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Geschlossene GesellschaftVon Thomas Molke / Fotos: © Innsbrucker Festwochen / Rupert Larl Händels am 12. Januar 1723 am King's Haymarket Theatre in London uraufgeführte Oper Ottone, Re di Germania kann sicherlich als die "deutscheste" Barockoper des Wahl-Londoners bezeichnet werden, die mit ihren realen historischen Figuren der frühen deutschen Geschichte ganz ohne den üblichen Apparat der barocken Zauberoper auskommt. Händel selbst stieß auf das Sujet der Ottonenkaiser 1719 in Dresden, als er auf der Suche nach Sängern für seine Royal Academy of Music einer Aufführung von Antonio Lottis Teofane beiwohnte, die August der Starke anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten seines Sohnes Friedrich August von Sachsen mit der Erzherzogin Maria Josepha von Österreich in Auftrag gegeben hatte. Da sich Händels Dienstherr, der Welfenkönig Georg I., genauso als Nachfahre Ottos I. verstand wie der damalige sächsische Hof, verließ Händel Dresden nicht nur mit den angeworbenen Sängern, der Sopranistin Margherita Durastanti und dem Bassisten Giuseppe Maria Boschi, sondern auch mit dem Libretto zu Lottis Oper im Gepäck, das er in London von Nicola Francesco Haym umarbeiten ließ. Mit seiner Bearbeitung des Stoffes gelang ihm in London ein riesiger Erfolg, so dass sich Ottone zu Händels Lebzeiten zu einer seiner meistgespielten Werke entwickelte. Als einzige Oper Händels stand sie auch für eine Aufführungsserie bei Händels Konkurrenzunternehmen, der Opera of the Nobility, auf dem Programm, wobei kein Geringerer als Farinelli die Partie des Adelberto neben Senesino in der Titelrolle und Francesca Cuzzoni als Teofane interpretierte. Adelberto (Alberto Miguélez Rouco) gibt sich Teofane (Mairamielle Lamagat, rechts) gegenüber auf Anraten seiner Mutter Gismonda (Valentina Stadler, hinter dem Fenster im Hintergrund) als Ottone aus. Die Handlung basiert auf einem realen historischen Ereignis aus dem Jahr 972, in dem der deutsche König Otto II. (Ottone) die byzantinische Prinzessin Teophanu (Teofane) heiratete, was zu einer Allianz zwischen dem westlichen und östlichen Reich und zur Kaiserkrönung Ottos II. führte, dessen Vater Otto I. auf Drängen des Papstes 961 mit seinem Heer nach Italien gezogen war und den dort herrschenden lombardischen König Berengar II. besiegt und abgelöst hatte. In der Oper stehen die Intrigen im Mittelpunkt, von denen diese Vermählung überschattet wird. So will Gismonda, die Witwe Berengars, für ihren Sohn Adelberto den Thron zurückerlangen und ihn mit Teofane verheiraten, um auf diese Weise Ottone Braut und Reich zu entreißen. Dazu gibt sich Adelberto auf ihr Anraten als Ottone aus, der selbst gerade in einen Kampf mit dem Piraten Emireno auf dem Meer verstrickt ist. Kurz vor der Hochzeit fliegt der Schwindel allerdings auf, als Ottone siegreich aus der Schlacht zurückkehrt. Adelberto wird für seinen Umsturzversuch festgenommen und gemeinsam mit Emireno abgeführt. Durch Ottones Cousine Matilda, die Adelberto liebt, gelingt den beiden jedoch die Flucht. Teofane, die völlig verstört ist, da sie Matilda für Ottones Geliebte hält, fällt Adelberto in die Hände und wird von ihm entführt. Doch Emireno entpuppt sich als Teofanes verschollener Bruder Basilio, der Adelbertos Vorhaben vereitelt und ihn erneut Ottone ausliefert. Da der geplanten Hochzeit nun nichts mehr im Wege steht, überzeugt Teofane Ottone davon, Gnade walten zu lassen und seinen Feinden zu vergeben. Adelberto schwört dem neuen Kaiser Treue und darf zur Belohnung dessen Cousine Matilda heiraten. Gismonda verspricht, ebenfalls von ihrer Rache abzulassen. Ottone (Marie Seidler, links) zieht Adelberto (Alberto Miguélez Rouco, rechts) für dessen Betrug zur Rechenschaft. Anna Magdalena Fitzi und ihre Bühnenbildnerin Bettina Munzer lassen die Geschichte zu einer unbestimmten Zeit in einer Art Hotel spielen, das in seiner Abgeschlossenheit an Sartres Drama Huis clos erinnert. Inspiriert zu diesem Ansatz hat sie ein Satz Teofanes aus dem Libretto, als sich die noch völlig über die Ereignisse verwirrte Prinzessin die Frage stellt, ob sie aus diesem "albergo fatale" nicht besser fliehen solle. Mit drei großen herabhängenden Tüchern in Grün, Rot und Blau werden zum einen unterschiedliche Bereiche in diesem Hotel wie eine Lounge auf der linken Seite, ein langer Verhandlungstisch in der Mitte und eine Bar auf der rechten Seite markiert. Zum anderen können die drei Farben auch für die Parteien stehen, die in diesem abgeschlossenen Raum zu Verhandlungszwecken aufeinander treffen. Da sind Ottone und seine Cousine Matilda, die die Herrschaft innehaben und somit im Mittelpunkt stehen (Rot, unterstützt durch ein eingerahmtes Porträt Ottones vor dem roten Tuch), Gismonda und Adelberto, die die Macht zurückgewinnen wollen (Grün), und Teofane, die als Neuling zwischen die beiden streitenden Parteien gerät und am Ende zu schlichten versucht (Blau). Ein Fenster in der Rückwand gibt den Blick auf einen Palast frei, von dem die Figuren in ihrer Fantasie träumen. Die Kostüme, für die ebenfalls Munzer verantwortlich zeichnet, sind weiß gehalten und versinnbildlichen eine gewisse Neutralität. Teofane und Matilda wirken in ihrem weißen Kleid mit dem weißen Schleier zunächst wie zwei Bräute. Matilda soll eigentlich Adelberto heiraten und Teofane Ottone, bevor die Intrige beginnt. Doch Gismonda, die mit ihren hochgesteckten Haaren und der weißen Hose recht harte und beinahe schon maskuline Züge aufweist, beginnt ihre Intrige und macht ihren Sohn zur Marionette ihres Willens. Wenn später ihre mütterlichen Gefühle die Oberhand gewinnen, löst sie ihr Haar und wirkt ebenfalls sehr verletzlich. Wieso die Figuren nach der Pause in weißen Nachthemden auftreten, lässt sich nicht genau erschließen. Vielleicht soll damit angedeutet werden, dass sie schon sehr lange Zeit in diesem "albergo" verbracht haben und es kein Entkommen daraus gibt. Wenn Teofane am Ende die Lenkung übernimmt, zieht sie eine weiße Hose an, während sich Ottone unter einem weißen Schleier versteckt. So ist sie es auch, die den Figuren am Schluss ihre Treueschwüre in den Mund legt. Dass diese von den einzelnen Charakteren nicht überzeugend kommen und das glückliche Ende als trügerisch entlarvt wird, verwundert dabei nicht. Auch lässt Fitzi offen, ob Matilda und Adelberto am Ende auch ein Paar werden bzw. bleiben. Emireno (Yannick Debus) will seine Schwester Teofane (Mariamielle Lamagat) beschützen. Als Projekt der Barockoper:Jung ist die Oper um eine gute halbe Stunde gekürzt worden. Das Ensemble besteht aus jungen Sängerinnen und Sängern, die teilweise beim Cesti-Gesangswettbewerb in Innsbruck angetreten sind. Da ist zunächst Mariamielle Lamagat zu nennen, die beim Wettbewerb im letzten Jahr den dritten Preis gewann und nun die Partie der Teofane interpretiert. Mit weichem Sopran und strahlenden Höhen zeichnet sie überzeugend die Entwicklung der jungen Prinzessin von einer unsicheren Frau, die langsam ihren Weg findet und die Leitung übernimmt. Nahezu zerbrechlich gestaltet sie ihre erste Arie "Falsa immagine, m'ingannasti", in der sie verwirrt ist, wieso der ihr als Ottone vorgestellte Mann, dem Bildnis in keiner Weise ähnlich sieht. Hier findet Lamagat sehr zarte und traurige Töne. Im Duett mit Ottone wirkt sie zum Ende hin wesentlich selbstbewusster und punktet mit beweglichen Höhen. Auch Angelica Monje Torrez, die die Rolle der Matilda singt, war im letzten Jahr im Finale des Gesangswettbewerbs zu erleben. Als Matilda punktet sie mit einem dunklen, warmen Mezzosopran, der die streitenden Gefühle für den wankelmütigen Adelberto wunderbar einfängt. Einen musikalischen Höhepunkt stellt ihre Arie kurz vor der Pause dar, in der sie ihren Cousin dafür verflucht, dass er ihren Geliebten Adelberto hinrichten will. Hier begeistert Torrez mit beweglichen Koloraturen. Yannick Debus ist sogar erst in diesem Jahr im Finale des Cesti-Wettbewerbs angetreten und interpretiert mit markantem Bariton die Partie des Emireno. Gismonda (Valentina Stadler) will die Macht zurückerlangen. Auch die anderen drei Partien sind stimmlich gut besetzt. Marie Seidler gestaltet die Titelpartie mit beweglichem Mezzosopran und absolut viril. Sehr glaubhaft gestaltet sie Ottones Wandel von einem selbstbewussten Sieger hin zu einem unsicheren Zweifler, der fürchtet, Teofane verloren zu haben. Im Duett mit Teofane im zweiten Teil finden Seidlers Mezzosopran und Lamagats leuchtender Sopran zu einer betörenden Innigkeit. Valentina Stadler stattet die Partie der Gismonda mit einem zupackenden Mezzosopran aus, der den Herrschaftsanspruch der ehemaligen Königin unterstreicht. Wenn sie nach der geglückten Flucht ihres Sohnes in ihrer Arie "Trema, tiranno" über Ottone triumphiert, macht Stadler mit flexiblen Läufen deutlich, dass man sich mit dieser Frau besser nicht anlegen sollte. Großartig gelingt auch ihr Duett mit Torrez, in dem Gismonda und Matilda mit dunklem Mezzo ihren scheinbaren Erfolg feiern. Gismondas willensschwacher Sohn und Matildas Verlobter ist mit Alberto Miguélez Rouco ebenfalls gut besetzt. Rouco verfügt über einen sehr frischen Countertenor, der die Unentschlossenheit des jungen Mannes unterstreicht. Die Musiker der 2015 gegründeten Accademia La Chimera, die bereits 2017 die Finalrunde des Cesti-Wettbewerbs und im vergangenen Jahr die Produktion Gli amori d'Apollo e di Dafne begleitet haben, begeistern auf der Bühne unter der Leitung von Fabrizio Ventura mit einem luziden Klang, so dass es für alle Beteiligten verdienten Applaus am Ende gibt. FAZIT
Anna Magdalena Fitzi setzt mit dem jungen Ensemble Händels wohl lyrischste
Oper szenisch und musikalisch überzeugend um.
Weitere Rezensionen zu den
Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2019 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungFabrizio Ventura Regie Bühnenbild & Kostüme
Statisterie Solisten
Ottone, deutscher Kaiser
Teofane, Tochter des oströmischen Kaisers Romano
Gismonda, Witwe Berengars
Adelberto, Gismondas Sohn
Matilda, Adelbertos Verlobte und Ottones Cousine Emireno, ein Korsar und
Teofanes Bruder
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