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Bayreuther Festspiele 2018

Lohengrin

Romantische Oper in drei Akten
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 5h 30' (zwei Pausen)

Aufführung im Festspielhaus Bayreuth am 29. Juli 2018 (2. Aufführung nach der Premiere am 25.07.2018)


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Bayreuther Festspiele
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Blauer Elektriker zwischen Traum und Realität

Von Bernd Stopka, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Bildende Künstler als Bühnenbildner zu engagieren, ist eine immer mal wieder gern gewählte Option, einem Bühnenwerk eine neue Dimension zu verleihen. Keine neue Idee, eine zuweilen gute, aber eben auch riskante, denn nicht jedes auf die Bühne gestellte Bild ist ein Bühnenbild, was sich in Bayreuth ab 2011 mit Joep van Lieshouts Installation zum Tannhäuser zeigte, die besser auf der „documenta“ als auf der Bayreuther Festspielbühne aufgehoben gewesen wäre. Für 2018 wurde Neo Rauch mit der Ausstattung der neuen Lohengrin-Produktion betraut. Ein weiteres Wagnis, das ein ebenso reizvolles wie spannendes Ergebnis zeigt. Obendrein war das Bühnenbild von Anfang an ein verlässlicher Teil der Neuenfels-Ratten-Nachfolgeproduktion, die im Vorfeld durch diverse Umbesetzungen von sich reden machte.

Anstelle des ursprünglich vorgesehenen lettischen Regisseurs Alvis Hermanis inszeniert Yuval Sharon, ein Amerikaner mit israelischen Wurzeln, der ein Faible für grenzüberschreitende szenische Experimente hat, in der Ausstattung von Neo Rauch und seiner Ehefrau Rosa Loy, die bei Übernahme des Regieauftrags bereits so gut wie fertiggestellt war. Hermanis hat die Verhandlungen bereits im Dezember 2016 beendet, als er wegen eines, nicht auf Bayreuth bezogenen, künstlerisch-politischen Konflikts entschieden hatte, nicht mehr in Deutschland zu arbeiten. Für die Partie der Elsa war man mit Anna Netrebko im Gespräch. Dass sie die Elsa 2018 in Bayreuth nicht singen wird, wurde klar, als Katharina Wagner bei der jährlichen Pressekonferenz im Juli 2017 Anja Harteros als Besetzung nannte, und es war auch zu vermuten, denn Netrebko erklärte sich nach ihrem beachtenswerten, aber nicht wie gehofft spektakulären Elsa-Debüt in Dresden mit der Partie nicht besonders glücklich. Dass für 2019 nun doch zwei Aufführungen mit ihr geplant sind, hat Piotr Beczala schon vor der jährlichen Pressekonferenz ausgeplaudert, in der dies dann auch bestätigt wurde. Beczala hat dankenswerter- und vor allem glücklicherweise sehr kurzfristig die Titelpartie übernommen, nachdem Roberto Alagna dreieinhalb Wochen vor der Premiere und drei Tage vor seinem Probenbeginn aufgefallen war, dass er in den Jahren, seitdem sein Lohengrin-Debüt bekannt war, nicht genügend Zeit hatte, die Partie komplett zu studieren. Unprofessioneller und rücksichtsloser geht es kaum, aber andererseits hatte Bayreuth so sein Skandälchen, ohne das es ja doch irgendwie auch langweilig wäre.

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Lohengrins Ankunft

Für Neo Rauch erfolgt der Zugang zur Kunst über die Sinne und so möchte er seine Gemälde mehr „erlebt“ als „verstanden“ wissen. Seine figurative Malerei in realistischer Landschaft hat immer wieder eine Beziehung zur Geschichte – gerade auch zur Geschichte der DDR, aus der der Maler und seine Frau stammen, die als bedeutendste Vertreter der Neuen Leipziger Schule einzuordnen sind. Realistisch gemalte, aber doch absurde, auf den ersten Blick verwirrende, ja, beängstigende Szenarien mit sehr realistischen, bizarren, geheimnisvollen, zweideutigen, zuweilen surrealen Elementen zeichnen Rauchs häufig großformatige Gemälde aus, die er gern mit Rauchwolken signiert. Manche Figuren erinnern an eine kraftvolle Arbeiterästhetik. Rauch betont dabei immer wieder, dass seine Figuren keine Erlösergestalten sind und dass er mit seinen Bildern seine nächtlichen Träume abbildet (eine Synapsenverbindung zu Elsas Traum, der für die Handlung des Lohengrin elementar ist?). Das Bühnenbild wurde von Neo Rauch mit seiner Handschrift, aber mit Rosa Loy gemeinsam entworfen, ebenso die Kostüme. Eine glückliche, geradezu organische Verbindung, die die Ausstattung wie aus einem Atem gestaltet erscheinen lässt.

Ein bühnenbreiter, bemalter Rundhorizont mit drei starken Sonnenenergiestrahlen von links oben nach rechts unten, wo viel Schilf wogt (am Ufer der Schelde), begrenzt das Bühnenbild, das als klassisches Kulissentheater mit gemalten und einigen vollplastischen Objekten konzipiert ist und von einer ausgefeilten Lichtregie (Reinhard Traub) zum Leben erweckt wird. Und das im wahrsten Sinne, denn ein Grundgedanke der Produktion ist die Erleuchtung, die Energiegebung für die düstere Welt durch Lohengrin, der hier nicht als Schwanenritter, sondern als ebenso geistiger, wie handfester Elektriker erscheint, Blitze auslöst und Elemente des Bühnenbildes aufleuchten lässt. Im Vorfeld hatte das Regieteam den Gral als Energiequelle bezeichnet, die Brabanter als Gesellschaft, die auf die elementare Energieeinspeisung wartet. Wichtigstes plastisches Bühnenelement im ersten und zweiten Akt ist eine Art Umspannwerk, wobei es sich nicht um ein modernes E-Werk handelt, sondern um eine stilisierte Anlage aus der Zeit der Industrialisierung.

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König Heinrich (Georg Zeppenfeld, stehend), Telramund (Tomasz Konieczny), Ortrud (Waltraud Meier)

Lohengrin ist blau – das wissen wir seit Nietzsche, haben es aber selten so konsequent auf der Bühne umgesetzt gesehen. Die Landschaftshorizonte, die verschiebbaren Schilfstauden, die gemalte Gerichtslinde, das Umspannwerk, ein Transformatorenhäuschen, der Strommast und auch alle Kostüme, Perücken und Bärte erscheinen in vielfältigen Schattierungen eines Blautones, der dem Malersaal und der Kostümabteilung mit einer Blau-Probe aus dem Atelier des Künstlerpaares zugegangen ist. Die Kostüme enthalten Elemente aus allen Zeitaltern, gern mit niederländischem Einschlag, und an ihnen zeigen sich auch surreale, überzogene Anteile, die Neo Rauchs Handschrift tragen. Brabant, Antwerpen, die Niederländischen Meister, da sind dann auch die Delfter Kacheln nicht weit, an die nicht nur das Blau, sondern auch einige Bilder und Figuren erinnern.

Alle Edelleute tragen auf ihrem Rücken Insektenflügel. Die Männer große hängende, die Frauen kleinere, aufrechtstehende. Hat Bayreuth nun anstelle der vorangegangenen Rattenplage eine Insektenplage? König Heinrich sitzt recht unbequem auf den Rippen eines umgestürzten Isolators. Elsa wird mit (natürlich blauen) langen Seilen gefesselt auf die Bühne gezerrt. Über einem hellblauen Rock mit stilisierten Schmetterlingen trägt sie ein helles, fast weißes Oberkleid. Gleichermaßen entsetzt schauen Ortrud und der König, wenn Elsa ihrem Retter verspricht „In meines Vaters Landen die Krone trage er“. Nachdem der erste Ruf erfolglos verhallt ist, wird ein Scheiterhaufen aufgeschichtet und entzündet.  Aber natürlich erscheint der rettende Lohengrin – unter Elektroblitzen, die die Bühne erhellen, mit einem weißen Zwischending aus stilisiertem Schwan und intergalaktischem Raumschiff. Er selbst trägt einen, wenn auch edlen Blaumann mit blauen Handschuhen. Es ist ein gar alltäglicher Vergleich, dass es sich wie eine Erlösung anfühlt, wenn endlich ein Handwerker erscheint und die Heizung repariert… Dieser Vergleich drängt sich stärker auf, als der Elektrizität und Erleuchtung bringende Schraubendreher-Held. Sein „Schwert“ ist ein großer metallener Blitz, den auch Zeus geschleudert haben könnte. Mit ihren Schwertern stecken die Edlen den Kampfkreis auf dem Platz vor dem Tor des Umspannwerkes ab, das im ersten Akt als plastisches Element frontal auf der Bühne steht. Den Zweikampf fechten zwei Kinder-Doubles im Fliegen aus, wobei Telramund einen Flügel lässt und so seine Kraft verliert. Eine riesige Stecknadel wird über die Bühne getragen und man denkt unwillkürlich an einen „Insektenschaukasten“. Lohengrin erhält Flügel umgeschnallt und im großen Jubel des Aktfinales sieht man Ortrud Telramund beschimpfen und sich schon den nächsten Schritt ihrer Intrige ausdenken.

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Lohengrin (Piotr Beczala), Ortrud (Waltraud Meier), Telramund (Tomasz Konieczny), König Heinrich (Georg Zeppenfeld), Heerrufer (Egils Silins), Elsa (Anja Harteros)

Das erste Bild des zweiten Aktes ist das stärkste der ganzen Produktion. Es beginnt düster mit dunklen Farbflächen auf einem schwarzen Portalschleier. Wie in einem Traum verschwinden und erscheinen Personen und Gegenstände dahinter, werden transparent und wieder plastisch. Gemalte Schilfkulissen werden hin- und hergeschoben, aber so geschickt beleuchtet, dass es nicht billig wirkt, sondern die Illusionskräfte des alten Kulissentheaters mit modernen technischen und vor allem Beleuchtungsmitteln zu neuen Ehren führt und gleichzeitig – und das ist vielleicht das Bemerkenswerteste – ein Bild von Neo Rauch lebendig werden lässt, das die Stimmung, die Situation der Szene nicht nur aufnimmt, sondern interpretierend ausdrückt. Das ist sicher das idealste, das höchste Ergebnis, zu dem ein bildender Künstler als Bühnenbildner kommen kann.
In diesem Schwebezustand zwischen Traum und Realität versetzt Ortrud Telramund in eine Art Trance und umstrickt ihn im wörtlichen Sinne mit einem Seil, wickelt ihn ebenso wörtlich ein. Das ist trotz des überdeutlichen Symbols fantastisch gestaltet, denn Ortrud ist hier keine bitterböse Intrigantin, sondern eine verletzte Frau, die sich um ihr Recht gebracht fühlt, das sie sich mit verbrecherischen Mitteln zu verschaffen sucht. Die Mittel des Zaubers und der Verführung gehören zu ihrem Handwerkszeug, denn sie ist keine Revolutionärin, die Neues erreichen will, sondern eine Reaktionärin, die die alte Welt, die alten Götter und vor allem die Herrschaft ihres Stammes wiederherstellen will. Elsa besingt die Lüfte aus einem kleinen Fenster in einem kleinen Trafohäuschen, das gerade mal ihren Kopf sehen lässt. Diesen aber ganz klar und realistisch, während das Häuschen zwischen klar konturiert und transparent changiert. Ein Schilfelement wird verschoben und gibt die Sicht auf den Turm deutlicher frei. Ortrud liest Elsa aus der Hand.
Zum zweiten Bild befinden wir uns im Innern des Umspannwerkes, sehen das Bühnenbauteil rückseitig. Der Chor wird für einen niederländischen Maler in Positur gestellt – doch der malt nur das Szenenbild ohne Menschen. Das zeigt eben diese Rückseite des Tores aus dem ersten Akt. Die Rückseiten der Pfeiler sind leuchtend orange, auch die der gemalten Bäume, die zusätzlich auch noch negativ gemalt sind. Orange ist die Komplementärfarbe zu blau. Ein bisschen sehr deutlich werden so die Gegensätzlichkeiten zwischen Lohengrins Ideal und Elsas Realität eingefärbt, die Verbindung beider Gegensätze ist eine Utopie, an der am Ende beide scheitern. Zu den „prächtigen Gewanden“ für den Kirchgang gehören die Flügel dann wieder dazu. Auch Lohengrin, jetzt in einem puffärmeligen Kostüm mit weißem Mühlsteinkragen und silbernem Brustpanzer (der eigentlich zu seinem Auftritt im ersten Akt gehört hätte, den dort aber Telramund getragen hat), tritt beflügelt auf. Der Heerrufer wird von den Männern hin- und her gestoßen und genießt nicht viel Respekt unter ihnen. König Heinrich scheint Lohengrin mehr zu lieben, als Elsa es tut. Lohengrin drückt Elsa auf den Stufen sanft aber deutlich vor sich auf die Knie. Das sieht sanft aus, wirkt aber brutal. Über dieser ganzen Szene schwebt der Geist des Zweifels, in dem die Saat leicht aufgehen kann, die Ortrud - mit hohem Elisabethanischen Kragen – als grau-blaue Eminenz direkt und indirekt sät.

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Ortrud (Waltraud Meier), Lohengrin (Piotr Beczala), Elsa (Anja Harteros)  König Heinrich (Georg Zeppenfeld, oben)

Der Brautchor beginnt aus dem Off. Auf der blauen Bühne steht das Trafohäuschen, das schließlich vom Chor gedreht wird. Lohengrin und Elsa befinden sich in seinem Inneren, in Elsas Schlafzimmer. Ihren Gesang an die Lüfte scheint sie auf dem Bett stehend gesungen zu haben, das kleine Fenster lässt es technisch nicht anders zu. Alles ist intensiv orange und neben einem Bett mit einem hohen Stromisolator ausgestattet. Lohengrin beginnt sich bettfein zu machen, doch Elsa denkt nicht daran. Einen Teil des Duetts singen sie auf der Bettkante sitzend aus Gebetbüchern/Bibeln („des Himmels Seligkeit“). Lohengrin bleibt bei seinen hochzeitsnächtlichen Verführungsbemühungen erfolglos, Elsa lässt ihn am langen Arm verhungern, da helfen ihm auch keine Schmeichel- und Charmeoffensiven. Lohengrin ist vielleicht der Herrscher über die Elektrizität, aber nicht über die Frauen. Dann kommt es zur nächsten Fesselung des Abends:  Elsa wird von Lohengrin mit einem orangefarbenen Seil an den Isolator gefesselt. Sie stellt dennoch die verbotenen Fragen, löst einen Kurzschluss aus und der in mörderischer Absicht erscheinende Telramund stirbt durch einen Stromstoß. Die Welt ist wieder dunkel. Die Edelfrauen drehen das Trafohäuschen wieder um. In der hier besprochenen Aufführung gab es während des Brautgemachs einen kurzen Stromausfall, den Sänger und Techniker mit Bravour überspielten. Fast möchte man glauben, der Gott der Elektrizität hätte im Festspielhaus ein kurzes Stelldichein gegeben. Aber wir leben ja in einer aufgeklärten Zeit. Klopfen wir auf Holz, damit das nicht noch einmal passiert…

An der gemalten Gerichtslinde sind Telramunds Flügel mit riesigen Stecknadeln aufgespießt.  Das reicht völlig aus, seine Leiche wird nicht auf die Bühne getragen. Hinter dem Baum ragt ein eher kleiner Strommast hinauf.  Das Kriegsheer trägt vereinzelt leuchtende Standarten in Mottenform. Lohengrin erscheint wieder im Blaumann mit Blitzschwert, das er traurig hinter sich herzieht wie Linus seine Schmusedecke (mit der dieser übrigens gern mal ein paar lästige Fliegen erschlägt…). Brabanter umschwirren Lohengrin wie Motten das Licht. Elsa erscheint im eleganten orangefarbenen Kleid. Vor der Gralserzählung bricht Lohengrin zusammen und singt sie halb im Liegen am Rand eines blau eingeleuchteten Kreises. Neu-Bayreuth lässt grüßen. So starben damals Siegfried und Tristan. Flackernd erlöschen die Mottenlampen. Lohengrin überreicht Elsa einen innen beleuchteten orangenen Flechtkorb-Tornister mit Horn, Ring und Schwert für Gottfried und schnallt ihn ihr auf. Elsa nimmt dies alles eher selbstbewusst trotzig als reuevoll hin, momentweise apathisch, aber eigentlich erlebt man sie als nicht durch, sondern von Lohengrin erlöst. Ortrud wird – wie Elsa im ersten Akt – an zwei Seilen auf die Bühne gezerrt und soll auf einem schnell errichteten Scheiterhaufen verbrannt werden, doch wie zuvor Lohengrins Erscheinen Elsa gerettet hat, rettet Ortrud nun der in giftgrün, mit Hut und Mantel erscheinende Gottfried mit flackernd leuchtendem Runenstab oder entsprungenem Reis. Das Volk bricht zusammen, Elsa und Gottfried schreiten auf das Publikum zu. Ortrud entkommt ihrer Strafe, schaut ungläubig auf die Szene und deutet auf Elsa und Gottfried. Wird der froschgrüne neue Herzog nun alle Insekten fressen? Man weiß es nicht…

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Edeldamen und Chor vor dem noch verdeckten Brautgemach

Die gesamte Personenregie besteht aus einer archaisch anmutenden Ansammlung von pathetischen Operngesten und -aktionen. Einiges wirkt sehr eindringlich (Ortrud), anderes reichlich altmodisch und bemüht, was einer gewissen rührenden Komik nicht entbehrt – beabsichtigt oder unfreiwillig sei einmal dahingestellt. Die Schwerter-Choreographie erinnert jedenfalls gnadenlos an die Lohengrin-Persiflage von Otto Schenk. Aber ebenso wie die Kostüme durch Zeiten und Räume geschneidert sind, ist es auch die Personenregie, die Stilmittel verschiedener Epochen vereint. Allein schon die Finale der ersten beiden Akte könnten so auch in der Uraufführung choreografiert worden sein. Zusammen mit den lebendig gewordenen Bildern ist das ein ästhetischer und durchaus auch spannender Ansatz und natürlich wird als Vorhang die traditionelle Bayreuther „Wagner-Gardine“ verwendet. Die allzu flachen und offensichtlichen Bildchiffren (Elektrizität, Fesselungen, Komplementärfarben usw.) wirken dagegen aufgesetzt, unnötig und ziemlich gewollt. Der plüschig grüne Gottfried erinnert eher putzig an einen Stoff-Frosch, der zurzeit ein Bayreuther Schaufenster ziert.

Viel elementarer ist aber, dass Lohengrin als strahlender Held demontiert und Wagner ziemlich heftig gegen den Strich gebürstet und hinterfragt wird. Was für ein arroganter Kerl ist dieser Mensch, der meint, nichts von sich preisgeben zu müssen, nicht nur absolutes, blindes Vertrauen erwartet, sondern auch noch stante pede geliebt werden will? Diese Sichtweise ist menschlich ungemein verständlich und intellektuell absolut zeitgemäß. Aber im Lohengrin wird nicht nur die Frage nach Glauben und Vertrauen gestellt – es ist auch die Geschichte eines Vertrages: Lohengrin kommt, um Elsa (und nach einem Jahr auch Gottfried!) zu retten, stellt aber eine Bedingung. Sie hätte ja auch „nein“ sagen können und die Konsequenzen tragen. Aber wer hätte das angesichts eines Scheiterhaufens schon gemacht? Sie ist ja nicht die erste, die in höchster Not einen Knebelvertrag unterschreibt – aber wohl doch die einzige, der das Kleingedruckte gleich zweimal warnend vorgesungen wird. Um im elektrischen Bild zu bleiben, könnte man auch sagen, sie habe die Tasten „Name“ und „Art“ gedrückt und die Sicherheitsanlage zum Absturz gebracht. So wie Lohengrin seine schwer einzuhaltenden Bedingungen stellt und damit nicht nur sympathisch ist, so inkonsequent ist Elsa, die gerettet werden will, dafür ein Versprechen gibt und dies dann nicht halten will oder kann. Dabei ist es unerheblich, dass sie zu Unrecht angeklagt war. Recht haben und Recht bekommen ist bekanntlich zweierlei und manchmal müssen Kompromisse eingegangen werden, obwohl man im Recht ist. Elsa fühlt sich als Opfer, als Gefangene und schlägt immer wieder die Arme übereinander, wie wenn sie gefesselt wäre und Lohengrin macht den Eindruck, dass er sich eigentlich aus der Gralswelt durch die Ehe mit Elsa selbst erlösen wollte. Insofern würde in erster Linie Lohengrin scheitern, nicht Elsa.  Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Der Ansatz ist zwar durchaus spannend, geht aber nicht wirklich auf.

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Lohengrin (Piotr Beczala), Elsa (Anja Harteros)

Piotr Beczala singt den Lohengrin mit wundervoll schlankem, edlem, exakt fokussiertem Tenor, der ohne Brüche gleichmäßig durchgeformt ist und wahrhaftig wie überirdisch klingt, auch, wenn nicht alle Spitzentöne ganz exakt sitzen und sich zum Ende hin Ermüdungserscheinungen zeigen, was man dem Einspringer aber verständnisvoll gern nachsieht. Wohldosiert würzt er seine Interpretation mit einem Hauch von Italianità, den Wagner sich für diese Partie gewünscht hat. Schluchzer sind dagegen eher Geschmackssache. Seit Dresden hat Beczalas Gestaltung der Partie noch gewonnen. Strahlende Spitzentöne klingen wie selbstverständlich, ein Protzen hat er nicht nötig und singt ausdrucksvoll sanft zurückgenommen, wo andere durchaus auch mal kraftmeiern. Er ist wahrhaftig kein Ersatz, sondern ein Glücksfall und wäre nach seinem grandiosen Rollendebüt 2016 in Dresden eigentlich von vornherein die erste Wahl für Bayreuth gewesen. Anja Harteros ist eine stimmlich recht frauliche Elsa, die im Brautgemach am überzeugendsten ist. Sie verleiht der Figur mit unverkennbarem Timbre Geist und Seele, ja selbst einen Hauch Marschallinnen-Weisheit und lässt sie nicht als kindliches Dummchen erscheinen. Das ist szenenweise dimensionenerschließend, in anderen Momenten vermisst man das Helle, das Reine denn doch („Euch Lüften…“). Natürlich ist das auch regiebedingt – vielleicht ist sie über die Elsa aber inzwischen auch hinaus und man kann sich auf neue Partien freuen.

Waltraud Meier ist nach 18 Jahren Pause auf den Grünen Hügel zurückgekehrt, um sich als Ortrud von einer weiteren Partie ihres Repertoires zu verabschieden. Sie ist und bleibt eine großartige Darstellerin, szenisch per se und auch musikalisch immer noch, wenngleich nicht alles so gelingt wie vor 20 Jahren und ihr Mezzo ungewöhnlich schlank für eine Ortrud klingt. Aber das tut der Partie durchaus gut, so dass man bedauert, dass dies ihre letzte Ortrud-Serie ist und andererseits beglückt ist, sie in so wunderbarer Erinnerung zu behalten. Sie gestaltet die oben beschriebene verletzte Frau zusätzlich mit einer guten Prise Erotik. Einfach hinreißend. Tomasz Konieczny ist ein urtümlich anmutender Telramund mit gewaltiger Stimmkraft und individueller Artikulation. Ein bisschen mehr Stimmkultur könnte nicht schaden, um die Figur vielschichtiger zu zeichnen. Georg Zeppenfeld, der König Heinrich vom Dienst, ist einer der eindrucksvollsten Bässe unserer Zeit, der sein üppiges Material in vielfältigen Ausdrucksvarianten klingen lassen kann, dabei aber nie über die Stränge schlägt oder seine ausgereifte Technik vernachlässigt.  Egils Silins gestaltet den Heerrufer mit kernig-kräftigem Bariton ausdrucksvoll, zuweilen auch mit ungewöhnlich hintergründigen Tönen, was der Figur mehr Charakter als üblich verleiht. Die vier Edlen (Michael Gniffke, Tansel Akzeybek, Kay Stiefermann, Timo Riihonen) faszinieren mit unterschiedlichen Stimmcharakteren auf gleich hohem Gesangsniveau. Vier be- und verzaubernd klingende Edelknaben (Kitty de Geus, Annette Gutjahr, Maria Schlestein, Cornelia Ragg) runden das Solistenensemble würdig ab.

Für Christan Thielemann schließt sich mit dem Lohengrin der Kanon der von Wagner selbst als „bayreuthwürdig“ bezeichneten Werke. Einzig Felix Mottl hat vor Thielemann alle diese zehn Musikdramen im Bayreuther Festspielhaus dirigiert – und das ist 100 Jahre her. Thielemann dirigiert mit sich auf den Hörer übertragender Leidenschaft, ohne dass er sich in den Wogen der Musik aalt. Das klingt insbesondere in den fein ausgesponnenen Passagen immer wieder transparent und klar – trotz des Bayreuther Mischklangs. Das Vorspiel zum ersten Akt bekommt dabei allerdings etwas zu Sachliches und lässt das Sphärische, Überirdische vermissen. Aber danach gelingen dem Bayreuther Musikdirektor immer wieder ganz ausgesprochen intensive Momente. Wenn Elsa ihre verbotene Frage einfach nicht halten konnte, entsteht eine ungeheure, atemberaubende Betroffenheit. Natürlich lässt Thielemann es auch gern mal so richtig krachen (z. B. im zweiten Teil des Vorspiels zum dritten Akt), aber wohldosiert. Die Vor- und Zwischenspiele darf er bei geschlossenem Vorhang erklingen lassen (es ist fast schon spektakulär, sie nicht mitzuinszenieren).  Der Rundhorizont ist auch akustisch ein Segen, vor allem die Chöre klingen einfach wundervoll (trotz eines Schwächelns  im Brautchor) und man bekommt eine Ahnung, wie Neu-Bayreuth geklungen haben mag. Das Festspielorchester ist weiterhin ein Garant für höchste Qualität, Konzentration und Engagement. Es ist eine schöne Tradition, dass es zum Applaus dem verdeckten Graben entsteigt und die Ovationen auf der Bühne stehend entgegennimmt – wo die Musikerinnen und Musiker in ihrer kurzen Freizeitkleidung ausschauen „wie die Götter“ – wie Friedelind Wagner, deren 100. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird, es als Kind einmal in ihrer typischen Art ausdrückte.

FAZIT

Eine Produktion mit ganz starken Momenten, aber eher flachen Symbolen. Im ersten Bild des zweiten Aktes wird ein Neo Rauch-Gemälde höchst eindrucksvoll lebendig und schwebt faszinierend zwischen Traum und Realität. Sängerisch gutes Bayreuth-Niveau, aber keine Sternstunde.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christian Thielemann

Inszenierung
Yuval Sharon

Bühne und Kostüme
Neo Rauch & Rosa Loy

Licht
Reinhard Traub

Chor und Extrachor
Eberhard Friedrich

 

Der Festspielchor

Das Festspielorchester

 

Solisten

König Heinrich
Georg Zeppenfeld

Lohengrin
Piotr Beczala

Elsa von Brabant
Anja Harteros

Friedrich von Telramund
Tomasz Konieczny

Ortrud
Waltraud Meier

Der Heerrufer des Königs
Egils Silins

1. Edler
Michael Gniffke

2. Edler
Tansel Akzeybek

3. Edler
Kay Stiefermann

4. Edler
Timo Riihonen

Edelknaben
Kitty de Geus
Annette Gutjahr
Maria Schlestein
Cornelia Ragg





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