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Wexford Festival Opera
26.10.2016 - 06.11.2016


Herculanum

Oper in vier Akten
Libretto von Joseph Méry und Térence Hadot
Musik von Félicien David

In französischer Sprache mit englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 10' (zwei Pausen)

Premiere im O'Reilly Theatre im National Opera House in Wexford am 26. Oktober 2016
(rezensierte Aufführung: 29.10.2016)



 

 

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Vulkanausbruch auf der Bühne

Von Thomas Molke / Fotos von Clive Barda


Die Grand Opéra in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris entsprach in der damaligen Zeit etwa dem, was wir heute als Blockbuster aus dem Kino gehen. Mit großem technischen Aufwand sollte das Volk - damals natürlich eher die Aristokratie - unterhalten werden. Die Themen waren dabei stets historischer Art, und so verwundert es nicht, dass 1859 in Paris auch der Vesuv-Ausbruch auf die Bühne gebracht wurde und nicht nur dort von 1859 bis 1868 in über 70 Vorstellungen für große Begeisterung und ein volles Opernhaus sorgte, sondern auch in Brüssel, Venedig und St. Petersburg auf den Spielplan gestellt wurde. Heute ist der damalige "Hit", Herculanum, genauso vergessen wie sein Komponist, Félicien David, der vor allem mit seinen orientalisch angehauchten komischen Opern und im Konzertbereich im 19. Jahrhundert Erfolge feiern konnte. Dabei arbeitet das Zentrum für Französische Romantische Musik in Venedig, Palazzetto Bru Zane, seit einigen Jahren an einer Wiederentdeckung dieses französischen Komponisten und hat sogar 2015 eine CD-Aufnahme von Davids einziger Grand Opéra herausgebracht, die großen Anklang fand. Da man sich beim Wexford Festival Opera auf Spezialitäten abseits des gängigen Opern-Repertoires konzentriert hat, wird das diesjährige Festival nun mit dieser Oper von David eröffnet.

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Olympia (Daniela Pini) und ihr Bruder Nicanor (Simon Bailey) herrschen in schwelgerischem Überfluss über Herculaneum.

Die Handlung spielt 79 n. Chr. in der Nachbarstadt von Pompeji, Herculaneum, die beim damaligen Vesuv-Ausbruch genauso unterging wie Pompeji und unter der Asche nicht nur unzählige Menschen begraben, sondern für die Forschung auch bedeutende Erkenntnisse über das Leben in der damaligen Zeit hinterlassen hat. In der Oper herrscht dort eine historisch nicht belegte Königin namens Olympia mit ihrem Bruder Nicanor, der gleichzeitig auch noch als Prokonsul die Interessen Roms in dieser Gegend vertritt. Olympia und ihr Bruder schwelgen im Luxus, wobei ihnen die Christen ein Dorn im Auge sind. Als die vornehme Gesellschaft Olympia auffordert, die beiden Christen Lilia und Hélios zu töten, verliebt sich Olympia in Hélios. Während sie Lilia wegschickt, macht sie sich Hélios mit Wein gefügig. Nicanor hat hingegen Gefallen an Lilia gefunden und folgt ihr ins Lager der Christen. Nachdem er mit seinen Soldaten alle außer Lilia vertrieben hat, versucht er, die schöne Christin zu verführen. Doch diese weigert sich. Als er ihren Gott daraufhin verflucht, wird er von einem Blitz getroffen und sinkt tot zu Boden. Nun erscheint Satan aus der Unterwelt und schlüpft in Nicanors Rolle. Zunächst schürt er in Lilia Eifersucht, indem er ihr in einer Vision Hélios und Olympia als glückliches Paar zeigt. Lilia kehrt daraufhin zu Olympia zurück, um Hélios aus den Fängen der Rivalin zu befreien. Doch Olympia stellt Hélios vor die Wahl. Entweder er entscheidet sich für sie, oder Lilia wird getötet. Hélios beschließt, bei Olympia zu bleiben, um Lilia zu retten. Inzwischen zettelt Satan mit den gefangen genommenen Christen eine Revolte an, die vom beginnenden Ausbruch des Vulkans gestoppt wird. Hélios findet schwer verletzt noch einmal zu Lilia zurück und bittet um Vergebung, bevor alle von Lava und Asche begraben werden.

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Der christliche Sklave Hélios (Andrew Haji in der Mitte mit dem Chor) erliegt den Reizen des Luxus.

Scheint eine filmische Umsetzung dieser Geschichte aufgrund der modernen Computer-Animation heutzutage unproblematisch, stellt sich im Theater die Frage, wie man diese Naturkatastrophe auf der Bühne umsetzen kann. Das Regie-Team um Stephen Medcalf findet hier eine relativ schlichte, dabei aber durchaus überzeugende Lösung. Auf den Vorhang wird ein Bild des Vesuvkraters projiziert. Während er vor der Vorstellung noch wie eine Fotographie wirkt, beginnt er zwischen den Akten allmählich zu arbeiten. Nach dem ersten Akt sieht man bereits kleine Wolken aus dem Krater aufsteigen. Anschließend leuchten vereinzelte kleine Flammen auf. Vor der Katastrophe im vierten Akt erkennt man bereits die blubbernde Lava, die bald aus dem Vulkan hervorbrechen wird. All diese Eindrücke werden von den Videoexperten Shadowlab und Ted Moran beeindruckend umgesetzt. Die Wiedervereinigung zwischen Hélios und Lilia findet dann auch im letzten Akt vor diesem Vorhang statt. Olympias Palast scheint direkt am Fuße des Vulkans zu liegen. So hat Jamie Vartan im Hintergrund der Bühne einen nach oben führenden Felsen konstruiert, der wohl den unteren Bereich des Berges zeigen soll. Nicht ganz klar wird, wieso dieser Felsen im ersten Akt in der Mitte offen ist oder was das Schachbrettmuster im dritten Akt auf der Bühne zu bedeuten hat.

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Lilia (Olga Busuioc) versucht, Hélios (Andrew Haji) aus Olympias Fängen zu befreien.

Für das Lager der Christen im zweiten Akt weicht der Berg einem riesigen Gebilde aus Kreuzen, die wohl an die zahlreichen Christen erinnern sollen, die für ihren Glauben zum Tode verurteilt worden sind. Wenn Nicanor vor dieser Kulisse Gott verflucht, bekommt die Szene zum einen durch die bedrohliche Musik und zum anderen durch aufblitzende Lichteffekte eine Unheil verkündende Atmosphäre. Dennoch vertraut Medcalf nicht auf den Blitzschlag, der Nicanor tötet, sondern lässt Lilia zu einem Stein greifen und ihren Peiniger in Notwehr töten. Anschließend verschwindet die Leiche im Bühnenboden, um mit dem im roten Gewand und mit rot gefärbtem Oberkörper zum Satan gewandelten Nicanor wieder aufzutauchen. Während Satan und die Christen in ihren ärmlichen sackähnlichen Gewändern recht naturalistisch getroffen sind, versucht Vartan bei den Kostümen für Olympia und ihr Volk keineswegs das erste Jahrhundert nach Christus wieder aufleben zu lassen, sondern lässt die Figuren eher wie Aristokraten aus der Entstehungszeit der Oper auftreten. Das stört allerdings keineswegs, da ja auch bei den Uraufführungen der damaligen Zeit mehr Wert auf Pomp als auf historische Korrektheit gelegt wurde. Besonders beeindruckend gelingt dann das Schlussbild. In einer Videoprojektion strömen die Flammen den Berg im Bühnenhintergrund hinab und verbreiten sich über den ganzen Bühnenboden, wobei Olympia und ihr Volk in den Flammen regelrecht erstarren und Posen einnehmen, wie man sie Jahrhunderte später bei erhaltenen Skeletten noch vorgefunden hat. Hélios und Lilia kauern sich in einem weißen Licht in der Mitte an der Bühnenrampe, um anzudeuten, dass für sie der Tod den Aufstieg in den Himmel bedeutet.

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Nicanor (Simon Bailey) bedrängt Lilia (Olga Busuioc).

Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Olga Busuioc begeistert als Christin Lilia mit einem vollen Sopran, der in den Höhen dramatische Durchschlagskraft besitzt. Einen musikalischen Höhepunkt dürfte ihr bewegendes "Credo" im dritten Akt darstellen. In der Mezzosopranistin Daniela Pini als Olympia hat sie eine kongeniale Gegenspielerin. Pini punktet mit einer voluminösen Mittellage und großer Beweglichkeit in den Koloraturen. So wird musikalisch gut nachvollziehbar, wieso Hélios ihrem verführerischen Werben erliegt. Da bedarf es eigentlich noch nicht einmal eines berauschenden Trankes. Darstellerisch gibt sich Pini sehr unterkühlt und überheblich, was ebenfalls einen guten Kontrast zu Busuiocs leidendem Spiel darstellt. Simon Bailey verleiht nicht nur Olympias Bruder diabolische Züge, sondern überzeugt auch als Satan mit dämonischer Bühnenpräsenz. Dabei stattet er beide Partien mit einem dunklen und bedrohlich wirkenden Bass-Bariton aus. Regelrecht Angst einflößend gelingt ihm das Duett mit Busuioc im zweiten Akt, in dem er die junge Christin zu verführen versucht. Wenn er später als erstarkter Satan aus dem Bühnenboden wieder aufsteigt, gibt es für ihn darstellerisch überhaupt kein Halten mehr. Mit genau auf die Musik abgestimmten rhythmischen Schlägen befreit er im ersten Bild des vierten Aktes mit einer gewaltigen Axt die Christen von ihren Fesseln und ruft zur Revolte auf. Andrew Haji stattet den Christen Hélios mit weichen Höhen aus, die an einigen Stellen noch etwas ausbaufähig sind. Bewegend gelingen ihm seine Reue, nachdem er Olympia verlassen hat, und die Wiedervereinigung im anschließenden Duett mit Lilia.

Rory Musgrave überzeugt als warnender Prophet Magnus mit kräftigem Bariton. Großes leistet auch der von Errol Girdlestone einstudierte Chor des Wexford Festival Opera, der sowohl das adelige Volk in Herculaneum als auch die Christen darstellt. Als adeliges Volk präsentiert er sich ausgelassen und im Überfluss schwelgend, während das Leiden der Christen in einem großen Kontrast dazu ebenso glaubhaft herausgearbeitet wird. Musikalisch besonders erwähnenswert sind hier das bewegende A-cappella-Gebet zu Beginn des zweiten Aktes, bevor Nicanor die Versammlung der Christen stört, und der Aufruf zur Revolte im vierten Akt, in dem die Gefangenen, aufgepeitscht von Satan, aus ihren Ketten befreit den Palast angreifen wollen. Jean-Luc Tingaud arbeitet mit dem Orchester des Wexford Opera Festivals Davids Partitur, die bei Olympia und ihrem Volk mal an Rossini, dann an Donizetti oder den jungen Verdi erinnert, bei den Christen allerdings eher Einflüsse von Schubert zeigt, differenziert heraus. Dass die wunderbare Musik nach ihrem großen Erfolg in der Mitte des 19. Jahrhunderts heutzutage trotzdem vergessen ist, mag daran liegen, dass man bei aller Schönheit etwas Charakteristisches vermisst. Den Genuss des Abends kann das allerdings nicht trüben, und so werden alle Beteiligten mit großem Jubel gefeiert.

FAZIT

Stephen Medcalf gelingt mit seinem Regie-Team das nahezu Unmögliche, nämlich den Ausbruch eines Vulkans mit einfachen und dabei dennoch überzeugenden Mitteln auf die Bühne zu bringen. Musikalisch ist der Abend ebenfalls ein Genuss.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jean-Luc Tingaud

Regie
Stephen Medcalf

Bühne und Kostüme
Jamie Vartan

Licht
Christopher Akerlind

Video
Shadowlab und Ted Moran

Chorleitung
Errol Girdlestone



Orchester des
Wexford Festival Opera

Chor des
Wexford Festival Opera


Solisten

Lilia
Olga Busuioc

Olympia
Daniela Pini

Hélios
Andrew Haji

Nicanor / Satan
Simon Bailey

Magnus
Rory Musgrave

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