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Münchner Opernfestspiele 2017

24.06.2017 - 31.07.2017

Semiramide

Melodramma tragico in zwei Akten
Libretto von Gaetano Rossi nach Sémiramis von Voltaire
Musik von Gioachino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h (eine Pause)

Premiere im Nationaltheater am 12. Februar 2017

(rezensierte Aufführung im Rahmen der Münchner Opernfestspiele: 24.07.2017) 

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Fest der Stimmen

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

Rossinis letzte in und für Italien geschriebene Opera seria Semiramide scheint in diesem Festspielsommer Hochkonjunktur zu haben, und damit sind nicht die beiden Rossini-Festivals in Pesaro und Bad Wildbad gemeint. Zum einen hat Gustav Kuhn das Stück bei den diesjährigen Tiroler Sommerfestspielen in Erl auf den Spielplan gestellt (siehe auch unsere Rezension). Zum anderen ist in München die im Februar herausgekommene Inszenierung von David Alden (siehe auch unsere Premieren-Rezension) im Rahmen der Münchner Opernfestspiele zu erleben, so dass man das Werk im Juli innerhalb kürzester Zeit gleich mehrmals in verschiedenen Produktionen genießen kann. Für die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts wäre das keine Besonderheit gewesen. Da zählte das Stück nämlich zu den meistgespielten Opern des Schwans von Pesaro, obwohl es in zahlreichen Punkten von der damaligen norditalienischen Tradition abwich. So können die beiden Hauptpartien kein Liebespaar werden, da es sich dabei um Mutter und Sohn handelt. Des Weiteren stellt die Ermordung der Titelpartie für die damaligen Verhältnisse in Norditalien ein absolut untypisches Ende dar. Auch die nahezu durchkomponierte Form, die den Aufbau der einzelnen Nummern nicht mehr genau erkennen lässt, stellte damals ein Novum dar. Heute kennt man das aus zahlreichen späteren Repertoire-Stücken natürlich alles zur Genüge. Die zahlreichen Legenden um die zum Mythos stilisierte assyrische Königin Semiramis besitzen jedoch nicht mehr solchen Bekanntheitsgrad wie bei der Uraufführung von Rossinis Oper.

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Semiramide (Joyce DiDonato, Mitte) soll endlich einen Nachfolger für den vor 15 Jahren ermordeten König Nino bestimmen (auf der linken Seite: Oroe (Simone Alberghini), auf der rechten Seite von links: Assur (Alex Esposito), Idreno (Lawrence Brownlee) und Azema (Nikola Hillebrand), im Hintergrund: Chor der Bayerischen Staatsoper).

Die Handlung der Oper folgt im Großen und Ganzen der gleichnamigen Tragödie von Voltaire und kann als orientalische Mischung aus Orestie, Hamlet und König Oedipus betrachtet werden. Die assyrische Königin Semiramide hat vor 15 Jahren gemeinsam mit dem Prinzen Assur ihren Gatten, den König Nino, vergiftet und regiert seitdem relativ erfolgreich über Babylon. Der Hohepriester Oroe drängt sie jedoch, endlich einen männlichen Nachfolger zu bestimmen. Während Assur darauf hofft, zum König ernannt zu werden und damit die Hand der Prinzessin Azema zu erhalten, verfolgt Semiramide andere Pläne. Sie hat sich in Arsace, den jungen Anführer des assyrischen Heeres, verliebt und beabsichtigt, ihn an ihrer Seite zum neuen König zu machen, ohne zu wissen, dass Arsace ihr tot geglaubter Sohn Ninia ist, den der sterbende Nino kurz vor seinem Tod hatte außer Landes schaffen lassen. Arsace, der Azema liebt, ist von diesem Vorhaben zwar nicht begeistert, willigt aber ein, dem Befehl seiner Königin Folge zu leisten, als sich plötzlich Ninos Schatten aus dem Grab erhebt und Arsace ermahnt, den Mord am König zu rächen. Oroe offenbart Arsace seine Herkunft und fordert ihn auf, dem Befehl des toten Königs Folge zu leisten. Arsace will aber nur Assur für den Mord zur Rechenschaft ziehen und seine geliebte Mutter verschonen. In der Grabkammer des Königs kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern. Als Arsace jedoch zum tödlichen Schlag ausholt, trifft er seine Mutter, die sich zu seinem Schutz ebenfalls in die Grabkammer begeben hat. Während Assur festgenommen wird und darüber triumphiert, dass Arsace seine eigene Mutter getötet hat, wird der verzweifelte Arsace vom jubelnden Volk als neuer König gefeiert.

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Rivalen um den Thron und die Hand der schönen Azema: Assur (Alex Esposito, links) und Arsace (Daniela Barcellona, rechts)

David Alden wählt in seiner Inszenierung einen Ansatz, der die Geschichte nicht in einer festgelegten Zeit verortet, sondern verschiedene Teile zusammenfügt, die mal mehr und mal weniger Sinn ergeben. Zu Beginn dominiert eine riesige Statue die Bühne, die Assoziationen zu dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un weckt. Hier soll wohl die Staatsmacht mit dem Einfluss der Götter, in diesem Fall Baal, verglichen werden. Während die Generaluniform von Assur mit ihren zahlreichen Orden optisch in eine sozialistische Diktatur passt, scheinen die zahlreichen Priester mit den weißen Turbanen und den schwarzen Schleiern vor dem Gesicht, die Geschichte an einem ganz anderen Ort anzusiedeln. Auch bei den übrigen Kostümen des Chors befindet man sich mal im Nahen Osten, dann plötzlich bei der französischen Fremdenlegion, und wenn die Herren des Chors dann alle mit Beilen auftreten, fragt man sich einen Moment lang: Was soll das alles? Der indische Prinz Idreno kommt in seinem weißen Kostüm wie eine Figur aus einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht daher. Azema wirkt in ihrem eng geschnittenen golden glänzendem Kleid, in dem sie sich kaum bewegen kann, wie eine wertvolle Trophäe, die Spielball der Männer um die Macht ist. Mit den langen Ärmeln, die weit über ihre Hände hinausgehen, wird ihre Handlungsunfähigkeit ausgedrückt, und so wird sie mehrmals von den Herren gegen ihren Willen von der Bühne getragen. Schade ist nur, dass man ihr eine Glatze verpasst hat, was ihre Schönheit und Begehrlichkeit ein wenig trübt.

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Semiramide (Joyce DiDonato) verkündet vor Assur (Alex Esposito, links), Arsace (Daniela Barcellona, im Hintergrund Mitte), Idreno (Lawrence Brownlee, rechts) und dem Volk (Chor) den neuen König.

Und Semiramide? Auch hier weiß man nicht so genau, wo Alden mit dieser Figur eigentlich hin will. Mal präsentiert sie sich als mondäne Herrscherin, mal erscheint sie in einem strengen dunklen Gewand wie eine Gouvernante, und am Ende steigt sie verschleiert in die Grabkammer ihres ermordeten Gatten hinab, um den Sohn vor Assur zu schützen und dabei selbst den Tod zu finden. Der Sohn ist in dieser Inszenierung gewissermaßen allgegenwärtig. Zunächst sieht man ihn auf einem großen Bild, das an der Wand im Königssaal hängt, gemeinsam mit seinen Eltern. Das Libretto lässt jedoch vermuten, dass er jünger als auf dem Foto gewesen sein muss, als er bei der Ermordung des Königs aus dem Palast gebracht worden ist, da sonst nicht glaubhaft wäre, dass Arsace sich nicht daran erinnern kann, Ninia zu sein. In Semiramides Kavatine im ersten Akt, "Bel raggio lusinghier", in der die Königin in Erwartung des jungen Feldherrn ihre Sorgen vergisst und einer glücklichen Liebe mit ihm entgegensieht, erscheint der kleine auf dem Bild gezeigte Junge in ihrem Raum und spielt mit seinem Pferd, was eigentlich nicht zu Semiramides in der Kavatine ausgedrückten Freude passt, da hier schon eine gewisse Vorahnung angedeutet wird, dass Arsace ihr Sohn ist. Auch im folgenden Duett zwischen Semiramide und Arsace unterstreicht Alden in der Personenregie, dass Semiramide im tiefsten Innern ein Unbehagen empfindet, was ihre Gefühle zu Arsace betrifft. Wenn sie dann am Ende in die Grabkammer hinabsteigt, um ihren Sohn vor Assur zu schützen, taucht ebenfalls wieder das Kind auf und führt die Mutter zu Arsace, der ihr den tödlichen Stoß versetzt.

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Semiramide (Joyce DiDonato) will, dass Arsace (Daniela Barcellona) sie tötet und somit Rache für den Mord am König nimmt.

Auch der ermordete König Nino erhält in Aldens Inszenierung eine große Präsenz. Zum einen ist er mit dunkler Sonnenbrille und schwarzem Anzug wie eine Art Mafia-Boss auf drei großen Bildern im Hintergrund des Königssaals zu sehen, die dann in einer Projektion gewissermaßen lebendig werden, wenn der Geist des verstorbenen Königs aus dem Grab klettert. Hier gelingt es Robert Pflanz mit den Videoprojektionen das drohende Unheil mit beeindruckenden visuellen Effekten darzustellen. Auch für die große Wahnsinnsszene Assurs werden Projektionen mit dem verstorbenen König eingesetzt. Hier vervielfacht sich Nino und nimmt damit für Assur eine bedrohliche Gestalt an. Dass Semiramide am Ende nicht tot in der Grabkammer bleibt, sondern ihrem gekrönten Sohn gewissermaßen noch bis zur Thronbesteigung folgt, bevor sie zusammenbricht, ist genauso unverständlich, wie die Entscheidung, den Oberpriester Oroe am Schluss ebenfalls den Tod finden zu lassen. Aber auch wenn man die einzelnen Bilder und Ideen Aldens nicht mag oder nachvollziehen kann, lässt sich nicht leugnen, dass sie mit opulenten Kostümen von Buki Shiff in einem spektakulären Bühnenbild von Paul Steinberg in Szene gesetzt sind, und der Fokus immer auf den Sängerinnen und Sänger bleibt.

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Semiramide (Joyce DiDonato) und Assur (Alex Esposito, an der Hand des Kinder-Statisten) irren durch die Grabkammer des Nino (vorne: Oroe (Simone Alberghini)).

Und die sind in dieser Aufführung stimmlich kaum zu übertreffen. Da ist zunächst einmal Joyce DiDonato zu nennen, die stimmlich und darstellerisch ein grandioses Rollenportrait der Königin zeichnet. So setzt sie ihren hochdramatischen Mezzospran nicht nur stimmlich perfekt ein, sondern durchlebt in jeder einzelnen Szene mit überwältigender Bühnenpräsenz die Gefühle der Titelfigur. Die oben erwähnte Kavatine avanciert stimmlich und darstellerisch zu einem der zahlreichen musikalischen Glanzmomente dieses Abends. Auch die Duette mit Daniela Barcellona als Arsace und Alex Esposito als Assur rufen beim Publikum Begeisterungsstürme hervor. Mit Barcellonas dunkel eingefärbtem Mezzosopran findet DiDonatos Stimme zu einer bewegenden Innigkeit, die unter die Haut geht. Großartig lässt sie im ersten Duett "Serbami ognor sì fido" bei aller stimmlichen Wärme darstellerisch durchblicken, dass sie dem bevorstehenden Glück nicht traut, und wechselt im zweiten Duett, wenn sie in Arsace ihren Sohn Ninia erkannt hat, mit großer Dramatik zu einer aufopferungsbereiten Frau, die für ihr Vergehen einstehen will. Mit Esposito liefert sie sich zu Beginn des zweiten Aktes einen grandiosen Schlagabtausch, wenn sie ihm klar macht, dass sie von der Entscheidung, Arsace zum König zu ernennen, nicht abweichen wird.

Barcellona begeistert in ihrer ersten Kavatine "Ah! quel giorno ognor rammento", in der sie darauf hofft, von Semiramide Azemas Hand zu erhalten, mit dunklen Tönen und großer Beweglichkeit in den Koloraturen, und setzt auch in ihrer großen Arie "In sì barbara sciagura" im zweiten Akt, wenn Arsace erfahren hat, dass er Ninia, der verschollene Sohn des Königs ist, und seine Aufgabe nun darin besteht, den Mord am Vater zu rächen, mit großer Dramatik und flexiblen Läufen Akzente. Esposito glänzt als Bösewicht Assur mit schwarzem Bass und lässt seine große Wahnsinnsarie im zweiten Akt darstellerisch und mit wunderbar ausgesungenen Koloraturen zu einem weiteren Höhepunkt des Abends werden. Auch die Partie des indischen Prinzen Idreno ist mit Lawrence Brownlee hochkarätig besetzt. Bei so viel tenoralem Glanz, den Brownlee im zweiten Akt verströmen lässt, wenn der Prinz Azema zum Altar führen will, bedauert man, dass seine große Arie im ersten Akt, wahrscheinlich aus Zeitgründen, gestrichen worden ist. Wenn man schon einen solchen Ausnahme-Tenor wie Brownlee für diese Oper zur Verfügung hat, sollte man ihm eigentlich auch beide Arien gönnen. Die zehn weiteren Minuten hätte das rundum begeisterte Publikum sicherlich gerne in Kauf genommen. Simone Alberghini überzeugt als Oroe mit dunklem Bass, auch wenn szenisch nicht klar wird, warum er die anderen Personen niemals ansieht, wenn er mit ihnen interagiert. In den kleinen Rollen gefallen Nikola Hillebrand als Prinzessin Azema und Galeano Salas als Mitrane, auch wenn Aldens Personenregie in den Bewegungen des Dieners bei seinen Auf- und Abgängen ein wenig albern wirkt.

Michele Mariotti erweist sich am Pult des Bayerischen Staatsorchesters als absoluter Rossini-Fachmann und lotet die Partitur mit wunderbar feinen Nuancen aus, die die tragischen Momente des Stückes berührend zur Geltung bringen. Der von Stellario Fagone einstudierte Chor der Bayerischen Staatsoper klingt lediglich am Anfang bei den Herren ein bisschen dünn, überzeugt jedoch im weiteren Verlauf durch kräftiges Volumen, auch wenn man sich bei den Herren ein bisschen mehr Textsicherheit gewünscht hätte, da im zweiten Teil gerade beim Chor die Souffleuse häufig zu hören ist. Aber das kann den musikalischen Genuss nicht trüben, so dass es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Was die Münchner Opernfestspiele in dieser Produktion an Sängerdarstellern aufbieten, dürfte derzeit kaum zu übertreffen sein. Da sieht man über die ein oder andere Unstimmigkeit in Aldens Regie-Konzept gerne hinweg.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michele Mariotti

Inszenierung
David Alden

Bühne
Paul Steinberg

Kostüme
Buki Shiff

Licht
Michael Bauer

Video
Robert Pflanz

Choreographie
Beate Vollack

Chor
Stellario Fagone

Dramaturgie
Daniel Menne
 

Chor der Bayerischen Staatsoper

Statisterie, Kinderstatisterie und Opernballett
der Bayerischen Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Semiramide
Joyce DiDonato

Assur
Alex Esposito

Arsace
Daniela Barcellona

Idreno
Lawrence Brownlee

Azema
Nikola Hillebrand

Oroe
Simone Alberghini

Mitrane
Galeano Salas

L'ombra di Nino
Igor Tsarkov


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



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