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Musikfestspiele
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Salzburger Pfingstfestspiele
22.05.2015 -
25.05.2015

Iphigénie en Tauride

Tragédie in vier Akten
Libretto von Nicolas François Guillard nach der gleichnamigen Tragödie (1757)
von Claude Guimond de la Touche
Musik von Christoph Willibald Gluck

in französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 20' (eine Pause)

Premiere im Haus für Mozart am 22. Mai 2015
(rezensierte Aufführung am 25.05.2015)

 

 

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Diana-Tempel im Schutzbunker

Von Thomas Molke / Fotos von Monika Rittershaus

Unter den Reformopern, die Christoph Willibald Gluck für die Pariser Académie Royale de Musique schuf, nimmt sein fünftes Werk, Iphigénie en Tauride, eine besondere Stellung ein. Zum einen konnte sich die Oper neben Orphée et Euridice am längsten im Repertoire der Pariser Oper halten und brachte es allein in den ersten drei Spielzeiten auf ungefähr 150 Aufführungen an der Pariser Académie. Zum anderen erfuhr das Werk unter Glucks Pariser Opern die wenigsten Eingriffe, und die Originalpartitur blieb lange Zeit unangetastet, was als Ausdruck für die damit erreichte Perfektion betrachtet werden kann. Da im Zentrum der diesjährigen Pfingstfestspiele die griechische Mythologie steht, eignet sich dieses Werk natürlich optimal für eine szenische Auseinandersetzung, zumal sie mit der Titelfigur auch eine prädestinierte Rolle für die künstlerische Leiterin Cecilia Bartoli bereithält.

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Iphigénie (Cecilia Bartoli, mit den Priesterinnen) wird von düsteren Vorahnungen gequält.

Die Handlung geht zurück auf eine mythologische Episode der Atriden, zu der Euripides eine auch heute noch bekannte Tragödie verfasste und die durch ein 1757 in Paris uraufgeführtes Schauspiel von Guimond de la Touche in den folgenden Jahren einen regelrechten Iphigenie-Hype im Musik- und Sprechtheater auslöste. Agamemnon, der König von Mykene, hatte einst seine Tochter Iphigenie in Aulis geopfert, um mit den Griechen nach Troja segeln zu können. Die Göttin Artemis rettete Iphigenie jedoch vor dem Opfertod und brachte sie nach Tauris zu dem König der Skythen, Thoas, wo sie als Priesterin jeden Fremden der Göttin Artemis opfern musste. Klytämnestra, Iphigenies Mutter, war über den vermeintlichen Tod der Tochter  so verletzt, dass sie gemeinsam mit ihrem Liebhaber Ägisth ihren Gatten Agamemnon ermordete, als dieser siegreich aus Troja zurückkehrte. Daraufhin rächte Iphigenies Bruder Orest den Mord am Vater und tötete die eigene Mutter, woraufhin er von den Furien verfolgt wurde. Ein Orakelspruch in Delphi verhieß ihm, dass er nur Frieden finden werde, wenn er die Schwester - Orest glaubte, dass damit die Statue der Göttin gemeint sei - aus dem Tempel in Tauris zurück nach Argos bringe.

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Freundschaft bis in den Tod: Pylade (Topi Lehtipuu, links) und Oreste (Christopher Maltman, rechts)

Die Oper beginnt mit Iphigenie (Iphigénie), die von düsteren Vorahnungen gequält wird, und in der Tat bewahrheitet sich ihre Sorge, als kurz darauf zwei griechische Gefangene zu ihr gebracht werden, die sie opfern soll, da Thoas um sein Leben fürchtet, sollte ein Ankömmling auf Tauris nicht den Opfertod sterben. Doch Iphigénie zögert, da sie der eine Gefangene an ihren Bruder Orest (Oreste) erinnert. Auf Drängen der Priesterinnen beschließt sie, einen der beiden Gefangenen freizulassen und mit einer Botschaft nach Mykene zu ihrer Schwester Elektra zu schicken. Obwohl ihre Wahl auf Oreste fällt, weigert dieser sich, seinen Freund Pylades (Pylade) sterben zu lassen, so dass schließlich Pylade aufbricht. Als Iphigénie und Oreste sich kurz vor der Opferung als Bruder und Schwester erkennen, weigert sich Iphigénie Thoas' Befehl auszuführen. Als Thoas die beiden selbst töten will, erscheint Pylade mit den Griechen und tötet Thoas. Der folgenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Taurern und Griechen gebietet Artemis (Diana) Einhalt, die Oreste von seiner Schuld freispricht und den Griechen den Auftrag gibt, ihr Standbild zurück nach Griechenland zu bringen.

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Noch erkennen sich Iphigénie (Cecilia Bartoli) und Oreste (Christopher Maltman) nicht.

Wie bereits in den vergangenen Jahren hat Bartoli auch diese Inszenierung in die Hände von Moshe Leiser und Patrice Caurier gelegt, und wie in den Vorjahren spaltet der Regie-Ansatz das Publikum. Leiser und Caurier verlegen die Geschichte in die heutige Zeit und lassen die Figuren in modernen Kostümen auftreten. Der Diana-Tempel, in dem Iphigénie ihren Dienst verrichtet, erinnert dabei an einen Luftschutzbunker, in den sich Iphigénie und ihre Priesterinnen zurückgezogen haben. Das Gewitter in der Ouvertüre wird von Kriegsgeräuschen außerhalb dieses Bunkers untermalt. Einen logischen Zusammenhang zur folgenden Geschichte hat dieser Ansatz nicht. Oreste und Pylade werden dann gewissermaßen wie Kriegsgefangene in diesen Bunker geführt und der Priesterin zur Opferung übergeben. Dass die Skythen die beiden Gefangenen malträtieren und ein Soldat andeutet, auch noch über dem niedergeschlagenen Oreste zu urinieren, wird von einer Zuschauerin mit einer lauten Unmutsbekundung kommentiert. Auch ist es fraglich, ob der Sänger des Oreste sich für die Opferzeremonie wirklich splitternackt ausziehen muss. Das Libretto meint mit Vorbereitung auf das Operritual sicherlich etwas anderes. Christopher Maltman kann als Oreste dem Zuschauer schon etwas leid tun, wenn er sich eine relativ lange Zeit lang unbekleidet dem Publikum im vorderen Bereich der Bühne präsentieren muss, auch wenn er den Schambereich geschickt bedeckt hält.

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Die Priesterinnen und die griechische Frau (Lucia Cirillo, ganz links) schützen Oreste (Christopher Maltman, zwischen den Priesterinnen) vor Thoas (Michael Kraus, vorne rechts).

Die Griechen durchbrechen am Ende die Rückwand und die kriegerische Auseinandersetzung mutet sehr realistisch an, zumal bei Thoas' Ermordung auch nicht mit Kunstblut gespart wird. Dass Diana am Ende dann in einem goldenen Kostüm und mit Goldfarbe im Gesicht dem Kampf Einhalt gebietet, mutet dabei schon fast wieder wie ein Anachronismus an. Doch dieser Deus ex machina wird von Leiser und Caurier sicherlich eher als Karikatur betrachtet. Während des Schlusschores gibt Diana nämlich selbstverliebt von der Rampe aus den Takt an und scheint die positive Wendung für die Griechen nicht ernst zu nehmen. Während sie das Volk in eine bessere Zukunft entlässt, sieht man auf der Rückwand in einer Videoprojektion ein aufpeitschendes Meer, das in der Silhouette schon vor der Aufführung auf den Vorhang projiziert worden war und in seinem wilden Aufbäumen sicherlich fraglich erscheinen lässt, ob die Griechen bei dieser See überhaupt wieder in ihrer Heimat ankommen werden.

Während man über den Regie-Ansatz streiten kann, lässt die musikalische Umsetzung keinerlei Wünsche offen. Christopher Maltman begeistert als Oreste mit stimmgewaltigem Bariton, der die innere Zerrissenheit des Muttermörders absolut glaubhaft zum Ausdruck bringt. Einen Höhepunkt stellt dabei seine Wahnsinnsszene im zweiten Akt dar, wenn er zunächst seinen inneren Frieden zu finden scheint und dann aber doch von den Schatten der Vergangenheit wieder eingeholt wird. Blutverschmierte Hände greifen aus dem Bühnenboden nach ihm, und auch seine tote Mutter erscheint ihm in einer kurzen Vision, bevor plötzlich seine Schwester Iphigénie auftritt. Auch wie Maltman die Opferszene im vierten Akt durchsteht, ist bewundernswert. Topi Lehtipuu verfügt als Pylade über einen weichen, lyrischen Tenor, dem allerdings in der großen Arie am Ende des dritten Aktes, "Divinité des grandes âmes", wenn er beschließt, Oreste zu retten, das tenoral Heldenhafte fehlt. Michael Kraus punktet als Thoas mit kräftigem Bariton. Rebeca Olvera begeistert als Diana mit klangschönem Sopran und beinahe schon komödiantischem Spiel. Und Cecilia Bartoli in der Titelpartie? Sie schafft es immer wieder, einen ganz besonderen Zugang zu den von ihr ausgewählten Partien zu finden, so dass sie auch für die Iphigénie eine Idealbesetzung ist. Mit variabler Stimme wird sie sowohl den Ängsten und Sorgen der Atridentochter gerecht, und beweist an anderer Stelle großen Mut, wenn sie sich schützend vor den wiedergewonnenen Bruder stellt. Der von Gianluca Capuano einstudierte Coro della Radiotelevione Svizzera begeistert ebenfalls durch Homogenität und kräftigen Klang. Diego Fasolis führt das Ensemble I Barocchisti mit sicherer und leichter Hand durch die Partitur und rundet den musikalischen Genuss wunderbar ab, so dass es lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Auch wenn man nicht mit jedem Regie-Einfall des Duos Leiser / Caurier einverstanden sein muss, finden die beiden trotzdem zu einer Deutung, die dem Libretto größtenteils gerecht wird. Musikalisch lässt die Produktion keine Wünsche offen und empfiehlt sich für die Wiederaufnahme bei den Festspielen im Sommer (Termine: 19., 22., 24. und 28. August 2015 jeweils um 19.00 Uhr und am 26. August 2015 bereits um 17.00 Uhr).

Weitere Rezensionen zu den Salzburger Pfingstfestspielen 2015

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Diego Fasolis

Inszenierung
Moshe Leiser / Patrice Caurier

Bühne
Christian Fenouillat

Kostüme
Agostino Cavalca

Licht
Christophe Forey

Choreinstudierung
Gianluca Capuano

Dramaturgie
Christian Arseni

 

Coro della Radiotelevisione Svizzera

I Barocchisti

Continuo Cembalo
Jory Vinikour

 

Solisten

Iphigénie
Cecilia Bartoli

Oreste
Christopher Maltman

Pylade
Topi Lehtipuu

Thoas
Michael Kraus

Diana
Rebeca Olvera

Une femme grecque
Lucia Cirillo

Un Scythe
Marco Saccardin

Le Ministre
Walter Testolin

Prêtresses
Laura Antonaz
Elena Carzaniga
Mya Fracassini
Caroline Germond
Elisabeth Gillming
Marcelle Jauretche
Francesca Lanza
Silvia Piccollo
Nadia Ragni
Brigitte Ravenel
 

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Salzburger Pfingstfestspiele
(Homepage)



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