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Salzburger Festspiele 2016



Samstag, 30. Juli 2016, Großes Festspeilhaus


Salzburg contemporary - Péter Eötvös
Konzert der Wiener Philharmoniker


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Salzburger Festspiele
(Homepage)

Diese Geschwätzigkeit ist struktureller Natur

Von Stefan Schmöe / Fotos © Salzburger Festspiele / Andreas Kolarik

Dereinst im Himmel, was hoffentlich noch lange hin ist, wird Peter Eötvös auf Béla Bartók treffen, und Bartók wird seinen Komponistenkollegen anfauchen: „Was fällt Dir ein, ein Halleluja in meinem Stil zu verfassen?“ „Na, Alter, ich brauchte halt eines von Dir“, wird Eötvös lässig entgegnen, „und weil Du nie eins komponiert hast, musste ich das halt für Dich schreiben“. Wie Bartók reagiert, dass werden wir dann sehen – oder auch nicht. Denn ob es diesen Musikerhimmel gibt oder nicht, das kommentieren Eötvös und Péter Eszterházy, der ein paar Tage vor der Uraufführung verstorbene ungarische Schriftsteller und Librettist dieses Oratoriums, mit einem postmodernen Schulterzucken.

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Peter Simonischek, Iris Vermillion und Daniel Harding

HALLELUJA nimmt bereits alle Vorwürfe, die man diesem großartigen Machwerk entgegenschleudern möchte, vorweg. Das Stück ist geschwätzig, behauptet es zu recht, und die Hauptrolle ist einem Sprecher überlassen, dessen Texte fast immer melodramatisch mit Musik unterlegt sind, und der oft von einer Metaebene aus das gerade gespielte Stück in allen seinen Unzulänglichkeiten kommentiert. Peter Simonischek macht das hinreißend. Es gibt einen Engel, der sich mit Nietzsche zusammen betrunken hat und seitdem nicht mehr nüchtern ist und das auch nicht sein möchte, die Partie ist der Mezzosopranistin Iris Vermillion in die Kehle geschrieben worden, die das mit angedeuteter Vulgarität und viel Kunstfertigkeit umsetzt. Und dann gibt es noch einen stotternden Propheten, den Topi Lehtipuu mit leichtem Tenor singt und der sich historisch auf Notger von St. Gallen (um 840- 912), genannt „balbulus“, „der Stammler“, Geschichtsschreiber Karls des Großen und ein bedeutender mittelalterlicher Dichter. „Wem das Wort wichtig ist, dem ist es schwer“, erläutert der Erzähler dessen sprachliches Handicap lakonisch. Zu sagen hat der Prophet aber im Grunde nichts, denn es ist ja nicht einmal klar, ob wir überhaupt eine Zukunft haben. Und natürlich gibt es einen Chor, der singt meistens ziemlich unreflektiert „Halleluja“, und da bedient sich Eötvös ungeniert in der Musikgeschichte bei Monteverdi, Mozart, Händel natürlich, auch Bruckner, und bei Bartók hätte er auch gerne geklaut, siehe oben, aber das musste er dann vorher noch für den Kollegen komponieren.


Vergrößerung in neuem Fenster Der Engel hat was zu sagen: Iris Vermillion meldet sich zu Wort

Nichts ist den Spaßvögeln Eszterházy und Eötvös ernst und heilig, und gleichzeitig ist alles todernst. Es gibt viel zu lachen. Ein Regierungssprecher schaltet am 11. November 2001 den Fernseher aus, weil er ein Flugzeugattentat auf das World Trade Center für einen schlechten Katastrophenfilm hält. Vielleicht sitzt gerade in diesem Flugzeug seine Frau, bestellt sich Sekunden vor dem Ende ganz banal einen Tomatensaft, das bleibt offen. Das Oratorium bleibt Fragment, nicht, weil etwas fehlt, sondern weil es die Antworten auf die großen Fragen nicht liefern kann. Eszterházy und Eötvös bewegen sich mit gehöriger Selbstironie auf einem schmalen Grat. Die zitatengespickte Musik schwingt sich immer wieder zum großen Ton auf, schließlich haben die Wiener Philharmoniker das Werk bestellt (nicht ganz korrekt, es waren u.a. die Salzburger Festspiele, aber das Orchester war von Beginn an eingeplant), und dieser hochkulturelle Rahmen ist Teil des Programms. Unter der Leitung von Daniel Harding bleibt das Orchester der Partitur auch nichts schuldig, schon gar nicht den Wohlklang, und der großartige Chor des ungarischen Rundfunks (mit hervorragender Aussprache des deutschen Textes) auch nicht. Im Detail ist manches arg albern, manches ein wenig anbiedernd geraten; in der Summe aber ist das ziemlich genau einstündige, sehr unterhaltsame, dann plötzlich nachdenklich stimmende Werk eine unheimliche Beschreibung unserer Gegenwart. Es gibt Schlechteres, was man über eine Uraufführung sagen könnte. Dass das den hehren Festspielgedanken subversiv unterläuft, mag nicht jedem gefallen – der Beifall war denn auch eher freundlich als enthusiastisch.

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Ensemble

Nach der Pause dann die Haydn-Variationen von Brahms – ein Zusammenhang zu Eötvös ergibt sich dadurch, dass auch dieses Werk (wie auch das folgende Adagio aus Mahlers unvollendet hinterlassener 10. Symphonie) von den Wiener Philharmonikern uraufgeführt wurde, wie Festspiel-Direktorin Helga Rabl-Stadler in ein paar kurzen einleitenden Worten bemerkte. Auch im Prinzip der Variation eines vorgegebenen Materials zeigt sich eine Parallele. Wobei das alles schon arg konstruiert erscheint; vielleicht ist Brahms an dieser Stelle tatsächlich ganz schlicht eine Konzession an das konservative Publikum. Die Wiener spielen mit erlesener Delikatesse, duftig im Ton. Brahms de luxe, ein wenig auf Kosten der rhythmischen Prägnanz.

Bei Mahlers letzter Symphonie ist auch der Aspekt des Fragments ein verbindendes Element zu Halleluja - und die Frage nach den letzten Dingen. In der sanft entrückten Interpretation von Daniel Harding und diesem Wunderorchester wird nur das Letztere hörbar. Dass ist von geradezu bestürzender Schönheit, als spielten die Musiker ganz direkt ihrem früheren Chefdirigenten, der Mahler ja einmal war, zu. Wie die Bratschengruppe in fantastischer Homogenität diese unendliche Melodie anstimmt, das ist aus einer anderen Welt. Zu viel Weichzeichner? Mag sein, aber was kümmert das. Aus dem Künstlerhimmel, wo andere stottern und streiten, mag Mahler ganz leis' herunter gewunken haben.






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Ausführende

Iris Vermillion, Mezzosopran

Topi Lehtipuu, Tenor

Peter Simonischek, Sprecher


Chor des Ungarischen Rundfunks
Einstudierung: Zoltán Pad

Wiener Philharmoniker

Leitung: Daniel Harding


Werke

Péter Eötvös:
HALLELUJA – Oratorium balbulum (2015)
4 Fragmente für Mezzosopran,
Tenor, Sprecher, Chor und Orchester
original ungarischer Text von Péter Esterházy
Deutsche Übersetzung von György Buda
- Uraufführung -

Auftragswerk der Salzburger Festspiele
gemeinsam mit Wiener Konzerthaus/Wien Modern,
Tonhalle-Gesellschaft Zürich,
Müpa Budapest – Palast der Künste,
WDR und ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln
sowie Sydney Symphony Orchestra


Johannes Brahms:
Variationen über ein Thema von Joseph Haydn
B-Dur op.56a

Gustav Mahler:
Adagio aus der Symphonie Nr. 10 Fis-Dur
rekonstruierte Fassung von Deryck Cooke






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