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Bayreuther Festspiele 2019
25.07.2019 - 28.08.2019

Parsifal

Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

In deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 6 h 10' (zwei Pausen)

Aufführung im Festspielhaus Bayreuth am 15. August 2019 (4. Aufführung im Rahmen der Bayreuther Festspiele 2019)
(Premiere der Produktion: 25.07.2016)


Bayreuther Festspiele 2011 / Übersicht

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Erlösung von der Religion

Von Thomas Molke, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Richard Wagners letztes Bühnenwerk Parsifal mag sicherlich das originärste Stück sein, das bei den Bayreuther Festspielen aufgeführt wird. Schließlich hatte Wagner das Bühnenweihfestspiel, wie er selbst es nannte, eigens für das Festspielhaus komponiert und untersagt, dass dieses Werk außerhalb Bayreuths überhaupt zur Aufführung kommt. Auch seine Witwe Cosima hatte 1913 eine Petition bei Kaiser Wilhelm II. eingereicht, die Schutzfrist, die damals 30 Jahre nach dem Tod des Komponisten auslief, zu verlängern. Ihr Ansinnen war allerdings nicht von Erfolg gekrönt, so dass Parsifal seitdem auch die anderen Opernbühnen eroberte und sich einen festen Platz im Repertoire erarbeitete, auch wenn das musikalische Erlebnis im Festspielhaus durch die besondere Akustik für viele Wagner-Anhänger immer noch etwas ganz Besonderes darstellt, was andernorts schwer einzufangen ist. Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg steht nun bei den Festspielen im vierten und gleichzeitig letzten Jahr auf dem Programm. Da 2020 ein neuer Ring geschmiedet wird, muss man sich folglich 2019 neben Tristan und Isolde auch vom Parsifal verabschieden.

Nachdem von Christoph Schlingensiefs Inszenierung 2004 bis 2007 vor allem der verwesende Hase im Gedächtnis geblieben ist und Stefan Herheim in seiner Regie in der Folgeproduktion, die von 2008 bis 2012 lief, die deutsche Geschichte Revue passieren ließ, konzentriert sich Uwe Eric Laufenberg auf die Bedeutung der Religion im Allgemeinen. Dafür siedelt er die Geschichte in der Gegenwart irgendwo im Irak an. In einem heruntergekommenen Gotteshaus bieten die Gralsritter schon während der Ouvertüre zahlreichen Schutzsuchenden Zuflucht. Wenn sich der Vorhang hebt kündet die Sonne, die durch ein Loch in der von einem Bombenangriff beschädigten Decke hinein scheint, den Beginn eines neuen Tages an. Die Flüchtlinge, die ihr Lager auf zahlreichen Liegen aufgeschlagen haben, werden von den Gralsrittern aufgefordert, sich mit ihren Liegen zurückzuziehen, bevor patrouillierende Soldaten mit Maschinengewehren den Raum inspizieren. Hinter der Apsis sieht man einen Zaun, der das Gebäude einschließen mag. Diese kleine christliche Gemeinde ist in Bedrängnis. Ob sie sich allerdings wirklich für das Schicksal anderer Menschen interessiert, ist fraglich. Dem von Parsifal getöteten Schwan wird nämlich wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt als einem kleinen Jungen, der kurz vor dieser Szene in den Kirchenraum läuft und tot zusammenbricht. Einzig Kundry, die in dieser Szene wie eine Beduinin gekleidet ist, da sie gerade für den wunden Amfortas ein heilendes Kraut aus Arabien besorgt hat, scheint Anteil am Schicksal des Jungen zu nehmen.

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Gralsenthüllung der besonderen Art: Amfortas (Ryan McKinny, Mitte) mit den beiden Gralsrittern (von links: Martin Homrich und Timo Riihonen)

In der von Gisbert Jäkel in der Mitte der Bühne gestalteten Apsis dominiert ein riesiges Taufbecken die Szene, das für die Gralsenthüllung nach vorne gezogen wird und eine durchaus fragwürdige Rolle spielt. Vorher entführt Gérard Naziri das Publikum allerdings in einer Videoprojektion auf eine Reise, die aus der Kirche hinaus bis in die Galaxie und wieder zurück in den Saal führt. Was das soll, außer vielleicht einen Umbau zu ermöglichen, wird nicht wirklich klar. Amfortas erscheint zur Gralsenthüllung mit Dornenkrone und erinnert an den gekreuzigten Jesus. Anschließend wird eine Wunde, die er auf der rechten Seite hat, von den Gralsrittern geöffnet. Das bei dieser Aderlassung reichlich fließende Kunstblut wird von den Gralsrittern in Kelchen aufgefangen und in Form eines Abendmahls getrunken. Dass Parsifal auf diese Zeremonie geschockt und verständnislos reagiert, verwundert eigentlich nicht. Für den enttäuschten Gurnemanz reicht es jedenfalls, ihn der Kirche zu verweisen.

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Klingsor (Derek Welton) mit zahlreichen Kreuzen als Trophäen

Der zweite Aufzug erinnert dann an ein türkisches Hamam, das Klingsor gewissermaßen als Gegenentwurf zur Gralsburg geschaffen hat und in dem er die Gralsritter verführen lassen will. Auf einer weiteren Ebene hat er sich einen Raum eingerichtet, von dem aus er das Geschehen auf der Bühne überwachen kann und in dem zahlreiche Kreuze hängen, die vielleicht für die Gralsritter stehen, die er in seinen Bann gezogen hat. In der Auseinandersetzung mit Kundry, die er als Geheimwaffe gegen den nahenden Parsifal einsetzen will, fungiert das Kreuz als sexuelles Symbol und Zeichen seiner eigenen Entmannung. Wieso Amfortas in Klingsors Reich als Geisel gehalten wird, erschließt sich nicht wirklich. Ist sein Auftritt während Kundrys Kuss in dem späteren Verführungsversuch Parsifals wirklich nötig, um Parsifal an die Geschehnisse zu erinnern, die er bei der Gralsenthüllung erlebt hat? Die Szene mit den Blumenmädchen zuvor verläuft hingegen recht überzeugend. Auch wenn sie zunächst alle schwarz verschleiert auftreten und damit nicht sehr verlockend wirken, entledigen sie sich schnell ihrer Trauer um die gefallenen Helden, die Parsifal auf dem Weg zu Klingsors Burg getötet hat, und bilden in ihren knappen bunten Kostümen eine regelrechte Augenweide. So verfehlen sie auch bei Parsifal ihre Wirkung nicht, wenn er sich genüsslich seines Kriegsanzugs entledigen lässt und mit ihnen ins Bad steigt. Es ist fraglich, ob Kundry bei diesem Treiben überhaupt eingreifen muss.

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Nach jahrelanger Wanderung kehrt Parsifal (Andreas Schager, Mitte) zu Gurnemanz (Günther Groissböck, hinten rechts) und Kundry (Elena Pankratova) in die Gralsburg zurück.

Die Auseinandersetzung mit Klingsor folgt dann nach der Zurückweisung Kundrys in direkter Gegenüberstellung. Klingsor wirft die Lanze nicht, sondern geht mit ihr auf Parsifal los. Mit scheinbarer Leichtigkeit nimmt Parsifal ihm die Lanze ab und zerbricht sie, um sie anschließend zu einem Kreuz zu formen und Klingsors Zauber zu bannen. Die Kreuze aus dem Schrein fallen auf die Bühne herab und lassen Parsifal siegesgewiss den Rückweg zur Gralsburg antreten. Diese zu finden, bedarf allerdings wohl einiger Zeit. Der dritte Aufzug zeigt ein verfallenes Kirchengebäude, in das sich die Natur in Form von gewaltigen riesigen Urwaldpflanzen ihren Weg zurückgebahnt hat. Kundry tritt nun als greise alte Frau auf, die scheinbar an Parkinson leidet. Da sie außer der beiden Worte "Dienen, dienen" nichts mehr zu singen hat, lässt Laufenberg sie im Hintergrund zunächst einen alten Kühlschrank inspizieren, den sie anschließend abzuwaschen versucht. Wenn Parsifal schließlich den Weg zurück zum greisen Gurnemanz findet, wird die Szene, in der sie Parsifal die Füße salbt und anschließend von ihm die Taufe empfängt, recht textnah umgesetzt. Anschließend nimmt sie in einem Rollstuhl Platz und lässt sich von Parsifal von der Bühne schieben.

Der Karfreitagszauber findet als eine Art Dusche im Regenwald statt. Zwischen den riesigen Pflanzen im Hintergrund strömt heftig fließender Regen herab, in dem Statisten ein erfrischendes Bad nehmen. Die Nacktheit soll wohl für die Unschuld stehen, ist aber eigentlich überflüssig. Eine weitere Videoprojektion, die den Umbau zum Raum des ersten Aufzugs ermöglicht, gibt erneut Rätsel auf. Auf der Leinwand wird in grauen Farbtönen der Regen aus dem Wald wieder aufgegriffen, aus dem sich nacheinander die Gesichter von Winifred, Wolfgang und Richard Wagner herausbilden. An den Rändern scheinen sie dann in rieselndem Sand zu versinken, bevor sie wieder ganz verschwinden. Auch in dem Sarg, in dem der mittlerweile verstorbene Titurel auf die Bühne getragen wird, befindet sich nur noch seine Asche oder eben Sand. Vehement fordern die Gralsritter, die jetzt Angehörige aller möglichen Religionen verkörpern, bei Amfortas ein letztes Mal die Enthüllung des Grals ein, die dieser allerdings strikt verweigert. Stattdessen legt er sich in den Sarg und hofft, endlich sterben zu können. Parsifal tritt nun in einem schwarzen Anzug wie ein Politiker auf und legt die zum Kreuz geformte Lanze in den Sarg. Die Gralsritter folgen ihm, indem sie sich alle irgendwelcher Reliquien im Sarg entledigen. Erlösung gibt es folglich nicht in der Religion, sondern nur durch die Befreiung von dieser.

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Kundry (Elena Pankratova) versucht, Parsifal (Andreas Schager) zu verführen.

Wie das Publikum der besuchten Aufführung zu dieser szenischen Deutung steht, kann nur gemutmaßt werden, da das Regie-Team sich nicht zeigt. Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau und wird von den Zuschauern frenetisch gefeiert. Da ist zunächst das großartige Dirigat von Semyon Bychkov zu nennen, der das Festspielorchester mit weichem und umsichtigem Klang auf die Diktion der Solisten abstimmt. So folgt die Musik stets dem gesungenen Wort, was vor allem bei Günther Groissböck als Gurnemanz von großer Bedeutung ist, da er in seinen langen Erzählungen vieles zum Verständnis der Vorgeschichte beiträgt. Groisböck begeistert mit kräftigem Bass und einer sehr deutlichen Diktion, was schon eine gewisse Vorfreude auf seinen Wotan aufkommen lässt, den er im Bayreuth-Ring im nächsten Festspielsommer interpretieren wird. Andreas Schager glänzt erneut in der Titelpartie mit strahlendem Heldentenor und unendlich scheinenden Kraftreserven. Auch ihm ist eine hervorragende Textverständlichkeit zu bescheinigen. Darstellerisch überzeugt er in seiner Wandlung vom reinen Tor zum durch Mitleid Wissenden. Elena Pankratova bringt auch im vierten Jahr als Kundry das Festspielpublikum zum Toben. Mit großer Dramatik und Intensität gestaltet sie die Partie und besitzt auch im letzten Aufzug, wenn sie eigentlich nichts mehr zu singen hat, eine enorme Bühnenpräsenz. Ein weiterer Star des Abends ist Derek Welton als Klingsor, der über einen markanten Bassbariton verfügt, der mit Schager und Pankratova den zweiten Aufzug zum musikalischen Höhepunkt des Abends werden lässt.

Ryan McKinny kehrt als Amfortas zurück und überzeugt durch dunklen Bass. Der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor begeistert durch opulenten Klang. Auch die Stimmen der Blumenmädchen harmonieren sehr gut. Allerdings lässt sich textlich bei ihnen kaum etwas verstehen, was aber vielleicht auch nicht ganz so wichtig ist, da die Szene auch so klar wird.

FAZIT

Musikalisch ist dieser Parsifal auch im vierten Jahr ein Erlebnis. Szenisch geht der gesamtreligiöse Ansatz im Großen und Ganzen auf, lässt allerdings auch ein paar Fragen offen.

Weitere Rezensionen zu den Bayreuther Festspielen 2019


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Semyon Bychkov

Inszenierung
Uwe Eric Laufenberg

Bühnenbild
Gisbert Jäkel

Kostüme
Jessica Karge

Licht
Reinhard Traub

Video
Gérard Naziri

Chorleitung
Eberhard Friedrich

Dramaturgie
Richard Lorber



Chor und Statisterie der Bayreuther Festspiele

Orchester der Bayreuther Festspiele


Solisten

Amfortas
Ryan McKinny

Titurel
Wilhelm Schwinghammer

Gurnemanz
Günther Groissböck

Parsifal
Andreas Schager

Klingsor
Derek Welton

Kundry
Elena Pankratova

1. Gralsritter
Martin Homrich

2. Gralsritter
Timo Riihonen

1. Knappe
Alexandra Steiner

2. Knappe
Mareike Morr

3. Knappe
Paul Kaufmann

4. Knappe
Stefan Heibach

Klingsors Zaubermädchen
Katharina Konradi
Ji Yoon
Mareike Morr
Alexandra Steiner
Bele Kumberger
Marie Henriette Reinhold

Eine Altstimme
Simone Schröder


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