Das schwierige Verhältnis von Müttern und Söhnen
Von Stefan Schmöe
/ Fotos © Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig
Schön, dass sich die Salzburger Festspiele an die Bassariden erinnern. Immerhin haben sie seinerzeit die Oper bei Hans Werner Henze in Auftrag gegeben und 1966 uraufgeführt. Nach der ziemlich erfolgreichen, kammerspielartigen Elegie für junge Liebende entschied sich Henze für einen großen, tragischen, antiken Stoff von festspielgeeigneter Würde - die Bakchen des Euripides. Damals in deutscher Übersetzung gespielt, wählt man jetzt die englische Originalsprache, und deshalb heißt's auch The Bassarids.
Noch gibt sich Dionysos nicht zu erkennen: Als Unbekannter dringt er in die Welt von Agaue und Pentheus ein.
Zur nicht ganz einfachen Handlung: Pentheus hat gerade die Macht in Theben übernommen und lebt mit Großvater Kadmos, Mutter Agaue und deren Schwester (also seiner Tante) Autonoe am Hof, als, die Identität nach und nach offen legend, ein Fremder erscheint: Dionysos, Sohn von Zeus und Semele, einer weiteren Schwester Agaues (und somit Pentheus' Cousin). Semele ist der Sage nach beim Anblick des Zeus in dessen wahrer Gestalt verbrannt, was Pentheus nicht glauben mag und den Kult, der sich um sie entwickelt hat, verbietet. Dionysos gewinnt schnell an Einfluss auf das Volk und auch auf Pentheus. In einem Spiegel zeigt er diesem, der gerade noch Keuschheit gelobt hat, die sexuellen Obsessionen von Mutter und Tante. Als Pentheus, als Frau verkleidet, Dionysos auf ein geheimnisvolles Fest folgt, wird er von seiner eigenen Mutter im Wahn getötet - die glaubt lange, der Kopf in ihren Händen sei der eines Löwen, bevor sie die grausige Wahrheit realisiert. Dionysos verbannt alle vom Hof und legt die Stadt in Schutt und Asche.
Unerquickliches Intermezzo: Pentheus (nicht im Bild) sieht die sexuellen Eskapaden seiner Mutter (Mitte); links Autonoe und Teiresias, rechts Statisten.
Was fängt man mit diesem Stoff an? Da gibt es den politisch deutbaren Konflikt zwischen dem kühlen Rationalisten Pentheus und dem sinnlichen Volksverführer Dionysos - von der Regie nicht erkennbar aufgegriffen. Die Spannung zwischen Keuschheit und entfesselter Sexualität? Schon eher. Die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski lässt den Betrachter doch ziemlich ratlos zurück. Darum erst einmal zu den Fakten. Die Breitwandbühne der Felsenreitschule ist in ein angedeutetes Gebäude mit drei Räumen unterteilt (Ausstattung: Małgorzata Szczęśniak). Rechts ein schlichtes Schlafzimmer in Grüntönen, offenbar aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. In der Mitte in rot eine Art Repräsentationsraum oder Thronsaal. Links, in grau, so etwas wie ein öffentlicher Raum, gleichzeitig Kapelle: Im gläsernen Sarg, aufgebahrt wie Schneewittchen, sieht man die Leiche Semeles (also nichts mit Verbrennung im Angesicht des Gottes). Hauptmann und Gefolge kommen in modernen Polizeiuniformen (italienisch?) daher. Der Chor ist wechselnd ausstaffiert, und in gewisser Weise kommentieren die jeweiligen Kostüme die Szene, wie der Chor des antiken Dramas das Geschehen kommentierte. Zu Beginn: Ein Haufen Pubertierender, die Jungs in knielangen Hosen, die Mädchen in Unterwäsche und weißen Kniestrümpfen - das sieht ein bisschen nach Softporno aus dem Internatsmilieu aus. Ein Zeichen für erwachende Sexualität? Später die Damen (überwiegend) in roten Kleidern, folkloristisch angehaucht, und beim fatalen Fest mit dem Tod des Pentheus reiben sie sich die Geschlechtsorgane (Sexualität zieht sich durch die Inszenierung hindurch). Am Ende aber auch schwarze Trauerkleidung, bäuerlich. Warum? Keine Ahnung. Ein politisch verführbares Volk scheint das jedenfalls nicht zu sein.
Pentheus (links) geht in Frauenkleidern auf den Berg Kytharon, Dionysos folgt ihm - und die Tänzerin deutet mit Schwert den Ernst der Lage an.
Dionysos ist ein Fremder. Der Amerikaner Sean Panikkar (kein schwerer, aber jugendlich strahlender Tenor) hat sichtbar Wurzeln in Sri Lanka, und das wird durch ein landestypisch anmutendes weißes Hemd noch unterstrichen. Nach Pentheus' Tod zieht er sich dessen scheußliche rote Steppjacke an, verliert damit aber alsbald die frühere Souveränität. Er verschüttet Benzin, aber ob er das letztendlich zitternd anzündet oder doch nicht, das bleibt unklar - ist aber auch irgendwie egal, weil die Entscheidung erst nach dem Schlussakkord fällt, und da applaudiert das Publikum schon längst. Er wirkt unnahbar, und am Ende nimmt er die Leiche der Mutter aus dem Sarg und setzt sich damit auf's Bett (man mag an Anthony Perkins in Hitchcocks Psycho denken). Also doch ein Psychodrama um Mutter-Sohn-Konflikte? Immerhin steckt Agaue (ausdrucksstark: Tanja Ariane Baumgartner) seinen (im Bett!) mit der Axt abgeschlagenen Kopf unters Hemd, was natürlich die Schwangerschaft assoziieren lässt. Zwei Cousins mit komplizierter Mutter-Sohn-Beziehung, das ist leidlich schlüssig - aber auch wieder nicht so interessant, als dass es in dieser Form tragfähig wäre. Und dann ist da noch eine Tänzerin (Rosalba Guerrero Torres), die zunächst lasziv wie beim Table-Dance in einem Nachtclub agiert, später das ohnehin schon knappstmögliche Kostüm und Perücke gänzlich abwirft. Sexualität ist wohl doch das Hauptthema.
Agaue mit dem Kopf ihres Sohnes Pentheus, daneben Kadmos, hinten Autonoe
Vielleicht liegt ein Schlüssel in der Vision im orchestralen Intermezzo. Eine absurde Szene, in der Agaue und Autonoe kaum bekleidete Männer und Frauen wie Hunde an der Leine führen und letztendlich miteinander ins Bett steigen. Ein Aufsatz im Programmheft verweist auf den Filmregisseur Pier Paolo Pasolini und dessen letzten Film Saló e le 120 giornate di Sodom (Die 120 Tage von Sodom), in dem eine Gruppe sehr gebildeter Menschen andere nach strengen Regeln sexuell schwer misshandelt. Möglicherweise liegt in der Bildsprache ein Anknüpfungspunkt - aber ohne den Film gesehen zu haben (ein Schicksal, das der Verfasser dieser Zeilen mit vielen anderen Festspielbesuchern teilen wird), lässt sich das nicht klären.
Es bleibt viel Irritation ohne Mehrwert - und ein paar versöhnliche Bilder am Ende, wenn Agaue am Tisch vor den Leichenteilen ihres Sohnes sitzt. Und es bleibt natürlich die Musik, von Kent Nagano, der den großen Apparat souverän zusammenhält (mit Huw Rhys James als Co-Dirigent für den ganz vorzüglichen Chor), in ziemlich weiche, romantische Klänge getaucht - gediegener Festspielsound vom Feinsten, der Ecken und Kanten von 1966 weitgehend abgeschliffen hat. Keine Frage, das können die Wiener Philharmoniker. Und weil Russel Brown einen eher hell timbrierten, eindrucksvollen Pentheus singt, Vera-Lotte Böcker eine hinreißend jugendlich strahlende Autonoe und Károly Szemerédy einen präsent klaren Hauptmann, weil Willard White als Kadmos, Nikolai Shukoff als Teiresias und Anna Maria Dur als Amme Beroe vielleicht keine glanzvollen, aber doch sehr ordentliche Besetzungen sind, erleben diese Bassarids ein musikalisch akzeptables Festspielrevival.
FAZIT
Man darf Regisseur Krzysztof Warlikowski sicher ein ausgefeiltes Konzept unterstellen, aber dieses teilt sich nicht recht mit, und so bleiben die musikalisch weichgezeichneten Bassarids szenisch allzu verwirrend.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Kent Nagano
Inszenierung, Bühne, Choreographie
Krzysztof Warlikowski
Bühne und Kostüme
Małgorzata Szczęśniak
Licht
Felice Ross
Video
Denis Guéguin
Choreographie
Claude Bardouil
Rosalba Guerrero Torres (Solo)
Chor
Huw Rhys James
Dramaturgie
Christian Longchamp
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker
Solisten
Dionysus
Sean Panikkar
Pentheus
Russell Braun
Cadmus
Willard White
Tiresias / Calliope
Nikolai Schukoff
Captain / Adonis
Károly Szemerédy
Agave / Venus
Tanja Ariane Baumgartner
Autonoe / Proserpine
Vera-Lotte Böcker
Beroe
Anna Maria Dur
Tänzerin
Rosalba Guerrero Torres
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