und fünf Bildern
Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach dem Schauspiel von Carlo Gozzi
Musik von Giacomo Puccini mit Ergänzungen von Franco Alfano

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 2 h (keine Pause)


Premiere auf der Seebühne Bregenz am 22. Juli 2015
(rezensierte Aufführung: 31. Juli 2015)

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Bregenzer Festspiele
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Herr Puccini weiß hier auch keine Lösung

Von Stefan Schmöe / Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Den Bregenzer Enten hat's offenbar gefallen. Jedenfalls schwammen einige während der Aufführung um die Seebühne herum, laut schnatternd (und zumindest das ist aus dieser Aufführung zu lernen: Enten können ziemlich laut schnattern), und, wie es scheint, das Geschnatter (in gewissen Grenzen, zugegeben) dem Stil der Musik entsprechend differenzierend. Das gehört eben auch zu den Bregenzer Festspielen, wie auch das Knattern verspäteter Motorboote oder das verführerisch schöne Aufleuchten der Stadt Lindau am gegenüber liegenden Bodenseeufer. Open-Air-Theater lebt auch vom Drumherum. Wer sich, wie jetzt Marco Arturo Marelli, der heiklen Aufgabe stellt, Oper für die Seebühne zu inszenieren, der muss nicht nur so etwas einplanen, er muss vor allem den Spagat bewältigen, sowohl ein (zahlenmäßig großes) Gelegenheitspublikum als auch sehr kenntnisreiche Opernfans zu bedienen. Die große Show mit ein paar Häppchen Regietheater sozusagen.


Vergrößerung in neuem Fenster Chinesische Mauer im Bodensee (Regie und Bühne: Marco Arturo Marelli)

Beginnen wir mit letzteren. Ob gezielte Programmplanung oder Zufall, beide bei den diesjährigen Festspielen aufgeführte Hauptwerke sind unvollendet geblieben: Hoffmanns Erzählungen im Festspielhaus fehlt ebenso das definitive Finale wie der Turandot auf der Seebühne, und beide Regisseure beschwören vorsorglich den Komponisten persönlich herbei. Bei Stefan Herheims Hoffmann unterstrich das als Pointe am Rande den Revuecharakter seiner Offenbach-Inszenierung, Marelli identifiziert den Komponisten Puccini gleich mit der männlichen Hauptfigur der Oper, dem Prinzen Calaf, der Turandots Rätsel löst und sich damit den Rang ihres Gatten ersingt. Zur Liebe ist sie allerdings erst nach einem Lernprozess fähig, der einsetzt, nachdem sich die Dienerin Liú aus Liebe zu Calaf (und um dessen Identität nicht preisgeben zu müssen) selbst getötet hat. An dieser Stelle wusste der bereits todkranke Puccini kompositorisch nicht mehr weiter: Welche Musik soll nach Liús ergreifenden Sterbeszene Turandots Wandlung zur liebenden Frau plausibel machen? Regisseur Marelli sieht hier eine Parallele zu Calafs Ratlosigkeit, wie Turandot zur Liebe bewegt werden könne. Und folglich setzt er Calaf und Puccini gleich. Ein Fall fürs Programmheft, da kann man solche Gedanken nachlesen (ohne diese Hilfe wäre das wohl nicht erkennbar). Wirklich tragfähig als Regieansatz ist das auf der Bühne nicht, und eigentlich müsste Marelli dann konsequenterweise ohne den von Franco Alfano nach Skizzen Puccinis nachkomponierten Schluss spielen lassen. Dann gibt es auch noch ein darstellerisches Problem: Rafael Rojas singt den Calaf-Puccini zwar sehr ordentlich, mit relativ eintönigem Timbre zwar, aber sicherer und ausdauernder Höhe, aber er spielt, vorsichtig gesagt, lustlos.

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Chinesische Bürokratie: Aufgabe der Minister Ping, Pang und Pong ist es, die Köpfe der Bewerber, die Turandots drei Rätsel nicht lösen konnten, zu archivieren

Kommen wir also zur großen Show. Marelli, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, hat ein Stück chinesische Mauer in den See gesetzt, die sich wie ein schlanker Drache windet und in einen angedeuteten Teepavillon ausläuft. Senkrecht dazu wandert ein Trupp Terracotta-Soldaten unter dem Mauer-Wurm hindurch in den See. Im Kreuzungspunkt befindet sich, leicht erhoben, eine kreisförmige Spielfläche, und die kann aufklappen wie eine Taschenuhr, und die Innenseite des Deckels ist bestückt mit einer gewaltigen Matrix aus LEDs. Zur Rätselszene leuchtet darauf ein maskenartiges Gesicht auf (in verblüffender Schärfe), der stärkste Effekt des Abends – ansonsten wird dieser Bildschirm leider eher nebensächlich genutzt. Aber diese Bühne (zu der am Rand noch eine blaue rechteckige Fläche gehört, der Puccinis Zimmer andeutet) gibt schon einiges her. Die Kostüme von Constance Hoffmann dagegen sind arg kleinteilig geraten und angesichts der großen Abstände zur Bühne kaum zu erkennen. Mal erinnert das Volk an graue Arbeiter, was Unterdrückung suggeriert, mal erscheint es offenbar in der Mode der 1920er-Jahre, was sich nicht recht erschließt. Und immer wieder sind Kostüme einfach bunt und unbestimmt folkloristisch, und fast hat man den Eindruck, als habe Marelli Kampfszenen und Feuerzauber widerwillig hinzugefügt, so offensichtlich bleiben die entsprechenden Szenen äußerlicher Dekor.


Vergrößerung in neuem Fenster Ungleiches Quizduell: Drei Rätsel muss Calaf lösen, um seinen Kopf zu retten

Im Festspielmagazin lässt Marelli sich mit der Bemerkung zitieren, er habe China-Romantik oder „China-Restaurant-Kitsch“ vermeiden wollen. Journalistische Unschärfe mag seine Äußerungen dabei missverständlich widergegeben haben, denn mit China-Romantik ist der Bühnenbild-Ansatz ganz gut beschrieben. Chinesische Mauer, Drache, Seidenpapier-Lampions – das sind natürlich die Ingredienzen eines verklärten China-Bildes, und bei den gewaltigen Abmessungen der Bregenzer Bühne überlagert das eine in den Kostümen angedeutete überzeitliche Interpretation. Liú ist ein sehr junges Mädchen mit Zöpfen, von Marjukka Tepponen anrührend kindlich gespielt und mit tragfähiger, nicht zu leichter und auch nicht zu jugendlicher Stimme gesungen. Damit stellt sie Erika Sunnegardh in der Titelpartie klar in den Schatten, weil sich die Stimmen zu ähnlich sind – für deren lyrisch temperierte Stimme, der die dramatischen Reserven fehlen und die im Forte zu einem flackernden (und dadurch ungenau intonierenden) Vibrato neigt, wäre wohl auch die Liú die passendere Partie. Der Eispanzer, den Turandot auch stimmlich andeuten müsste, kann sie überhaupt nicht glaubwürdig vermitteln. Mit viel Witz und seht homogen agieren Thomas Oliemans, Peter Marsh und Kyungho Kim als Minister Ping, Pang und Pong, Dimitri Ivashenko ist ein klangschöner, ein wenig braver Timur.

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Im Finale löst sich dann alles ganz konventionell auf: Calaf-Puccini findet zu seiner Turandot.

Ganz ausgezeichnet singen die Chöre, mit schlankem, vibratoarmem Klang. Paolo Carignani am Pult der guten Wiener Symphoniker hebt die spezifischen, wechselnden Klangfarben hervor und lässt manche Passage ziemlich schroff ertönen. Man soll wohl ruhig merken, dass Turandot 1920 komponiert wurde und Puccini auch Strawinskys Sacre du printemps kannte – da wirkt der Tophit des Stücks „Nessun dorma“ ziemlich konventionell innerhalb dieser schillernden Partitur. Bei aller Bewunderung für die ausgeklügelte Bregenzer Tontechnik bleibt das Klangbild insgesamt etwas mulmig, wie unter einer Käseglocke, wenig brillant, und an den Fortissimo-Stellen dürften die Lautsprecher ruhig stärker aufgedreht werden: Da muss von dieser Musik mehr unmittelbare Wucht ausgehen.


FAZIT

Marco Arturo Marelli hat für jeden etwas im Angebot, aber so recht zünden will die Mischung nicht.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Inszenierung und Bühne
Marco Arturo Marelli

Kostüme
Constance Hoffmann

Licht
Davy Cunningham

Chor
Lukáš Vasilek

Kampf-Choreographie
Ran Arthur Braun

Video
Aron Kitzig

Chorleitung
Bregenzer Festspielchor

Dramaturgie
Olaf A. Schmitt



Kleindarsteller & Statisterie
der Bregenzer Festspiele

Bühnenmusik in Kooperation mit dem
Vorarlberger Landeskonservatorium

Akrobaten und Feuerkünstler von
Stunt 360 – Stunt Services International

Kinderchor der Musikmittelschule
Bregenz-Stadt

Prager Philharmonischer Chor

Bregenzer Festspielchor

Wiener Symphoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Turandot
Katrin Kapplusch
Mlada Khudoley
* Erika Sunnegardh

Altoum
Manuel von Senden

Timur
* Dimitry Ivashchenko
Michael Ryssov

Calaf
Riccardo Massi
Arnold Rawls
* Rafael Rojas

Liú
Yitian Luan
* Marjukka Tepponen
Guanqun Yu

Ping
* Thomas Oliemans
Andrè Schuen

Pang
* Peter Marsh
Taylan Reinhard

Pong
Cosmin Ifrim
* Kyungho Kim

Ein Mandarin
* Yasushi Hirano
Grigory Shkarupa


weiterer Bericht von den
Bregenzer Festspielen 2015:
Hoffmanns Erzählungen im Festspielhaus


Weitere Informationen
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