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Rossini Opera Festival

Pesaro
11.08.2019 - 23.08.2019


Semiramide

Melodramma tragico in zwei Akten
Libretto von Gaetano Rossi
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 20' (eine Pause)

Koproduktion mit der Opéra Royal de Wallonie-Liège

Premiere in der Vitifrigo Arena in Pesaro am 11. August 2019


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Rossini Opera Festival

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Der Geist sieht alles

Von Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)

Rossinis letzte in und für Italien geschriebene Opera seria Semiramide nimmt im Opernschaffen des Pesaresen eine besondere Stellung ein. Zum einen zählte dieses Werk in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts zu den meistgespielten Opern des Komponisten und erzielte bei der Uraufführung am 3. Februar 1823 einen so großen Erfolg, dass es einen Monat lang fast täglich wiederholt werden musste. Zum anderen fasste Rossini darin gewissermaßen seine ganze italienische Opernerfahrung zusammen und führte die Opera seria so noch einmal zu einem Höhepunkt. Dabei weicht das Stück bereits in zahlreichen Punkten von der damaligen norditalienischen Tradition ab. Die Hosenrolle und die weibliche Hauptpartie können beispielsweise kein Liebespaar bilden, weil es sich dabei um Mutter und Sohn handelt. Auch die Ermordung der Titelfigur stellt für die damaligen Verhältnisse in Norditalien ein absolut untypisches Ende dar. Neu sind auch die nahezu durchkomponierte Form, die den Aufbau der einzelnen Nummern nicht mehr genau erkennen lässt, und die funktionale Einbindung der Ouvertüre, die bereits Motive anklingen lässt, die im weiteren Verlauf der Oper von den Protagonisten wieder aufgenommen werden. Dies alles mag dazu beitragen, dass Semiramide seit der Rossini-Renaissance auch außerhalb von Festspielen immer mal wieder auf den Opernbühnen zu erleben ist. Dabei wird das Werk allerdings häufig einigen Einschnitten unterzogen, da es mit gut vier Stunden Spielzeit schon wagnerianische Ausmaße hat. In der Geburtsstadt Rossinis spielt man die Oper im Rahmen des Festivals natürlich ungekürzt, beginnt allerdings bereits eine Stunde früher als üblich, damit die Vorstellung vor Mitternacht zu Ende ist.

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Semiramide (Salome Jicia, rechts) liebt den jungen Arsace (Varduhi Abrahamyan, links), ohne zu wissen, dass es sich dabei um ihren tot geglaubten Sohn Ninia handelt.

Die Handlung folgt im Großen und Ganzen der gleichnamigen Tragödie von Voltaire und kann als orientalische Mischung aus Orestie, Hamlet und König Oedipus betrachtet werden. Die assyrische Königin Semiramide hat vor 15 Jahren gemeinsam mit dem Prinzen Assur ihren Gatten, den König Nino, vergiftet und regiert seitdem relativ erfolgreich über Babylon. Der Hohepriester Oroe drängt sie jedoch, endlich einen männlichen Nachfolger zu bestimmen. Während Assur darauf hofft, die Herrschaft zu übernehmen und damit die Hand der Prinzessin Azema zu erhalten, verfolgt Semiramide andere Pläne. Sie hat sich in Arsace, den jungen Anführer des assyrischen Heeres, verliebt und beabsichtigt, ihn an ihrer Seite zum neuen König zu machen, ohne zu wissen, dass Arsace ihr tot geglaubter Sohn Ninia ist, den der sterbende Nino kurz vor seinem Tod hatte außer Landes schaffen lassen. Arsace, der ebenfalls Azema liebt, ist von diesem Vorhaben zwar nicht begeistert, willigt aber ein, dem Befehl seiner Königin Folge zu leisten, als sich plötzlich Ninos Schatten aus dem Grab erhebt und Arsace ermahnt, den Mord am König zu rächen. Oroe offenbart Arsace seine Herkunft und fordert ihn auf, dem Befehl des toten Königs zu gehorchen. Arsace will aber nur Assur für den Mord am König zur Rechenschaft ziehen und seine geliebte Mutter verschonen. In der Grabkammer des Königs kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern. Als Arsace zum tödlichen Schlag ausholt, trifft er allerdings seine Mutter, die sich zu seinem Schutz ebenfalls in die Grabkammer begeben hat. Während Assur festgenommen wird und darüber triumphiert, dass Arsace seine eigene Mutter getötet hat, und Oroe die Götter preist, da der Mord am König mit dem Tod Semiramides gesühnt worden ist, wird der verzweifelte Arsace vom jubelnden Volk als neuer König gefeiert.

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Semiramide (Salome Jicia, im Hintergrund oben Mitte links) ernennt Arsace (Varduhi Abrahamyan, im Hintergrund Mitte rechts) zum neuen Herrscher und Gatten (auf der linken Seite: Idreno (Antonino Siragusa) mit Azema (Martiniana Antonie), in der Mitte im Hintergrund unten: Assur (Nahuel di Pierro)).

Das Regie-Team um Graham Vick rückt den ermordeten König Nino ins Zentrum der Inszenierung. Stuart Nunn hat auf zwei bewegliche, die komplette Bühne einnehmende Stellwände die Augenpartie des Königs in einer Nahaufnahme gedruckt. In den Pupillen scheint sich der Mörder zu spiegeln, kurz bevor Nino getötet worden ist. Diese Augen beobachten das ganze Geschehen, so dass man das Gefühl hat, der Geist des Nino überwache die ganze Oper. Auf der Rückseite dieser Stellwände, sind die Augen schwach in einer Art Negativ zu erkennen, während die restliche Wand mit Kinderzeichnungen versehen ist. Die linke Wand zeigt die Königin mit einem blutigen Messer, wahrscheinlich kurz nach der Tat. Auf der rechten Wand sieht man den toten König blutüberströmt. Die Wände sind flexibel gestaltet, so dass aus ihnen zahlreiche unterschiedliche Räume konzipiert werden können. Wieso Semiramide auf diese Rückwand mit weißer Kreide ein Herz zeichnet, das anschließend von Assur zu einem Gesicht mit Schweinsnase und Königskrone ergänzt wird, erklärt sich genauso wenig wie die Idee, Oroe und seine Priester halbnackt wie Vertreter eines afrikanischen Stammes fernab jeglicher Zivilisation darzustellen. Der Donner, der ertönt, wenn Nino aus seinem Grab in das Geschehen eingreift, wird durch lautes Hämmern der Priester auf den Bühnenboden erzeugt und verleiht der Szene eine unheimliche Note.

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Der Hohepriester Oroe (Carlo Cigni, vorne links) mit seinen Dienern

Während der indische Prinz Idreno und die assyrische Prinzessin Azema in ihren Kostümen nahezu orientalisch anmuten, wirken Semiramide, Arsace und Assur wie moderne Politiker der heutigen Zeit. Die an Flaggen erinnernde Gesichtsbemalung Arsaces und Assurs und ihrer Anhänger im ersten Akt soll wohl die verschiedenen Völkergruppen darstellen. Als Reminiszenz an den tot geglaubten Sohn Semiramides steht auf der rechten Bühnenseite ein himmelblaues Bett, aus dem auch zu Beginn der Aufführung ein kleiner Junge schlüpft, der wohl Ninia als Kind darstellen soll. Des Weiteren wird ein riesiger blauer Teddybär mit roten Blutspritzern auf die Bühne geschoben, der wie die ständige Anwesenheit des toten Königs an das Verbrechen erinnern soll. Wenn Semiramide im ersten Akt an ihren vermeintlich toten Sohn denkt, zieht sie eine hellblaue Spielzeugkiste auf die Bühne. Auch Ninos Anzug ist in diesem hellblauen Farbton gehalten. Als Grabkammer fungieren zwei Teilwände, die das Gesicht Ninos ohne die Augenpartie zeigen. In der fehlenden Augenpartie bewegen sich Semiramide, wenn sie Arsace als neuen Herrscher und Gemahl ausruft, und Assur, wenn er dem Rivalen in der Grabkammer im zweiten Akt auflauert. Das Premierenpublikum scheint mit diesem szenischen Ansatz sehr unzufrieden zu sein, da sich ein regelrechter Orkan an Unmutsbekundungen über das Regie-Team beim Schlussapplaus ergießt. In dieser Heftigkeit mag die Ablehnung dann doch ein wenig überraschen.

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Assur (Nahuel di Piero) in der Grabkammer des Königs Nino

Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen und wird vom Publikum mit lang anhaltendem Zwischenapplaus frenetisch gefeiert. Da ist zunächst einmal das Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai unter der Leitung von Michele Mariotti zu nennen, der in dieser Oper bereits vor zwei Jahren am Pult des Bayerischen Staatsorchesters geglänzt hat. Als absoluter Rossini-Fachmann lotet er die Partitur mit wunderbar feinen Nuancen aus und bringt die tragischen Momente des Stückes berührend zur Geltung. Salome Jicia glänzt in der Titelpartie mit großartiger Dramatik. Dabei changiert sie überzeugend zwischen Hoffnung in ihrer Kavatine im ersten Akt, "Bel raggio lusinghier", wenn die Königin in Erwartung des jungen Feldherrn ihre Sorgen vergisst und einer glücklichen Liebe mit ihm entgegensieht, und Verzweiflung, wenn Arsace sich ihr als tot geglaubter Sohn Ninia zu erkennen gibt und sie erneut von ihren Schuldgefühlen überwältigt wird. In den Duetten mit Varduhi Abrahamyan als Arsace findet Jicia zu einer bewegenden Innigkeit und arbeitet im ersten Duett, "Serbami ognor sì fido", parallel zur Kavatine Semiramides Glücksgefühle mit einer Leichtigkeit heraus, die dann im zweiten Duett, wenn sie in Arsace ihren Sohn Ninia erkannt hat, in große Dramatik umschlägt. Auch mit Nahuel di Pierro als Assur liefert sie sich zu Beginn des zweiten Aktes einen grandiosen Schlagabtausch, wenn sie ihm klar macht, dass sie ihn nicht zum König ausrufen wird.

Varduhi Abrahamyan begeistert in der Hosenrolle des Arsace mit warm tönendem Mezzosopran und wunderbaren Tiefen. Schon in ihrer ersten Kavatine "Ah! quel giorno ognor rammento", in der Arsace darauf hofft, von Semiramide Azemas Hand zu erhalten, punktet Abrahamyan mit einer samtig weichen Stimmführung und beweglichen Koloraturen. Großartig gestaltet sie Arsaces innere Zerrissenheit im zweiten Akt, wenn er erfahren hat, dass er Semiramides Sohn ist, und die Verzweiflung, mit der der Sohn die Mutter schützen möchte. Nahuel di Pierro ist als Assur mit profundem Bass ein stimmlich großartiger Widersacher. Einen musikalischen Höhepunkt stellt Assurs große Wahnsinns-Arie im zweiten Akt dar, in der ihm noch einmal der Geist des toten Königs erscheint, der ihn ins Grab ziehen will. Mit großartigem Spiel und dramatischer Stimmführung setzt di Pierro diesen aus dem schlechten Gewissen entstehenden Wahnsinn überzeugend um. Carlo Cigni punktet als Hohepriester Oroe mit autoritärem Bass und dunklen Tiefen. Antonino Siragusa gestaltet die dramaturgisch eher undankbare Rolle des indischen Prinzen Idreno, der vergeblich um die Gunst der schönen Prinzessin Azema wirbt, mit leuchtendem Tenor, der in den extremen Höhen allerdings ein wenig stark forcieren muss. Martiniana Antonie, Alessandro Luciano und Sergey Artamonov runden als Prinzessin Azema, Mitrane und Schatten des toten Nino gemeinsam mit dem glänzend von Giovanni Farina einstudierten Coro del Teatro Ventidio Basso den Abend musikalisch überzeugend ab.

FAZIT

Musikalisch bietet der Abend puren Rossini-Genuss. Szenisch kann die Produktion das Premieren-Publikum nicht überzeugen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michele Mariotti

Regie
Graham Vick

Bühnenbild und Kostüme
Stuart Nunn

Licht
Giuseppe di Iorio

Chorleitung
Giovanni Farina



Coro del Teatro Ventidio Basso

Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai


Solisten

Semiramide
Salome Jicia

Arsace
Varduhi Abrahamyan

Assur
Nahuel di Pierro

Idreno
Antonino Siragusa

Azema
Martiniana Antonie

Oroe
Carlo Cigni

Mitrane
Alessandro Luciano

L'ombra di Nino
Sergey Artamonov

 


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