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Musikfestspiele
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Tiroler Festspiele Erl Sommer

05.07.2018 - 29.07.2018


Tannhäuser

Große romantische Oper in drei Akten
Text und Musik von Richard Wagner

In deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 15' (zwei Pausen)

Wiederaufnahme-Premiere im Passionsspielhaus am 14. Juli 2018
(rezensierte Aufführung: 21.07.2018)

 

 

 

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Begeisterung mit einer bis ins Detail überzeugenden Inszenierung

Von Bianca Hinneburg und Sebastian Steffes / Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse)

Nach sechs Jahren kehrt der Tannhäuser endlich wieder zurück auf die Tiroler Festspielbühne und wird vom Publikum begeistert aufgenommen. Zum einen liegt dies an der hervorragenden musikalischen Leistung des Orchesters sowie der Sängerinnen und Sänger, zum anderen aber auch an der zeitgerechten Interpretation des Werkes. Die Erler Inszenierung problematisiert nicht nur die Seelenqualen des Tannhäuser, die aus der scheinbar unauflösbaren Dissonanz des Frauenbildes zwischen Heiliger und Geliebter resultiert, sondern lenkt auch den Blick auf die Rolle der Frau, die gesellschaftliche Perspektive auf sie und ihre eigenen Bedürfnisse. So kann das Stück auch als eine Hommage an die Komplexität der menschlichen Bedürfnisse betrachtet werden.

Vom ersten Ton an überzeugt das Orchester der Tiroler Festspiele Erl unter der musikalischen Leitung von Gustav Kuhn. Während der Ouvertüre treten die Nymphen in eine Burka gehüllt auf. Zunächst zurückhaltend schreitend, dann sich entfesselnder bewegend, legen sie die schwarze Verschleierung ab und zum Vorschein kommen gold-silbern schimmernde Kopf- und Oberkörperbedeckungen, die an Hidschabs erinnern. Schließlich tanzen die Nymphen immer lasziver, entledigen sich auch diesem kulturellen Stigma, und so kommen ihre facettenreiche Individualität und Weiblichkeit zum Vorschein, was durch schwarze hautenge und durchsichtige Spitzen-Overalls betont wird. Erst als der Chor die Nymphen auffordert, sich vom Venusberg zur irdischen Welt zu begeben, verschleiern sie sich erneut, und ihre individuelle Vielfalt ist nicht mehr erkennbar. Dieser Ansatz entspricht dem kulturell patriarchal geprägten Bild der Frau, die ihre Weiblichkeit und Sinnlichkeit verstecken muss oder andernfalls als Hure degradiert wird.

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Tannhäuser (Gianluca Zampieri) mit Venus (Marlene Lichtenberg, rechts) im Venusberg

Zu Beginn des ersten Aufzugs wird der Zuschauer mit der Erotik des Stücks konfrontiert. Das Publikum blickt auf eine Art Liege, die zentral auf der Bühne aufgebaut ist und das weibliche Schoß-Dreieck symbolisiert. Auf dieser liegt Venus lasziv mit gespreizten Beinen wie eine Diva. Tannhäuser verbirgt sein Gesicht in ihrem Schoß und macht durch diese Pose die Dominanz der Venus und ihrer Reize, sowie die Verfallenheit des Mannes deutlich. Folglich beklagt Tannhäuser, interpretiert von Gianluca Zampieri, dass er nur ihr Sklave sein könne, weshalb er der weiblichen Sexualität wieder entsage und vom Venusberg fliehen müsse. Marlene Lichtenberg überzeugt als Venus nicht nur durch ihre gesangliche Leistung sondern auch durch ihre authentische, reizvolle Ausstrahlung. Mit dem Auftreten eines jungen Hirten (Maria Novella Malfatti) ändert sich das Bühnenbild vom blauen Venusberg zum irdischen Tal zu Füßen der Wartburg, was durch Camouflage-Tücher versinnbildlicht wird. Zum Ende des ersten Aufzugs wird deutlich, dass Tannhäuser in der körperlich-sinnlichen Begierde keine dauerhafte Befriedigung gefunden hat und sich nun nach der reinen Spiritualität der Elisabeth sehnt. So scheint Tannhäuser für seine leiblichen Begierden, die im Kontrast zur religiösen Keuschheit und zu einer reinen, geistigen Liebe stehen, Buße leisten zu wollen.

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Elisabeth (Agnes Selma Weiland)

Agnes Selma Weiland tritt als Elisabeth in einem silber-goldenen, pompösen Kleid auf, was auf verschiedene Dimensionen ihrer Rolle hindeutet. Zum einen verweist ihr Kostüm auf die familiäre Zusammengehörigkeit zum Landgrafen Hermann (Carsten Wittmoser), der dieselbe Farbe trägt, und auf ihren gesellschaftlichen Status. Zum anderen betont die Farbe Elisabeths Rolle der Heilige. Doch schon zu Beginn kann der Zuschauer erahnen, dass Elisabeth nicht nur diese Rolle in sich trägt, sondern sich vielmehr auch nach Sinnlichkeit sehnt, was nicht nur durch ein aufreizendes Dekolleté und ihre Neugierde über Tannhäusers Verbleib zum Ausdruck kommt, sondern auch beim Wiedersehen mit ihrem geliebten Sänger erahnt werden kann, bei dem ein Hauch von Hingabe und Wollust mitklingt. Erst als die gesellschaftlichen Konventionen in Form des Sängerwettstreits und der höfischen Gesellschaft die Szene bestimmen, tritt Elisabeth als fromme Nichte des Landgrafen auf.

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Tannhäuser (Gianluca Zampieri, vorne) wird von den anderen Sängern verurteilt.

Bei der Inszenierung des Wettstreits fällt auf, dass die Sänger in Rot gekleidet sind, was im Kontrast zu den schwarzen Kostümen der höfischen, nach Geschlechtern getrennten Gefolgschaft des Landgrafen steht. Zu erwähnen sind auch die grünen kulturell und historisch verschiedenen Kopfbedeckungen der Frauen, deren Farbwahl auf die Interpretation der Frauenrolle in diesem Stück hinweist. Wenn Tannhäuser Wolfram von Eschenbach (Michael Kupfer-Radecky) und Biterolf (Julian Orlishausen) korrigiert und darauf hinweist, dass Liebe nicht nur etwas rein Geistiges ist, sondern auch Lust bedeutet, offenbart er, dass er auf dem Venusberg war. Nun müssen die höfischen Damen die Bühne verlassen. Während die Männer Tannhäusers Gelüste verurteilen, schreitet Elisabeth ein, bezieht Stellung zu ihm und zu der sinnlichen Seite und bittet um Gnade. Die Schuld, die er aus Sicht der damaligen Gesellschaft auf sich zieht, wird durch einen riesigen Kronleuchter symbolisiert, den die fünf Sänger halten und dessen Strahlen sich über Tannhäuser zentrieren. Er schließt sich den Pilgern an, die bei dieser Szene nicht von Männern, sondern von Frauen gespielt werden.

Mit dem erneuten Auftreten der Nymphen im dritten Aufzug, diesmal in sinnlich roten Kleidern, aber auch mit Kopfbedeckungen, deren Schleier Elisabeths Kleid und somit ihre Rolle symbolisieren, wird die Symbiose der verschiedenen Facetten von Weiblichkeit deutlich. So ist es auch in dieser Inszenierung stimmig, dass die sich nach ihrem Geliebten verzehrende Elisabeth nicht stirbt, sondern die sich nach Liebe sehnende Venus mit ihren Armen umschließt. Durch Elisabeths Gewand wirken die beiden Frauen nun wie eine Person mit zwei in unterschiedliche Richtungen schauenden Gesichtern. Die Erler Inszenierung löst Tannhäusers Konflikt nicht durch seinen Tod, sondern offeriert dem Publikum verschiedene Arten der Deutung. Zum einen legt es die Interpretation nahe, dass die männliche Sicht auf die Frau, die ihr entweder die Rolle der Heiligen oder die der Hure zuschreibt, zu einseitig ist. Vielmehr existiert in jeder Heiligen auch eine sinnliche Seite, während auch die promiskuitive Frau reinen Herzens geliebt und nicht nur auf ihre Reize reduziert werden will. Zum anderen deckt es aber auch ein Pseudodilemma des Mannes auf, der einerseits im Namen der Religion Urheber dieser Polarität ist, aber andererseits moralisch nicht mit dieser leben kann.

FAZIT

Die Inszenierung überzeugt durch die musikalische Leistung des Orchesters und der Sängerinnen und Sänger. Besonders hervorzuheben sind Agnes Selma Weiland als Elisabeth, Carsten Wittmoser als Landgraf Hermann und Michael Kupfer-Radecky als Wolfram von Eschenbach. Die bis ins Detail durchdachten Kostüme (Lenka Radecky), Farbwahlen und Bühnenbilder (Folko Winter) unterstreichen die gegenwartsnahe Interpretation des Werkes.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Regie
Gustav Kuhn

Bühnenbild
Folko Winter

Kostüme
Lenda Radecky

Choreographie
Katharina Glas

Chorleitung
Pavel Sopot

Dramaturgie
Andreas Leisner

 

Orchester und Chorakademie der
Tiroler Festspiele Erl


Solisten

*rezensierte Aufführung

Tannhäuser
George Vincent Humphrey /
*Gianluca Zampieri

Wolfram von Eschenbach
*Michael Kupfer-Radecky /
James Roser

Landgraf Hermann
Michael Doumas /
*Carsten Wittmoser

Biterolf
Frederik Baldus /
*Julian Orlishausen

Reinmar von Zweter
*Michael Doumas /
Josef Ruppert

Heinrich der Schreiber
Giorgio Valenta /
*Wolfram Wittekind

Walther von der Vogelweide
*Ferdinand von Bothmer /
Iurie Ciobanu

Elisabeth
*Agnes Selma Weiland /
Nancy Weißbach

Venus
*Marlene Lichtenberg /
Rita Lucia Schneider

Ein junger Hirt
*Maria Novella Malfatti /
Natalie Medusch

Edelknaben
Giancarla Bettella
Victoria Liashkevich
Alina Sivitskaya
Yuko Ugai

 


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