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Das Ende der Sonate
Von Stefan Schmöe
Nach Beethoven Klaviersonaten komponieren? Nicht ohne Grund hat die nachfolgende Generation das als weitgehend unmöglich empfunden, stattdessen andere (kleinere) Formen gesucht. Mit der Hammerklavier-Sonate hatte Beethoven die Gattung im Grunde gesprengt, die letzten drei Sonaten op. 109 - 111 bewegen sich in ziemlich freiem Raum, spielen mit Fuge und Variation als Gestaltungsprinzip anstelle der klassischen Sonatenform. Experimentelle Musik sozusagen, wäre der Komponist in der Beherrschung seiner radikalen Mittel nicht so absolut sicher und selbstbewusst, dass sich der Gedanke an ein Experiment verbietet - Beethoven wusste, was er seinen Hörern da zumutet.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Das Unfassbare, der Konventionsbruch dieser drei Sonaten ist der Kern von Igor Levits Interpretation. Das beginnt bereits im ersten Takt der E-Dur-Sonate op.109, in die sich Levit mit größtmöglicher Beiläufigkeit hineinstiehlt - eine Sonate ohne klar definierten Beginn, die sich nach und nach verdichtet. Mit unfassbar nuancierter Anschlagskultur entwickelt Levit ein Spektrum an Klangfarben, das die Musik an vielen Stellen der konventionellen Klaviermusik entrückt. Sicher, der moderne Konzertflügel hat andere Möglichkeiten als Beethovens Hammerklavier; aber die Frage nach Authentizität des Klanges wäre falsch. Levit hebt (auch) auf der klanglichen Ebene hervor, was dem gehörlosen Komponisten als klangliche Idee jenseits des Realisierbaren vorgeschwebt haben mag, nicht nur in den Trillerketten von op.111, auch in sich clusterartig aufschichtenden Klängen, in einer immer wieder angedeuteten Auflösung der linearen Struktur zu Gunsten einzelner Klangereignisse. Dabei verliert Levit mit seinem überragenden Sinn für Zusammenhänge die Logik nie aus dem Sinn. Da gelingt ihm das von Beethoven geforderte Paradox, musikalische Struktur und deren allmähliche Auflösung gleichzeitig zum Klingen zu bringen.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
In den großen Ausbrüchen der Missa solemnis und dem Chorfinale der neunten Symphonie lässt sich das überwältigend Rauschhafte mehr erahnen als tatsächlich hören. Der Einsatz aller Mittel als Ausdruck für das Unfassbare - Gustav Mahler hat das mit seiner 8. Symphonie, der Symphonie der Tausend, in der Idee aufgegriffen. Diese drei Sonaten gehen in vieler Hinsicht den umgekehrten Weg, ziehen sich nach innen gekehrt zusammen bis in die Unhörbarkeit, und Levits Spiel am Rand des akustisch Wahrnehmbaren verschlägt einem immer wieder den Atem. Freilich weitet Beethoven auch hier den (Ton-)Raum bis an die Grenzen der Tastatur, die Zeit von der auf Liszt bis hin zu Ligeti vorausweisenden Zukunftsmusik bis zu den barocken Wurzeln, die sich in den Fugen zeigen. Und da stellt sich wieder die Frage: Was ist es, das Levits Kunst ausmacht? Technisch gesehen sicher die Fähigkeit, Gegensätze auf kleinstem Raum zu bändigen, nicht nur als Kontrast (das können auch andere), sondern in einem organischen Miteinander, bei dem innerhalb von zwei, drei Tönen aus einem markigen Fortissimo ein piano cantabile wird, als könne es gar nicht anders sein.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Es gibt die kraftvollen Passagen, das boshafte Fugenthema in op.111, das Levit mit bärbeißigem Witz spielt, sehr kraftvoll und mit höchster Intensität, aber eben auch mit jenem Maß an Kontrolle, durch das diese rotzfreche Melodie eben nicht einfach laut ist. Und dann das Mysterium des letzten Satzes, Semplice e cantabile, das eine andere Welt aufschließt. Kein Abschied vom Leben, Beethoven waren noch ein paar Jahre und ein paar Meisterwerke auf Erden vergönnt. Nicht einmal ein Abschied vom Klavier, die Diabelli-Variationen sollten noch folgen. Aber ein Abschied von der Welt der Sonate, die unseren fassungslosen Ohren nach und nach entgleitet (und zwischendurch kurzerhand den Jazz erfindet). Und das ist vielleicht das Wichtigste an diesem Abend: Levit macht eben diese Fassungslosigkeit hörbar. Eine Zugabe verbot sich da von selbst.
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Klavier-Festival Ruhr 2020 Dortmund, Konzerthaus 18. Juni 2020, 17 Uhr und 20:30 Uhr (besprochen ist das Konzert um 20:30 Uhr) AusführendeIgor Levit, KlavierProgrammLudwig van Beethoven (1770 – 1827)Sonate Nr. 30 E-Dur op. 109 Sonate Nr. 31 As-Dur op. 110 Sonate Nr. 32 c-Moll op. 111 Klavierfestival Ruhr 2020 - unsere Rezensionen im Überblick
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