Eine Straßenecke vor einem heruntergekommenen Palast. Wenn wir in einer anderen Mozart-Oper wären, als auf dem Programm steht, würde man dahinter die gefangene Konstanze, Blonde und Pedrillo vermuten. Es steht aber Cosi fan tutte auf dem Zettel. Das scheint auch der schlampig uniformierte Unteroffizier zu meinen, der die Platte vom Trichter-Grammophon nimmt und zerbricht. Doch auch noch während der einsetzenden Cosi-Ouvertüre bleibt ein Rest Verunsicherung. Ein an den Füßen aufgehängter Schwarzer an der Häuserwand? Jede Menge farbiges Personal? Das würde man nicht per se dem Kammerspiel zuordnen, bei dem Don Alfonso seine Kumpanen Ferrando und Guglielmo zu einem zynischen Treuetest bei deren Verlobten Dorabella und Fiordiligi anstiftet.
In Aix-en-Provence, in der Inszenierung des vom Film kommenden Regisseurs Christophe Honoré, den perfekt atmosphärischen Bühnenbauten von Alban Ho Van, mit den historisch die1930er- Jahre ins Gedächtnis rufenden Kostümen von Thibault Vancraenenbroeck und im mediterranen (eigentlich noch südlicheren) Licht von Dominique Bruguière verkleiden sich die beiden Armisten sogar glaubwürdig und mit der Absicht, wirklich nicht erkannt zu werden. Wobei sie nicht nur ihr Gesicht, sondern sogar ihren ganzen Körper schwarz einschmieren.
Womit sich die Inszenierung dem Kern der Sache zugleich nähert und von ihr entfernt. Nähert, weil es keine Als-Ob-Maskerade ist, mit der man nur das mehr oder weniger zeitlose Kammerspiel der Gefühle als die viel beschworene Operation am offenen Herzen einrahmt. Entfernt, weil damit die tatsächliche Bloßstellung der Frauen (aber auch ihre Verführbarkeit durch die Anziehungskraft des ganz Anderen - in dem Falle des schwarzen Mannes) so ins Realistische verlängert wird, dass die sich einstellende Verwirrung der Gefühle kaum reparabel ist. Zumal das Verhalten der weißen Männer (aber auch Frauen) gegenüber den Bewohnern des gerade im Aggressionskrieg des Duce eroberten Abessinien jedem feinsinnigen Treue-Test Hohn spricht. Ganz nach dem Motto: Die haben es nötig!
Das ist der gesellschaftliche, sprich: ästhetische Rahmen, wo jeder Gedanke zur Tat, jedes Begehren zur Handgreiflichkeit wird. Wenn Despina etwa ihre Art von Libertinage preist, dann deuten die schwarzen Männer um sie herum, die gesellschaftlich in dieser Kolonialgesellschaft "unter" ihrem Rang rangieren, das als Aufforderung zum Zugreifen. Und sich selbst wie die Herren im Hause (des Patriarchats) aufführen. Der Kölner- Domplatten-Effekt sozusagen.
Unter diesen Bedingungen geht es natürlich auch nicht zum Verführungsspaziergang ins Freie, sondern zu handfesten Spielchen in ein ausgedientes Hamam. Hier wird auch die Scheinhochzeit inszeniert. Hier greift Dorabella zur Flasche, hier kriegt Fiordiligi einen wohl tödlichen Knacks weg, als sie mitkriegt, wie sich ihr "Wunschpartner" Ferrando das Schwarz von der Haut duscht. Am Ende ist nichts mehr wie es war. Zu den emotionalen Kollateralschäden des faschistischen Feldzugs des Duce für seine Soldaten kommt ein Desaster auf dem Spielfeld der Begegnung der Geschlechter unter ungleichen Voraussetzungen. Es ist eine ziemlich schwarze Cosi, und das nicht nur wegen der Hautfarbe des fabelhaft ins Spiel integrierten Zusatzpersonals.
Louis Langrée steuert am Pult der mit historischen Instrumenten ausgerüsteten Freiburger Barockinstrumentalisten einen eher geschmeidigen Mozartklang bei, der an diesem Abend aber mehr Pointierung vertragen hätte. Das Sextett der Solisten führen im Hinblick auf fokussierte Durchschlagskraft und puren Wohlklang Mezzosopranistin Kate Lindsey als Dorabella und Tenor Joel Prieto als Ferrando an. Besonders im diffizilen Spiel, aber auch mit ihren zentralen Arien stehen ihnen Lenneke Ruiten als Fiordiligi und Nahuel di Pierro als Guglielmo in nichts nach. Als Don Alfonso stellt sich Rod Gilfry dem, was die Regie seinem Don Alfonso an Abgewracktheit zugedacht hat, offensiv. Wie Sandrine Piau das demonstrative Selbstbewusstsein ihrer Despina in den Verwundungen spiegelt, die sie als Opfer männlicher Willkür erfahren hat, ist grandios. Die Statisten und der Chor aus Kapstadt sind wie selbstverständlich in diese ziemlich böse erzählte Geschichte vom Hinterhof der europäischen Arroganz und Scheinheiligkeit integriert.
FAZIT
Die neue Cosi fan tutte in Aix-en-Provence ist szenisch ungewöhnlich ambitioniert und musikalisch auf Festspielniveau.
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