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Salzburger Festspiele 2018

Pique Dame

Oper in drei Akten op. 68 (1890)
Libretto von Modest Iljitsch Tschaikowski und dem Komponisten
nach der gleichnamigen Novelle (1833) von Alexander Sergejewitsch Puschkin
Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski

In russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden (eine Pause)

Aufführung im Großen Festspielhaus am 25.08.2018
(Premiere am 10.08.2018)




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Salzburger Festspiele
(Homepage)

Mit höchster Intensität

Von Bernd Stopka / Fotos: © Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Hans Neuenfels: „Das bürgerliche Genießen wird groteskiert und banalisiert“. Das Credo des Altmeisters des regielichen Berserkertums wirkt heute doch eher antiquiert, wie aus einer anderen, vergangenen Zeit. Seine Bayreuther Ratten wurden zu Publikumslieblingen, hinter denen die Provokationen, wie der Homunkulus am Ende seiner Lohengrin-Inszenierung, zurückblieben. Ähnliches ist nun bei der Salzburger Pique Dame zu erleben. Der Meister ist zahm geworden, Provozierendes milde und eher unwichtig. Dafür erzählt er mit einer unglaublich starken und fesselnden Personenregie, die tragische Geschichte des Außenseiters Hermann, der nicht nur so gern dazugehören würde, sondern gleich ein ganz besonders Großer, Toller, vor allem Reicher sein möchte. Seine Situation wird durch die Kostüme (Reinhard von der Thannen) unterstrichen: Hermann ist ein Soldat in rot-goldener Uniform, seine Freunde Tschekalinski, Surin und Tomski sind hier keine Soldaten, sondern reiche Männer in überbetont üppige Pelzmäntel gekleidet, die jedes russische Klischee bedienen und dabei an Oligarchen erinnern. Das verdeutlicht Hermanns Sehnsucht nach Reichtum, die die treibende Kraft der ganzen Geschichte ist, intensiver, als die Originalkonstellation. Denn allein dies treibt Hermann an. Die fragwürde Liebe zu Lisa hat den gleichen Grund: von der Gräfin, ihrer Großmutter, die immer Glück bringenden drei Spielkarten zu erfahren. Jederzeit wäre er bereit, Lisa für den Reichtum zu opfern.

foto folgt
Das Erscheinen der Zarin

Das Bühnenbild (Christian Schmidt) begrenzt im Hintergrund eine an den Seiten nach vorn gebogene dunkle Wand, die mit quadratischen Polstern ausgekleidet ist (wie in einem Raum, aus dem kein Laut herausdringen darf). In der Mitte befindet sich eine Art Bilderrahmen, der zu einem oder zwei Bildern geöffnet werden kann und durch den weitere Bühnenbildelemente geschoben werden, wie eine Art drehbarer Raum mit 4 Zimmern und Durchgangstüren, der von den anderen durchschritten wird, von Hermann aber nur in Bewegung gehalten. Alles ist düster-dunkel, aber der Rahmen ändert zwischendurch seine Farbe bedeutungsschwer ins silbrige oder goldene. Ein übergroßer Spieltisch mit grünem Vlies symbolisiert das Kartenspiel.

Zu Lisas großer Szene zeigt sich im Rahmen ein Sternenhimmel und quaderförmige, an stilisierte Särge erinnernde Elemente werden auf immer wieder in Aktion tretenden Laufbändern hereingefahren. Ein wilder Tanz der Freundinnen wird von einer archetypischen Gouvernante mahnend beendet. Einer der Quader wird als Lisas unbequemes Bett hergerichtet. So unbequem wie ihre Lebensaussichten. Denn so bewegt sie sich Hermann gegenüber zeigt, so kühl verhält sie sich zu ihrem Bräutigam, der, in Uniform gekleidet, von einer Familie an der Mittagstafel mit 4 Kindern singend träumt, die sich leibhaftig vor ihnen zeigt. Sein Glück ist ihr Albtraum und entsetzt läuft sie von der Bühne. Ein starkes, intensives Bild, dass das Drama dieser arrangierten aber von Lisa nicht gewollten Ehe zeigt. Später wird sie sogar durch das Fortwerfen eines Blumenstraußes Jeletzkis Zuneigung verweigern.

Das Schäferspiel wird durch drei weiße Diener in Livree mit Schafsköpfen als solches apostrophiert. Sie sitzen vorn rechts an der Bühne und stricken (ihre eigene Wolle?). Zwei Tänzer und eine Tänzerin stellen die Geschichte sehr realistisch dar, während die Sänger im Hintergrund die Partien singen… sollen, denn sie greifen immer wieder in die Geschichte ein, so, als ob sie nicht nur singen, sondern auch spielen wollten. Ein köstlicher Einfall.


Vergrößerung in neuem
                        Fenster Das Schäferspiel

Das strahlend weiße Zimmer der Gräfin blendet nach all der Düsternis. Es ist ein spartanisch eingerichtetes Krankenzimmer mit Paravent, Bett, Nachttisch und Stuhl. Die Gräfin, zuvor überbunt und auffällig gekleidet, ein grell geschminkter Schatten ihrer selbst, wird bis aufs Hemd entkleidet und insbesondere ohne die Perücke erscheint sie mit vollständiger Glatze wie der traurige Rest ihrer einst übermächtig schönen Erscheinung. Unter dem Schutz ihrer Ausstattung kann sie Stärke demonstrieren und Macht über Lisa ausüben. Aber derart verletzlich muss sie durch Hermanns Insistieren auf die Offenbarung der drei magischen, Karten sterben – so ward es ihr verhießen und so geschieht es. Eine so intensive Szene, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Ganz starkes, ganz großes Theater. Da würde es die Pistole, mit der Hermann die Gräfin bedroht, gar nicht brauchen.

Zu Hermanns Horrorvisionen werden vorüberziehende Häuserfassaden und ein sich mittig verbreiternder gepflasterter Gehweg als Projektionen gezeigt. Vorbeikommende Männer, einige tragen Hunde- und Rattenköpfe, ignorieren den immer mehr verzweifelnden Hermann, den auch die mit gepacktem Koffer zum Durchbrennen bereite Lisa nicht aufhalten kann. Er ist verloren. Entsetzt reißt sie ihren Schatten von der Wand.
Ein letztes Aufbäumen von Glückshoffnung bringt den irre wirkenden Hermann an den Spieltisch. Die Gräfin hat ihm in einer Vision die drei Karten verraten und er will es wagen. Maskierte Männer beobachten die Szene, die etwas Illegales zu haben scheint. Drei – Sieben – aber nicht das As, sondern die Pique Dame werden gezogen. Das süffisant zwinkernde Gesicht der Gräfin wird aus beiden Profilen und frontal projiziert. Hermann versinkt sterbend mit der Spieltischfläche ins Bodenlose. Allgemeine Betroffenheit auf der Bühne? Nicht nur - einigen scheint Hermanns Schicksal auch einfach egal zu sein. Er gehört ja nicht zu ihnen.

Neuenfels erzählt die Geschichte eins zu eins mit intensiver Personenregie, die auch bekannte klassische Operngesten und -konstellationen zulässt. Tomskis Erzählung der Geschichte der Gräfin ist beispielsweise ganz klassisch, ja geradezu „operngestisch“ inszeniert und doch hochspannend. Wenn es emotional besonders intensiv wird, gibt Neuenfels dem Kaiser, was des Kaisers ist und macht keine Fisimatenten.  Auch witzige Elemente (strickende Schafe) sind nicht verpönt.

Bild folgtHanna Schwarz (Gräfin), Brandon Jovanovich (Hermann)
 

Und die Provokationen? Zur zartesten Musik werden am Beginn Kinder in Käfigen auf die Bühne gefahren und an Bändern vorgeführt. Puppenartige Frauen mit riesigen, vorgehängten Busen erinnern einen Moment lang an Baselitz‘ Münchner Blumenmädchen, verweisen mit ihren weit ausgestellten Röcken jedoch schnell in russische Puppenklischees. Die eigentlich spazierengehende Gesellschaft wird als Schwimmverein in altmodischer Badekleidung gezeigt, was auch durch die Schwimmbewegungschoreographie erheiternd wirkt. Die auf Jelezkis Fest erscheinende Zarin ist ein Skelett mit überlangen Armen und durchsichtigem weiten Rock, das von schwarzen Puppenspielern auf einem Podest hereingeschoben und entsprechend bewegt wird, während das Volk in verzückter Begeisterung in wilde Ekstase verfällt. Diese majestätische, gar zu pathetische Musik kann Neuenfels auf gar keinen Fall so stehenlassen. Er zeigt seine Handschrift, aber doch eine gezähmte, ein bisschen Biss, aber nicht unangenehm oder gar schmerzend. Das tut der Sache ausgesprochen gut und konzentriert den Blick auf die große Kunst des Regisseurs: die intensive und ausdrucksstarke Personenregie, die niemanden kaltlassen kann – jenseits aller den bürgerlichen Genuss stören wollender Details.

Foto folgtVladislav Sulimsky (Graf Tomski), Stanislav Trofimov (Surin), Alexander Kravetz (Tschekalinski), Igor Golovatenko (Fürst Jelezki), Gleb Peryazev (Narumow), Pavel Petrov (Tschaplizki), Brandon Jovanovich (Hermann), Ensemble

Brandon Jovanovich stellt mit geradlinig geführtem, schön timbriertem Tenor stimmlich und auch schauspielerisch die Zerrissenheit des Glück und Reichtum suchenden Hermann gänzlich überzeugend dar. Auch die Verführung Lisas – nicht nur mit dem optischen Mittel seiner behaarten nackten Männerbrust –, aber eben aus Berechnung, nicht wirklich aus Liebe. Besonders eindrucksvoll: sein hochintensiver Wutausbruch. Mit bruchlos durchgeformtem, warm timbriertem Sopran, den sie sicher zu hell strahlenden Höhen führt, singt Evgenia Muraveva eine zu Herzen gehende und die Ohren verwöhnende Lisa. Hanna Schwarz ist immer noch eine der ganz ganz großen Sängerdarstellerinnen, besticht schon allein durch ihr Spiel und ihre Bühnenpräsenz, aber auch immer noch durch ihre gesangliche Interpretation und zeigt, wie intakt und klangvoll eine Frauenstimme mit einem Dreivierteljahrhundert noch sein kann. Als Jeletzki kann Igor Golovatenko mit großem, üppig strömendem und exakt fokussiertem Bariton begeistern. Vladislav Sulimsky hinterlässt mit seiner beeindruckend gesungenen Geschichte der Gräfin als Graf Tomski besten Eindruck. Oksana Volkova singt als Polina (eine verrucht sinnliche Frau mit Hotpants unter dem Mantel) mit ihrer Romanze alle Frauen in Trance – was bei dieser wundervollen musikalischen Darbietung nur allzu nachvollziehbar ist. Auch alle kleineren Partien sind luxuriös besetzt, stellvertretend sei Margarita Nekrasova als herrliche Gouvernante genannt.

Zu allem Recht wird Mariss Jansons für sein überwältigendes Dirigat gefeiert, das Spannung und Emotionalität in großen Bögen und kleinen Details zu einem großen Ganzen fügt, das den Hörer mit Leidenschaft und Stil im Sog der Musik versinken lässt, aber eben ohne flache Effekthascherei sondern mit schier unglaublicher Intensität und Dramatik. Die Wiener Philharmoniker machen ihrem Namen und Ruf alle Ehre, ebenso der Wiener Staatsopernchor.


FAZIT

Intensität, Expressivität und Emotionalität – die Majestäten des Musiktheaters werden hier ausgiebig gefeiert. Eine großartige Produktion.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Mariss Jansons

Inszenierung
Hans Neuenfels

Bühne
Christian Schmidt

Kostüme
Reinhard von der Tannen

Licht
Stefan Bollinger

Video
Nicolas Humbert
Martin Otter

Choreografie
Teresa Rotemberg

Chor
Ernst Raffelsberger

Kinderchor
Wolfgang Götz

Dramaturgie
Yvonne Gebauer


Salzburger Festspiele und
Theater Kinderchor

Konzertvereinigung
Wiener Staatsopernchor

Wiener Philharmoniker

 

Solisten

Hermann
Brandon Jovanovich

Graf Tomski / Putus
Vladislav Sulimsky

Fürst Jeletzki
Igor Golovatenko

Lisa
Evgenia Muraveva

Polina / Daphnis
Oksana Volkova

Gräfin
Hanna Schwarz

Tschekalinski
Alexander Kravets

Surin
Stanislav Trofimov

Narumow
Gleb Peryazev

Tschaplizki
Pavel Petrov

Gouvernante
Margarita Nekrasova

Zeremonienmeister
Oleg Zalytskiy

Mascha
Vasilisa Berzhanskaya

Chloe / Prilepa
Yulia Suleimanova

Schäferspieler
Imola Kacso
Márton Gláser
Juan Aguila Cuevas


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