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Acht Brücken | Musik für Köln 2018

Philharmonie Köln, 12. Mai 2018



Orgia


Werke von Hèctor Parra, Martin Matalon und Martin Smolka
Ensemble MusikFabrik und Concerto Köln
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Acht Brücken | Musik für Köln 2018

Alt trifft neu

Von Claudia Jahn

Im Abschlusskonzert des Festivals ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln 2018 trafen in der Philharmonie zwei Kölner Spezialisten-Ensembles unter der Leitung von Stefan Asbury aufeinander: das Alte-Musik-Ensemble Concerto Köln und das in zeitgenössischer Komposition versierte Ensemble Musikfabrik. Das erstgespielte Stück "Orgia" (2017) von Hèctor Parra (*1976) verlieh dem Konzert seinen Titel. Sein Werk ist eine höchst provokative Kombination von der Passionsgeschichte Jesu, repräsentiert durch Fragmente aus Johann Sebastian Bachs Johannespassion, und musikalisierten Motiven aus dem Drama Orgia (1966) des italienischen Dichters Pier Paolo Pasolini (1922-1975). Letzteres dreht sich thematisch um orgische, gegen gesellschaftliche Sitten verstoßende Praktiken zwischen einem Mann und einer Frau, die beide am Suizid sterben. Der Mann, der sich zum Ende des Bühnenstücks zu seiner Homosexualität bekennt, fühlt sich zum Selbstmord genötigt, da er in der Gesellschaft, die ihn als Außenstehenden zurückweist, keinen Rückhalt findet. Diese Handlung dem Tod Jesu entgegenzustellen, ist sehr gewagt.

Repräsentiert wurde die eklatante Gegensätzlichkeit durch die beiden Ensembles. Concerto Köln war mit seinen historischen Instrumenten links positioniert, während die Musikfabrik die rechte Hälfte einnahm. Parra verwendet in seinem Stück, das durch Pausen in mehrere Abschnitte gegliedert ist, bewusst die Spieltechniken alter und neuer Musik. Durch die unterschiedlichen Stimmungen ist eine gänzliche Vereinbarkeit beider Ensembles praktisch unmöglich. Mikrotonale Schwebungen sind daher permanent vorhanden. Während links Passagen aus Bachs Johannespassion erklingen, greifen die modernen Instrumente dissonant und teilweise geräuschhaft in den Barockklang ein. Es stehen sich zwei Welten gegenüber, die sich im Rahmen ihrer jeweiligen Mittel ausdrücken. Während die alten Instrumente in barocken Affektfiguren aufgehen, bewegen sich die modernen davon unbeirrt in ihrer eigenen Klangwelt von hauchigen, schwebenden und schrillen Tönen und Geräuschen.

Herausragend waren die Momente der direkten Konfrontation zwischen Alt und Neu bei solistischen Passagen. Wie ein Epochen übergreifendes Gespräch zwischen den Zeiten interagierte die barocke Oboe mit der modernen. Es folgte eine ähnliche Konfrontation zwischen alter und moderner Flöte. Besonders karikierend wirkte die aggressive Antwort des Flügels durch brutale Geräuschproduktion auf die zarten Klänge des Cembalos. Ein besonderer Fokus, der sich über das gesamte Stück zieht, liegt auf den solistischen Passagen der modernen Oboe. Diese beginnt mehrmals im vermeintlich harmlosen Barockklang eine lamentohafte Melodie, bis sie durch harmonische Abweichungen und moderne Spielart, die von klassischer Klangästhetik weit entfernt ist, verzerrt wird.

Mal agieren beide Ensembles parallel, mal wechseln sie sich ab. Bei gleichzeitigem Spiel erscheint die Sprache der Alten Musik in die der neuen übersetzt zu werden. So beispielsweise bei lang ausgehaltenen Liegetönen der historischen Streichinstrumente, denen ein quietschendes Glissando von Seiten der modernen Streicher entgegengesetzt wird. Oder auch wenn die modernen Streicher deutlich auf ein punktiertes Motiv der historischen Stimmgruppe eingehen, es aufgreifen und verformen. Mehrmals beginnt ein barockes Klangbild, das sich über eine gewisse Zeitspanne ausbreitet, bis es schließlich vom Geräuschhaften dominiert wird. Es erklingt ein erneuter Versuch der modernen Oboe, sich den barocken Instrumenten anzuschließen. Sie scheint zunächst mit dem linken Ensemble zu harmonieren, bis sich letztlich doch die Schwebung bemerkbar macht und Dissonanzen hinzutreten. Sie bleibt eine Außenstehende, die einer anderen Zeit angehört und sich nicht gänzlich in den barocken Klang einfügen kann. Insbesondere hierbei wird die Verbindung zur literarischen Vorlage erkennbar. Ein kollektives Fortissimo in allen Instrumenten beendet das vielschichtige Werk.

Mit Martin Matalons (*1958) Komposition Trame XIV (2018), die wie Hèctor Parras Werk eine Uraufführung war, rückte die Klarinette solistisch in den Vordergrund. Matalon widmete das Stück Carl Rosman, dem Klarinettisten von Ensemble Musikfabrik, der auf seinem Instrument eine breite Palette an modernen Spieltechniken präsentierte. Das Ensemble bestand ausschließlich aus Mitgliedern der Musikfabrik. Strukturell basiert das Stück auf Miniaturen, die zwischen 40 Sekunden und 4 Minuten dauern. Minimalistische Motive leiten von einem zum nächsten weiter und bauen aufeinander auf. Charakteristisch sind zu Beginn die wilden Wellenbewegungen der Solo-Klarinette und die vereinzelt zarten und hohen Töne im Ensemble. Durch die minimalistischen Melodiefragmente scheint sich die Klarinette musikalisch im Kreis zu drehen und nicht von der Stelle zu kommen, bis eine neue Miniatur eintritt. Dabei wechselt die Klarinette abwechselnd zwischen weiten, rastlosen Intervallsprüngen, engen Tonschritten und Trillern. Im weiteren Verlauf steigert sich das gesamte Ensemble zu einem lebhaften Marschrhythmus, der das Klangbild eines tickenden Uhrwerks vermittelt. Nach lyrischen Momenten, in denen die Klarinette mit dem Flügel kommuniziert und fragenden Einwürfen des Soloinstruments bei den duettierenden Blechbläsern, wird das Ende eingeleitet. Die Klarinette beginnt ein hohes Heulen und ein tiefes Grummeln im Ensemble ist darauf die abschließende Antwort.

Im dritten und letzten Stück des Abends begegneten sich erneut das Concerto Köln und die Musikfabrik. Wie schon Parra, so arbeitet Martin Smolka (*1959) in seinem Werk Semplice (2006) sowohl mit historischer als auch moderner Spielweise. Es beginnt mit zwei zarten, aufeinander folgenden Tönen von der Laute. Diese werden in einer meditativen Atmosphäre vom Flügel und anschließend den anderen Instrumenten wiederholt und ergänzt. Charakteristisch für dieses Werk von Smolka sind die variierenden Klänge von metallischen Schlaginstrumenten und die Naturklänge wie Vogellaute und Regenmacher, die eine Naturkulisse vermitteln. Diese wird jedoch brutal zerschlagen, sobald dissonante Klänge einsetzen. Auffällig ist die häufige Verwendung von impulsiven und von den zwei Ensembles abwechselnd gezogenen Bogenstrichen, die in Dissonanzen erklingen und sich durchgehend ergänzen. Dieses kompositorische Prinzip des schnellen, abwechselnden Spiels zweier Gruppen von Note zu Note, auch Hoquetus genannt, verleiht dem Stück eine expressive Wirkung und eine stark betonte Rhythmik. Die anfängliche maschinelle Regelmäßigkeit gerät jedoch ins Schwanken und es findet eine rhythmische Verschiebung statt. Nach den klanglichen Überlappungen pendelt sich die Regelmäßigkeit der abwechselnden Bogenstriche zwischen den Ensembles jedoch wieder ein. Nach kurzem Erliegen gerät die Maschinerie erneut in Gang und bildet einen Kontrast zu den von Smolka verwendeten Naturklängen. Es ist ein musikalisches Muster, das immer wieder aufgegriffen wird und an harmonischer Komplexität gewinnt.

Im weiteren Verlauf verliert sich die Synchronizität dieses Musters innerhalb der Streichergruppen und die crescendierend gezogenen Bogenstriche verteilen sich zeitlich verschoben auf jeden einzelnen Musiker. Zwischen explosiven Ausbrüchen erklingen Abschnitte der Beruhigung, in denen die Musiker mit einer erstaunlichen Feinfühligkeit dissonante Cluster erklingen lassen, die allmähliche Veränderungen annehmen. Ähnlich wie bei Parra, korrespondieren auch bei Smolka die alte Flöte und die moderne Bassquerflöte. Das gut 45 Minuten dauernde Stück endet mit einer fragenden Melodiefigur in den Streichern und der kurzen Antwort eines hohen Vogelzwitscherns. Zu den weiteren charakteristischen Elementen dieses Werks zählen die häufige Verwendung von Stille, die die schon genannte meditative Atmosphäre unterstützt sowie die Arbeit mit Mikrotönen und nicht temperierten Tönen von Naturhörnern und weiteren alten Instrumenten. Bei der ostentativen Wiederholung von musikalischen Elementen und dem Beharren auf einer "Einfachheit" im Ausdruck sind die vielfältigen Klänge der Percussion tonangebend und das Werk strukturierend.

Mit großer Klarheit in den Bewegungen und einem Sinn für die kompositorischen Feinheiten der jeweiligen Stücke führte Asbury die Musiker sicher durch die Partitur. Trotz halb leerer Philharmonie war der Applaus am Ende des Konzertes stürmisch und das Publikum belohnte die Komponisten Parra und Matalon, die jeweils nach ihrer Uraufführung auf die Bühne kamen, mit euphorischen Bravo-Rufen.




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Orgia

Acht Brücken | Musik für Köln 2018

Kölner Philharmonie
12. Mai 2018


Ausführende

Carl Rosman, Klarinette

Ensemble MusikFabrik

Concerto Köln

Ltg.: Stefan Asbury


Programm

Hèctor Parra
Orgia - Irrisorio alito d'aria (2017)
für modernes Ensemble und Barockorchester
nach dem Drama Orgia
von Pier Paolo Pasolini
Auftragswerk von ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln
- Uraufführung -

Martin Matalon
Trame XIV (2018)
für Klarinette solo und Ensemble
Kompositionsauftrag von
ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln 2018
- Uraufführung -

- Pause -

Martin Smolka
Semplice (2006)
für alte und neue Instrumente





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