Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Salzburger Festspiele 2017

Wozzeck

Oper in drei Akten op. 7 (1917-1922)
Libretto von Alban Berg nach dem Dramenfragment Woyzeck (1836) von Georg Büchner
Musik von Alban Berg


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)


Koproduktion mit der Metropolitan Opera New York, der Canadian Opera Company Toronto und der Opera Australia
Premiere am 8. August 2017 im Haus für Mozart
(rezensierte Aufführung: 24. August 2017 - vierte Aufführung)

Homepage

Salzburger Festspiele
(Homepage)

Die Menschheit am Abgrund

Von Stefan Schmöe / Fotos © Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Neben den König Lear hat die kluge Salzburger Festspieldramaturgie den Wozzeck gestellt, den Anti-König ganz unten in einer Welt, die denkbar fern ist von jeglichem monarchischem Glanz. Regie führt William Kentridge, 1955 in Johannesburg geborener Künstler, der sich als Weißer in seiner Kunst gegen Apartheid und Unterdrückung positionierte. Seinen Video-Installationen haftet ohnehin ein eminent theatralisches Moment an, und immer schon hat er für das Theater gearbeitet - Büchners Woyzeck etwa hat er in den 1990er-Jahren für ein Puppentheater inszeniert, Bergs Lulu 2015 im Amsterdam. Es gehört zu den Glücksmomenten dieses Festivalsommers, dass ihm im Salzburger Museum der Moderne eine große Ausstellung gewidmet ist, mit Arbeiten zum Theater im Rupertinum direkt neben den Festspielhäusern und (das ist der spannendere Teil) mehreren Installationen im Museum auf dem Mönchsberg. Dort wird Kentridges Arbeitsweise deutlich, die auch diesen Wozzeck prägt. Da gibt es einen wundersamen Totentanz, bei dem Realfiguren und zeichentrickartige Elemente zu den Klängen einer Blaskapelle über acht Leinwände schreiten.

Vergrößerung in neuem Fenster

Wozzeck und der Doktor

Ein Totentanz ganz eigener Art ist auch dieser Wozzeck geworden. Kentridge hat auch hier etliche Kohlezeichnungen angefertigt, die an expressionistische Holzschnitte erinnern, und diese zeichentrickfilmartig aneinander montiert. Abgefilmt werden diese auf den gesamten Bühnenraum projiziert und ergeben den Hintergrund und Assoziationsraum, vor dem sich das Geschehen abspielt. Die Bildsprache verweist thematisch immer wieder auf den ersten Weltkrieg. In einem Interview, das im Programmheft abgedruckt ist, gibt Kentridge an, dass es eher Georg Büchners 1836 begonnenes Dramenfragment ist, das ihn beinahe vorausschauend die Kriegskatastrophe assoziieren lässt, als Alban Bergs 1915 im Krieg begonnene Musik. Wie auch immer: Die sich oft unmerklich verändernden Videosequenzen, die den ganzen Bühnenraum ausfüllen, weiten die Katastrophe des Individuums Wozzeck zur Katastrophe der Menschheit. Gleichzeitig wird die Handlung, die Kentridge mit wenigen, aber pointierten Gesten geradlinig nacherzählt, durch diesen Überbau gleichsam entnaturalisiert. Es ist jederzeit klar, dass hier Theater gespielt wird, und doch gelingt es der Regie, die Handlung emotional zu verdichten.


Vergrößerung in neuem Fenster Marie und das Kind

Auf der Bühne sieht man ein ruinenhaftes Gebilde: Laufstege, ein Stück Treppe, eine Leinwand, ein Schrank - man denkt an ein zerbombtes Haus, ohne dass es eines ist (Bühne: Sabine Theunissen). In den einzelnen Szenen wird mal diese, mal jene Spielfläche hell ausgeleuchtet, alles andere dient als Projektionsfläche. Die Kostüme deuten auf das frühe 19. Jahrhundert hin, der eigentlichen Handlungszeit, es mischen sich aber auch hier immer wieder Anspielungen auf den Weltkrieg an. Maries Kind ist eine fast lebensgroße Puppe, deren aufgerissene Augen an eine Gasmaske denken lassen (der Puppenspieler in Gewand einer Kriegs-Sanitäterin ist immer präsent). In der kurzen letzten Szene, in der andere Kinder lakonisch vom Tod Maries berichten, sind Text und Gesang komplett gestrichen, das bedrückend unbeteiligte "hop hop" des Kindes übernehmen die Instrumente - da findet die Sprachlosigkeit über die Katastrophe einen plausiblen Ausdruck, hat Berg doch zuvor mit einem großen instrumentalen Zwischenspiel in ähnliche Richtung gedacht. (Ärgerlich, dass es in Salzburg immer jemanden gibt, der beim letzten Ton einer Oper das Applaudieren beginnt - nach dem sanften Verklingen hätte es unbedingt einen Moment der Stille bedurft.) Kentridge zeichnet unsentimental, aber genau das Individualdrama und parallel dazu auf der Bildebene das Menschheitsdrama.

Vergrößerung in neuem Fenster

Im Wirtshaus: Der Tambourmajor tanzt mit Marie, Wozzeck (oben) wird eifersüchtig

Dafür reduziert er den Humor, der alle in den Museen gezeigten Arbeiten prägt. Präsent wird der am ehesten in der Absurdität mancher Situation, etwa wenn er die Szene mit dem Doktor in einen großen Schrank verlegt und nebenbei allem Glauben an die rettende Wissenschaft eine Absage erteilt. Auf den in Text und Musik so präsenten roten Mond verzichtet Kentridge, das Rot zeigt sich zunächst in Maries Kleid, eine kleine Spur leuchtender als die anderen, durchweg in matte Töne getauchten Kostüme (Greta Goiris), später in mit den Videoprojektionen angedeuteten Detonationen. Die Romantik ist getilgt, der Expressionismus dominiert. In diesem Ambiente frisst sich Büchners Sprache geradezu in die Bühne hinein. Und auch wenn man mit dem Sehen manchmal gar nicht nachkommt, ist es eine eminent musikalische Inszenierung.


Vergrößerung in neuem Fenster Am Teich: Wozzeck und Marie

Einige Rätsel gibt Vladimir Jurowskis Dirigat auf, das collagenartig divergierende Stilmittel nebeneinander setzt. Manches Detail erklingt in großer Schärfe; dann wiederum ergießt sich die Musik romantisch, als sei sie von Mahler. Die Wirtshausszenen klingen sachlich montiert, als habe Jurowski Hindemith im Hinterkopf. Falsch ist dieser uneinheitliche Stil jedenfalls nicht, spiegelt er doch in mancher Hinsicht die Montagetechnik der Regie wieder. Ganz geheuer ist das den Wiener Philharmonikern offenbar nicht, die Präzision dürfte jedenfalls größer sein, das Klangbild entschlossener. Es ist jedenfalls kein Wozzeck, bei dem der satte Orchestergrund die Härten der Handlung abfedern würde.

Matthias Goerne ist ein gedeckter Wozzeck, zwar kraftvoll, aber im Timbre ohne äußerlichen Glanz, ein von Beginn an Unterdrückter mit hängenden Schultern, der kein wirkliches Aufbegehren kennt - selbst beim Mord an Marie ist die Resignation größer als die Wut. Asmik Grigorian ist eine lyrische, eher zarte Marie, deren Hingabe an den (recht konventionell gezeichneten) Tambourmajor mehr ein Akzeptieren des Laufs der Dinge ist denn Rebellion oder Ausbruchsversuch. Mit John Daszak als Tambourmajor, Gerhard Siegel als Hauptmann, Jens Larsen als Doktor und Mauro Peters als Andres sind die weiteren Partien ordentlich besetzt, vor allem aber rollendeckend im Sinn der Regie, die keine des Startheaters ist.


FAZIT

Diese ungeheuer packende Produktion ist ein Höhepunkt des Festspielsommers.






Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Vladimir Jurowski

Inszenierung
William Kentridge

Co-Inszenierung
Luc De Wit

Bühne
Sabine Theunissen

Kostüme
Greta Goiris

Video Compositor & Editor
Catherine Meyburgh

Licht
Urs Schönebaum

Video Operator
Kim Gunning

Chor
Ernst Raffelsberger

Kinderchor
Wolfgang Götz

Leitung Bühnenmusik
Patrick Furrer



Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

Angelika-Prokopp-Sommerakademie
der Wiener Philharmoniker
(Bühnenmusik)

Wiener Philharmoniker


Solisten

Wozzeck
Matthias Goerne

Tambourmajor
John Daszak

Andres
Mauro Peter

Hauptmann
Gerhard Siegel

Doktor
Jens Larsen

1. Handwerksbursch
Tobias Schabel

2. Handwerksbursch
Huw Montague Rendall

Der Narr
Heinz Göhrig

Marie
Asmik Grigorian

Margret
Frances Pappas


weitere Berichte von den
Salzburger Festspielen 2017


Zur Homepage der
Salzburger Festspiele




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -