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Es muss nicht immer Oper seinVon Roberto Becker, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Seit 2017 hat Katharina Wagner die Reihe mit dem griffigen Titel "Diskurs Bayreuth" etabliert. In diesem Rahmen gibt es während der Festspiele Symposien, Konzerte, Liederabende. Und eigens in Auftrag gegebene Uraufführungen. Im Diskurs Bayreuth ist also tatsächlich drin, was drauf steht. Es ist keine heimliche Revolte gegen die Stiftungssatzung. Und auch kein subversives Unterlaufen, um durch die Hintertür anderen Komponisten oder den nicht zum Kanon gehörenden Stücken des Meisters den Weg ins Festspielhaus zu bahnen. Die Idee macht Sinn und ihre Umsetzung hat Erfolg.
Der doppelte Siegfried Wagner: Felix Römer und Felix Axel Preißler
In diesem Jahr gab es Konzerte an Wagners Grab hinter der Villa Wahnfried und im Hause. Am 30. Juli erst Musik von Liszt, Stockhausen, Boulez, Cage, Saariaho, Nietzsche und Kegel. Dann, am 3. August, ein Konzert und Live Performance "Simon Steen-Andersen goes Bayreuth". U.a. mit einer Uraufführung von Steen-Andersen. Am 22. August war dann Rossini zu Gast im Salon Wahnfried. Das letzte Konzert der Reihe stand unter dem Motto "Auf dem Weg zum neuen Musikdrama: Richard Wagners Stilbildungsschule". Mit Alexandra Steiner (Sopran), Christa Mayer (Mezzosopran), Hyunduk Kim (Tenor), Werner Van Mechelen (Bariton) und Moderator U. Meier am Klavier kamen musikalische Vorbilder Wagners (Gluck, Bellini, Spohr, Schubert, Loewe bis zu Auber und Weber) zu Gehör.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt gab in diesem Jahr der 150. Geburtstag von Siegfried Wagner vor. Dessen Leben und eigenes Schaffen standen im Zentrum einer Podiumsdiskussion. Er spielte auch eine Rolle im mehrtägigen Symposium mit Theoretikern und Praktikern unter dem Titel "Szenen-Macher", das vom 2. bis 4. August 2019 im Haus Wahnfried stattfand.
Eine Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis bot die Uraufführung des Auftragswerkes der Bayreuther Festspiele zu diesem sozusagen haus- bzw. familieneigenen Geburtstag an Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Auch hier: Selbstreflexion und Blickerweiterung.
Siegfried war und blieb immer vor allem der Sohn von Richard. In der Eigenschaft und auf eigene Rechnung, aber auch als Festspielleiter von 1908 bis 1930. Zwischen der regierenden Witwe, Richards Cosima, und Siegfrieds eigener, auf Hitler abfahrender Gattin Winifred, die von Siegfrieds Tod bis 1944 das Sagen auf dem Grünen Hügel hatte.
Neben allem wissenschaftlichem Aufarbeitungseifer gab es jetzt - zum zweiten Mal - ganz nach Richards berühmtem Motto: "Schafft Neues!" - also eine Uraufführung. Im vorigen Jahr war es die des Verschwundenen Hochzeiters von Klaus Lang. Was in der Kulturbühne, im ehemaligen Kino Reichshof in der Stadt, in der Regie von Philipp Preuss seine Uraufführung erlebte und insgesamt vier Mal über die Bühne ging, heißt zwar Siegfried. Ein Monolog - ist aber auf zwei Schauspieler verteilt. Was natürlich die Selbstbefragung des Helden erleichtert und auch das enge und höchst widersprüchliche Verhältnis des homosexuellen Siegfried zu den beiden starken Frauen in seinem Leben (Cosima und Winifred) szenisch verdeutlicht. Dabei arbeiten sich die Autoren glücklicherweise nicht an der Biographie entlang, sondern beleuchten die Zerrissenheit des von den Anforderungen der Mitwelt geradezu erdrückten Thronerben. Einmal 1914 und dann 1930. Erst werden die Festspiele wegen Kriegsausbruch dicht gemacht. Und dann haut es Siegfried noch vor der Premiere seiner Tannhäuser-Inszenierung um. Endgültig. Zwischen diesen zeitlichen Polen entsteht im expressiven Spiel von Felix Axel Preißler (wie der Regisseur vom Schauspiel Leipzig) und Felix Römer (Schaubühne Berlin) eine Kunstfigur, in die alles Mögliche an innerer Zerrissenheit aus Siegfrieds Biografie einfließt. Der übermächtige Schatten des Vaters und die Ambitionen, selbst Opern zu komponieren. Die Nähe zur Naziideologie und Hitler und die Kritik am Judenhass. Die Neigung zur Männern und die vorherrschende Homophobie.
Alexandra Goloubitskaia und Günther Groissböck
Der Regisseur lässt Winifred im Video als Gespenst durch Wahnfried geistern und zu Worte kommen. Die Frauen tauchen auf, wenn sich einer von beiden Kleid und Perücke überzieht. Eine Pausenbespielung für Festspielgäste ist das nicht - eher eine Herausforderung, sich mit einer vielschichtigen Persönlichkeit auseinanderzusetzen, die im Schatten der Vorgängerin und Nachfolgerin an der Festspielspitze verblasst ist, und dessen eigene Opern etwas für enthusiastische Spezialisten geblieben sind.
Auch das Markgräfliche Opernhaus war nach seiner glanzvollen Renovierung behutsam als Veranstaltungsort ins Diskurs-Programm einbezogen. Gut platziert vor der Siegfried-Schauspiel- Uraufführung lud Günther Groissböck zum Liederabend. Im Festspielprogramm oben im Festspielhaus macht der Österreicher mit einem Weltklasse-Gurnemanz und in der Doppelrolle als Liszt und Pogner in den "Meistersingern" gerade Furore. Im Opernhaus trat er zusammen mit der Pianistin Alexandra Goloubitskaia mit Werken von Johannes Brahms, Robert Schumann, Peter Tschaikowsky und Sergej Rachmaninow an. Anders als etliche seiner Kollegen ist er kein Liedsänger auf Opernabwegen, sondern eher umgekehrt: Der Opernsänger wandelt auf den Wegen eines Liedsängers. Natürlich mit seiner virilen Emphase für gebotene Emotionen und Leidenschaft. Allemal mit sich verströmender Kraft, durchaus opernhaft. Der Coup freilich war für die Gemeinde im Wagnermodus der Festspiele die Zugabe. Nicht weniger als Wotans Abschied. Mit Klavierbegleitung. So wie es Wagner selbst wohl auch zum ersten Mal gehört hat. Als Vorgeschmack auf den neuen Ring im kommenden Jahr. Bei dem Groissböck der Wotan sein wird. Anders als beim Regieteam, mit dem Katharina alle überraschte, ist das eine in den letzten Jahren gut vorbereitete Personalentscheidung. Eine, bei der man zuhören und zusehen konnte, wie sie während der letzten Festspieljahrgänge heranwuchs.
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Veröffentlichungen: Diskurs Bayreuth 2 Verbote (in) der Kunst Positionen zur Freiheit der Künste von Wagner bis heute Hrsg: Katharina Wagner, Holger von Berg, Marie Luise Maintz Bärenreiter Verlag, 2019 Wagner in der Diskussion "Es gibt nichts >Ewiges<" Wieland Wagner: Ästhetik, Zeitgeschichte, Wirkung, Hrsg: Stephan Mösch, Sven Friedrich Verlag Königshausen und Neumann, 2019 Almanach 2019 Jahrbuch der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V. zu den Bayreuther Festspielen Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2019 Zur Homepage von der Bayreuther Festspiele |
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