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Klavierfestival Ruhr 2019

Philharmonie Essen, Alfried-Krupp-Saal, 3. Juli 2019



Evgeny Kissin
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Klavierfestival Ruhr

Beethoven ohne Tempolimit

Von Stefan Schmöe

Man darf bitteschön hören, dass Beethoven schwer ist. Evgeny Kissin spielt seine stupende Technik effektvoll aus; da ist ein Virtuose am Werk, der zeigen möchte, was er kann. Manchmal scheint das eine Spur schneller, als Beethoven erlaubt hätte: Das Tempo jedenfalls ist wichtiger als die Präzision, die da auch schon 'mal in einer Grauzone verschwimmt, weil linke und rechte Hand nicht ganz exakt übereinander liegen; weil nicht jede Note mit gleicher Intensität angeschlagen, sondern die eine oder andere mitunter überspielt wird. Kissin rast, das Publikum auch: Der Parforceritt durch ein reines Beethoven-Programm, als seien wir schon im Gedenkjahr 2020 (wenn wir den 250. Geburtstag des Komponisten feiern werden), wird frenetisch bejubelt.

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Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr

Es ist auch ein breitenpublikumstaugliches Programm mit der Pathetique, der Sturm-Sonate und der Waldsteinsonate, dazu die seltener gespielten Variationen op.35 über das Thema aus dem Finale der dritten Symphonie, deshalb auch als Eroica-Variationen bezeichnet. Kissin legt in den ersten Takten der Pathetique die künstlerische Marschroute fest: Donnernder Anfangsakkord mit folgendem Pianissimo, die Einleitung in sehr vehaltenem Tempo, im vierten Takt mit fast triumphierender Virtuosität der Vierundsechzigstellauf der rechten Hand, das folgende Allegro di molto e con brio als forciertes presto gedacht. Kissin sucht die starken Kontraste, dazu den vollen, geradezu orchestralen Klang. In der Beurteilung fangen da wohl die Geschmacksfragen an: Nach meiner Empfindung stand das eher oberflächlich nebeneinander als in einer stringenten Linie, fehlte der innere Zusammenhang. Ähnliches gilt für die Eroica-Variationen, die bei durchaus delikater Gestaltung einzelner Abschnitte nicht in einen logischen Zusammenhang gestellt wurden. Es macht Sinn, die einzelnen Variationen durch kleine, keinesfalls zu lange Pausen zu trennen; es macht den Unterschied, diese Länge so zu variieren, dass der Spannungsbogen durchgehalten wird - aber das fehlte.

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Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr

Bei aller Souveränität unterlaufen Kissin manche Unkonzentriertheiten. Ein gelegentlicher falscher Ton ist leichter zu verschmerzen als manche Inkonsequenz in der Gestaltung, wenn etwa im Kopfsatz der Sturm-Sonate die Allegro-Achtel zwar gleich angeschlagen werden sollen, sich aber doch der eine oder andere undeutlich artikulierte Ton einschleicht und dadurch das insistierende Moment dieses Motivs, das Kissin offensichtlich auch im Kopf hat, verloren geht. Über das Allegretto-Finale legt mit sanftem Anschlag einen samtenen Schleier, wodurch die Musik empfindsam romantisch klingt. Das ist, keine Frage, betörend schön, aber steckt ein Gesamtplan für die Sonate dahinter? Ganz ähnlich die Gestaltung der Waldstein-Sonate: Aberwitziges Tempo im Kopfsatz (auf Kosten vieler Ungenauigkeiten), sehr gemäßigter Beginn des Finales (um bei der Prestissimo-Coda dann noch einmal alles zu zeigen). Die virtuose Umspielung ist Kissin dabei mindestens genauso wichtig wie die Melodie. Beethovens prägender Dur-Moll-Wechsel bleibt nebensächlich.

Am Abend zuvor hatte András Schiff mit Schubert-Sonaten einen entgegengesetzten Standpunkt eingenommen: Klare kammermusikalische Klangdisposition, Zurücknahme der Kontraste, Virtuosität als Mittel zum klanglichen Zweck beim Primat der Melodie. Kissin gibt den Bravourpianisten, der alle Register zieht, freilich auch sich selbst ein Stück weit vor den Komponisten schiebt (was legitim ist, will man kein museales Beethoven-Bild). In mancher Hinsicht mag man in diesem Nebeneinander zweier sehr unterschiedlicher Klavierabende auch die Spannung zwischen dem nach innen gekehrten Schubert und dem nach den Sternen greifenden Beethoven erkennen. Weniger wohlwollend betrachtet bleibt Kissins Beethoven-Bild doch ziemlich effekthascherisch. Das Klavierfestival Ruhr bezieht seinen Reiz freilich auch aus solchen interpretatorischen Unterschieden.




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Klavierfestival Ruhr 2019
Philharmonie Essen, Alfried-Krupp-Saal
3. Juli 2019


Ausführende

Evgeny Kissin, Klavier


Programm

Ludwig van Beethoven:

Sonate Nr. 8 c-Moll op. 13 Pathetique
15 Variationen und Fuge Es-Dur op.35
"Eroica-Variationen"


- Pause -

Sonate Nr. 17 c-Moll op.31/2 "Der Sturm"
Sonate Nr. 21 C-Dur op.53 "Waldsteinsonate"


Zugaben:

Bagatelle op. 33/5 C-Dur
Variationen über ein Originalthema
D-Dur op. 76
Bagatelle op. 33/1 Es-Dur




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