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Zwischen Liebe und PflichtgefühlVon Thomas Molke / Fotos von Patrick Pfeiffer Maometto II markiert in mehrfacher Hinsicht einen Wendepunkt in Rossinis Opernschaffen. War es ihm bis jetzt gelungen, pro Jahr in kürzester Zeit mehrere Opern zu komponieren, änderte sich das 1820, als Rossini neben Maometto II gerade noch seine Messa di Gloria fertigstellen konnte. Grund mag zum einen die politische Situation in Neapel gewesen sein, da der im Juli 1820 im Königreich beider Sizilien ausgebrochene Aufstand zwischen den Carbonari, einem von liberalen und patriotischen Idealen getragenen Geheimbund, und den Anhängern des Absolutismus des Restaurationszeitalters auch an Rossini nicht spurlos vorübergegangen sein dürfte. Des Weiteren schlug Rossini aber auch musikalisch und formal mit Maometto II neue Wege ein, was die Komposition ebenfalls ins Stocken gebracht haben dürfte. So lässt sich die Oper zwar noch in insgesamt zwölf Nummern einteilen, die jedoch einerseits wesentlich kompakter als in Rossinis früheren Opern sind und andererseits auch stärker ineinander übergehen, was gerade den Arien einen ganz anderen Stellenwert gibt. In der Urfassung von Neapel gehört die Oper zu den wenigen Werken Rossinis mit einem tragischen Ende, das für eine Wiederaufnahme in Venedig zwei Jahre später wie der größte Teil des zweiten Aktes abgeändert wurde. In der zweiten Fassung können die Venezianer Annas Selbstmord am Ende verhindern. Für Paris arbeitete Rossini das Werk noch einmal komplett um und brachte es unter dem Titel Le Siège de Corinthe heraus, das sich in den Folgejahren auch in der italienischen Übersetzung L'assedio di Corinto großer Beliebtheit erfreute. Paolo Erisso (Merto Sungu) will, dass seine Tochter Anna (Elisa Balbo) den Heerführer Calbo heiratet. Bemerkenswert ist, dass das Libretto auf einer Tragödie, Anna Erizo, basiert, die Cesare Della Valle erst nach der Uraufführung der Oper fertiggestellt hat. Rossini war auf das Sujet, an dem Della Valle arbeitete, aufmerksam geworden und bat ihn, erst ein Libretto zu erstellen und anschließend die bereits begonnene Tragödie zu beenden. Die Geschichte handelt von dem historisch belegten osmanischen Sultan und Eroberer Konstantinopels Mehmed II. (Maometto II) und seiner Belagerung der venezianischen Kolonie Negroponte auf Euböa im Jahr 1470. Der Statthalter Paolo Erisso beschließt mit den Heerführern, die Stadt bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Den Heerführer Calbo bittet er, seine Tochter Anna zu heiraten, damit sie, falls er selbst falle, einen zweiten Beschützer habe. Doch Anna gesteht ihrem Vater und Calbo, dass sie sich in einen gewissen Uberto aus Mytilene verliebt habe, den sie in Korinth kennengelernt habe. Als sich herausstellt, dass Uberto niemand anderes als Maometto ist, der unter falschem Namen nach Korinth gekommen war, fühlt sie sich betrogen. Maometto ist aus Liebe zu Anna bereit, ihren Vater und Calbo, den sie als ihren Bruder ausgibt, zu schonen, und bietet ihr an, an seiner Seite und gemeinsam mit ihrem Vater über die eroberten Gebiete zu regieren. Doch Anna will ihr Volk nicht verraten und übergibt den Ring mit dem kaiserlichen Siegel, den Maometto ihr als Pfand der Liebe überreicht hat, ihrem Vater und Calbo, mit dem sie sich noch schnell am Grab der Mutter vermählen lässt. So gelangen die beiden Männer unbehelligt in die Stadt und können die Zitadelle vor dem Angriff der Muselmanen schützen. Wutentbrannt stellt Maometto Anna wegen des Verrats zur Rede. Doch Anna ersticht sich vor seinen Augen. Maometto (Mirco Palazzi) liebt Anna (Elisa Balbo), doch sie ist enttäuscht, da er seine wahre Identität verschwiegen hat. Jochen Schönleber verzichtet in seiner Inszenierung sowohl auf eine politische Aktualisierung als auch auf eine naturalistische Umsetzung, und wählt einen recht abstrakten Ansatz, der die Tragik der Geschichte sorgfältig herausarbeitet. So verzichtet er bei den Truppen Maomettos auf einen orientalischen Touch und lässt auch den Sultan selbst als einen General auftreten, der sich optisch von den venezianischen Kolonialisten kaum unterscheidet. Anna trägt ein langes weißes Kleid, das ihre Reinheit und Unschuld hervorhebt. Die Bühne ist zweigeteilt und enthält auf der linken Seite einen schräg nach hinten führenden Steg, der als Stadtmauer fungiert und unter dem man quasi in die Katakomben der Stadt hinabsteigen kann. Eine drehbare Stellwand auf der rechten Seite ermöglicht schnelle Szenenwechsel. Auf der einen Seite sieht man eine graue Steinwand, die wohl das Grabmal von Annas Mutter darstellen soll. Hier notiert Anna zu Beginn der Oper mit weißer Kreide ihre Bestimmung, nämlich dass sie sich selbst zur Rettung der Stadt opfern muss. Die andere Seite der Wand stellt im ersten Akt Annas Schlafgemach dar, das beim Einfall der Muselmanen verwüstet und in seine Einzelteile zerlegt wird. Nach der Pause ist die Wand mit roten Tüchern bedeckt und stellt das prachtvolle Zelt dar, in das Maometto Anna in der Hoffnung geführt hat, ihre Liebe zu gewinnen. Calbo (Victoria Yaravoya) glaubt an Annas Treue, während Erisso (Merto Sungu) an seiner Tochter zweifelt. Szenisch unklar bleibt lediglich Annas Spiel mit dem Kreisel zu Beginn der Oper. Diskutabel ist auch, Erisso und Calbo am Ende nach Annas Selbstmord beim Schlusschor erneut auftreten zu lassen. Ihre Uniformen zeigen die Spuren eines Kampfes und die blutverschmierten Gesichter lassen fraglich erscheinen, ob der Angriff auf die Zitadelle wirklich abgewendet werden konnte. Auch wenn Maometto nach Annas Selbstmord traumatisiert wirkt und wie erstarrt auf den Leichnam blickt, scheint es doch unwahrscheinlich, dass er Erisso und Calbo unbehelligt zur toten Anna gehen lässt. In der Inszenierung ist es Calbo, der trauernd vor Anna niederkniet, während sich Erisso verzweifelt und vielleicht mit einem Hauch von schlechtem Gewissen abwendet. Mit diesem Bild lässt Schönleber die Szene einfrieren und löst sie auch beim Schlussapplaus bis zum zweiten Blackout nicht auf. Vielleicht soll dieses Ende auf die historische Begebenheit anspielen, wonach Anna und ihr Vater beide von Maometto nach der Belagerung getötet worden sind. Calbo (Victoria Yaravoya, Mitte), Maometto (Mirco Palazzi, rechts) und Erisso (Merto Sungu, links) trauern mit dem Volk um die tote Anna (Elisa Balbo). Musikalisch lässt sich die Oper als absolutes Meisterwerk Rossinis bezeichnen und wird stimmlich in Bad Wildbad hervorragend umgesetzt. Ein Glanzpunkt des ersten Aktes ist das "Terzettone" zwischen Anna, Calbo und Erisso, das von einem Chor und einem Szenenwechsel unterbrochen wird. Erisso erscheint zunächst mit Calbo in Annas Gemach, um seiner Tochter mitzuteilen, dass sie den Heerführer heiraten soll. Als Anna ihm gesteht, dass sie bereits einen anderen Mann liebt, und sich herausstellt, dass dieser Mann keinesfalls der sein kann, für den er sich ausgegeben hat, beginnt der erste Teil des Terzetts, der dann relativ abrupt durch einen Kanonenschuss unterbrochen wird. Alle eilen auf den Hauptplatz und erfahren, dass ein Verräter den Belagerern das Tor geöffnet hat. Während Anna mit den Frauen für die Rettung der Stadt betet, ziehen sich Erisso und Calbo mit den Kriegern in die Zitadelle zurück. Erst dann kommt das ursprüngliche Terzett zu einem Abschluss, wenn Erisso seiner Tochter den Dolch übergibt, mit dem sie sich umbringen soll, bevor sie den Muselmanen in die Hände fällt. Im zweiten Akt gibt es erneut ein Terzett zwischen diesen drei Figuren, in dem Anna den beiden Männern den Siegelring übergibt und sich gleichzeitig am Grab ihrer Mutter mit Calbo vermählen lässt. Das bewegende Duett zwischen Anna und Maometto, die berührende Arie des Calbo und die große Schlussszene Annas im zweiten Akt lassen sich zwar eher als traditionell bezeichnen, stellen jedoch ebenfalls musikalische Glanzpunkte der Oper dar. Elisa Balbo gestaltet die Partie der Anna mit dramatischen Höhen und einem Volumen, das man dieser zierlichen Person kaum zutraut. Mit ihrem tadellosen Sopran arbeitet sie einerseits die Leiden der jungen Frau eindringlich heraus und erweist sich mit großer Strahlkraft und exorbitanten Koloraturen als heldenhafte Märtyrerin, die angstfrei in den Tod geht. Großartig gelingt ihr die große Szene am Ende, wenn sie selbstbewusst den Muselmanen entgegentritt. In ihrer Kavatine zu Beginn der Oper wirkt sie hingegen wie ein verletzliches Kind. Mirco Palazzi stattet die Titelpartie mit profundem Bassbariton aus und gibt ihm bei aller Härte auch empfindsame Züge, die deutlich machen, dass er keineswegs ein gewissenloser Barbar ist. In seiner Auftrittskavatine punktet er mit beweglichen Läufen und großer Strahlkraft. Im Duett mit Anna finden die beiden Stimmen bei allen Hindernissen, die zwischen ihnen liegen, zu einer betörenden Innigkeit, die unterstreicht, das sie unter anderen Umständen ein glückliches Paar hätten werden können. Weiterer Star des Abends ist Victoria Yarovaya als Calbo. Mit gewaltigen Oktavsprüngen gestaltet sie die Partie des jungen Heerführers und überzeugt in den Tiefen mit großem Volumen und in den Höhen mit dramatischer Strahlkraft. Ihre große Arie im zweiten Akt, "Non temer: d'un basso affetto" gestaltet sie mit einem warmen und samtigen Mezzosopran, der Calbos tiefe Gefühle für Anna und sein absolutes Vertrauen in ihre Unschuld unterstreicht. Auch darstellerisch arbeitet Yaravoya die stillen Leiden des nicht erhörten Liebenden eindrucksvoll heraus. Merto Sungu kommt die undankbare Rolle des Vaters Paolo Erisso zu, der sich seiner Tochter gegenüber relativ herzlos verhält. Sungu stattet die Partie mit einem kräftigen Tenor aus, der in den Höhen die Härte des Vaters unterstreicht. Nur am Grab seiner Frau gönnt Rossini ihm musikalisch einen kurzen Moment tiefen Gefühls. Patrick Kabongo Mubenga rundet das Ensemble in der Doppelrolle als venezianischer Heerführer Condulmiero und als Maomettos Vertrauter Selimo mit sauberem Tenor ab. Antonino Fogliani arbeitet mit großer Leidenschaft die emotionalen Tiefen der Partitur mit den Virtuosi Brunenses eindrucksvoll heraus und ist so in seinem Element, dass er in dem engen Orchesterbereich ein Mikrofon für die Aufnahme umwirft und die Lampe des Cellisten außer Gefecht setzt. Doch das kann den musikalischen Genuss keineswegs stören. Der Camerata Bach Chor Pozna ń übernimmt mit stimmlicher Präsenz sowohl das Volk von Negroponte als auch die angreifenden Muselmanen und die Frauen im Serail des Sultans, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt.
FAZIT Diese Oper markiert nicht nur einen Glanzpunkt in Rossinis Schaffen, sondern kann auch bezüglich der Inszenierung als Höhepunkt des diesjährigen Festivals Rossini in Wildbad betrachtet werden.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2017 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAntonino Fogliani Regie, Bühnenbild und Licht Choreographie und Mitarbeit Regie Kostüme Licht Chor
Camerata Bach Chor Pozna ńVirtuosi Brunenses
SolistenPaolo Erissa, Statthalter der Venezianer in Negroponte
Anna, seine Tochter
Calbo, Venezianischer General
Condulmiero, ein anderer General
Maometto II (Mehmed II.)
Selimo, sein Vertrauter
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