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Salzburger Festspiele 2019



Sonntag, 4. August 2019, Haus für Mozart


Solistenkonzert Igor Levit


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Salzburger Festspiele
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Keine falsche Rücksicht auf Konventionen

Von Stefan Schmöe / Fotos © Salzburger Festspiele / Marco Borelli

Die Geschichte dieses Recitals beginnt mit einem kleinen Eklat. Nach ein paar Takten bricht Igor Levit abrupt ab; Unruhe im Publikum, irgendwo oben im Rang (ein Smartphone?), hat ihn aus dem Konzept gebracht. Missbilligender Blick, bemüht streng, dann ein Lächeln; Levit tritt nicht als Diva auf, schon eher etikettiert ihn die demonstrativ lässige Kleidung als einen dem Festspielbetrieb unangepassten Künstlertypus. Er muss lachen, klimpert mit der rechten Hand ein paar Töne, sucht mühsam die verloren gegangene Konzentration. Er braucht die erste der sechs Bagatellen op. 126 von Ludwig van Beethoven, um diese ganz zurückzugewinnen (oder braucht man als Zuhörer diese drei Minuten, um zurückzufinden?) Die Szene hat mehr als anekdotischen Wert; sie macht die Konsequenz sichtbar, mit der Levit in die Musik eintaucht, mit Beethoven (und später Mahler) ringt, den Steinway zum Partner und gleichzeitig zum Gegner macht, den Körper verbiegt und mit dem Kopf den entschwindenden Tönen gleichsam nachfolgt. Nicht eine Sekunde wirkt das affektiert; Levit lebt die Musik aus dem Moment heraus mit höchster Intensität.

pardon, Bild kommt später

Den Bedeutungsgehalt der Bezeichnung Bagatelle führt er ad absurdum, in Beethovens letztem Zyklus für Klavier geht es für ihn um alles. Die erste der Bagatellen entwickelt er wie improvisiert, vorsichtig tastend und den Gedanken frei entwickelnd. Die Presto-Passagen der zweiten (wie auch der letzten) nimmt er fast unspielbar schnell (trotzdem klingt das bei ihm nie mechanisch wie bei vielen anderen Pianisten), dabei keineswegs auf die Virtuosität bedacht, sondern geradezu unwirsch, ohne an Präzision zu verlieren. Die Kontraste sind groß, trotzdem entsteht nie der Eindruck des Manirierten. Bei Levit besitzt jeder Ton seine eigene Logik (und kein Ton ist einfach "dahingespielt").


pardon, Bild kommt später

Gleiches gilt für die Diabelli-Variationen. 1819 hatte der Komponist und Verleger Anton Diabelli die Größen seiner Zeit aufgefordert, für eine Anthologie eine Variation über einen von ihm selbst vorgegebenen Walzer zu komponieren (was neben vielen anderen Schubert und Liszt bereitwillig taten); Beethoven schuf mit Unterbrechungen bis 1823 seinen Zyklus von insgesamt 33 Variationen - eine mehr als Bachs Goldberg-Variationen -, die in ihren kompositorischen Freiheiten allerdings die konventionelle Variationsform sprengen. Bereits die erste der Variationen transformiert den Walzer, Inbegriff der Tanzmusik, in einen Marsch, die untänzerischste aller Formen. Igor Levit nimmt sich da gar nicht erst die Zeit und Ruhe, das Walzerthema mit dem kokett verzierten Auftakt detailliert auszuformulieren, sondern stürzt krachend, den Walzer mit einem großen Schwung bereits karikierend, mitten in Beethovens Welt hinein. Die Interpretation ist extrem energiegeladen; die neunte Variation Allegro pesante e risoluto besitzt immense Kraft wie auch die bohrenden Triller in Nr. 16, da manifestiert sich ein grimmiger Beethoven ohne Rücksicht auf Konventionen. Levit bleibt diesem vielschichtigen Kosmos auch in den leisen, romantischen Variationen nichts schuldig, weitet auf großartige Weise die Klangräume, hält die Spannung (mit klugen Zäsuren) über die gesamte Dauer hinweg, aber auch wenn manches deutlich auf Schumann und Chopin vorausweist, bleibt Levit bei Beethoven, dessen höhnisches Lachen man aus dem von Levit markig hingepfefferten Fugenthema der vorletzten Variation heraushören kann.

pardon, Bild kommt später

Man wird der Faszination dieses Abends freilich mit solchen Beschreibungen kaum gerecht. Levits Kunst, den Bauplan einer Komposition ebenso permanent mitklingen zu lassen wie aus dem Moment heraus dem Klang nachzuspüren, die bewegt sich jenseits des Beschreibbaren. Die unglaubliche Anschlagkultur, die auch im leisesten Pianissimo noch Nuancierung erlaubt, ist vielleicht noch deutlicher beim anderen Komponisten des Abends zu vernehmen: Gustav Mahler. Eine Brücke zu den Werken Beethovens kann man darin sehen, dass beide Komponisten etwa gleich alt waren, nämlich Anfang Fünfzig, dass man bei beiden von Spätwerken sprechen muss. Mahler konnte seine 10. Symphonie nicht mehr zu Ende ausführen, allein den ersten Satz hat er komplett hinterlassen. Der Aspekt des Unvollständigen tritt in der 1986 entstandenen Klavierfassung des schottischen Komponisten Ronald Stevenson (1928 - 2015) deutlicher hervor als in der Orchesterfassung. So ähnlich mag geklungen haben, was Mahler selbst von seiner Symphonie hören konnte, als er diese am Klavier entwarf. Durch das Fehlen des einhüllenden Wohlklangs tritt die Struktur stärker in den Vordergrund, auch die oft dissonante Harmonik, die was eine faszinierende Nähe zu Schönberg verdeutlicht. Levit versteht es phänomenal, die großen Bögen zu entwickeln (etwa die schier unendliche Melodie der Unisono-Bratschen am Beginn des Werkes). Und dem Programmhefttext ist zu widersprechen, wenn es dort heißt: "selbst der ominöse Neuntonklang, kurz vor der Coda, büßt seine Schockwirkung ein". Levit spielt diese "Katastrophen-Akkorde", die den Zusammenbruch spiegeln (biographisch oft gedeutet als Reflex auf Mahlers Schock über das Bekanntwerden der Affäre seiner Frau Alma mit Walter Gropius), mit schneidender Schärfe, deren Überraschungsmoment man sich schwer entziehen kann, selbst wenn man Werk und Interpretation kennt und darauf vorbereitet ist (Levit hat die Komposition zuletzt u.a. beim Klavierfestival Ruhr gespielt - unsere Rezension). Die Klavierfassung, auch das eine Parallele zu den Werken Beethovens, ist an keine klangliche Rücksichtnahme mehr gebunden. Levit stellt die Brutalität dieses Akkords in bewussten Kontrast zu den leise vergehenden Tönen, die auf der anderen Seite der Ausdrucksskala dieser Musik stehen.

Als Zugabe dann noch einmal eine Transkription eines Symphoniesatzes von Mahler, des allerpopulärsten, nämlich des Adagietto aus der fünften Symphonie, wehmütige Sphärenmusik. Levit beendet den Abend, wie er für einen Festspielabend gar nicht schöner sein kann, als Klangzauberer, der jeden Ton behutsam anschlägt, als sei es der allerwichtigste überhaupt. Und noch einmal wird die atemberaubende Vielfalt an unterschiedlichsten Möglichkeiten hörbar, wie Levit einen Ton "pianissimo" spielen kann.






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Ausführende

Igor Levit, Klavier


Werke

Ludwig van Beethoven:
Sechs Bagatellen op. 126

Gustav Mahler:
Adagio aus der Symphonie Nr. 10
Bearbeitung für Klavier von Ronald Stevenson

Ludwig van Beethoven:
33 Veränderungen über einen Walzer
von Diabelli
op. 120
(„Diabelli-Variationen“)

Zugabe:
Gustav Mahler:
Adagietto aus der Symphonie Nr. 5
(Transkription für Klavier von Otto Singer)


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