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Klavierfestival Ruhr 2020

Philharmonie Essen, 1. Juli 2020



András Schiff
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Klavierfestival Ruhr

Abschiede und Aufbrüche

Von Stefan Schmöe / Fotos: Sven Lorenz

Begegnung zweier Giganten: Bach und Beethoven, das sind Fixpunkte für András Schiff, der die beiden in diesem Programm nicht einfach nebeneinander stellt, sondern geschickt miteinander verzahnt. Auf der einen Seite inhaltlich, wenn er Bachs Capriccio Über die Abreise eines geliebten Bruders mit Beethovens Sonate Les Adieux kombiniert - zweimal Musik mit ganz ähnlichem außermusikalischem Programm. Auf der anderen Seite (in der ersten Hälfte des Programms) mit Bezug auf den Stimmungsgehalt und die musikalische Struktur: Sowohl Bachs Chromatische Fantasie wie auch Beethovens Sturm-Sonate weisen auf die Romantik voraus und lösen die musikalische Satzstruktur auf in einen Klangbogen. Schiff spielt jeweils Bach und Beethoven ohne Unterbrechung zwischen den gekoppelten Werken, was unterstreicht, dass er diese in diesem Kontext als Einheit sehen möchte.

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Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr

Bachs Chromatische Fantasie spielt er mit weichem Anschlag und wenig Dämpfer, lässt die Töne miteinander verschmelzen. Barocke Strenge wird damit ein Stück weit aufgegeben zugunsten eines radikalen Klangausbruchs; gleichwohl bleibt Schiff im Metrum unbestechlich. Der musikalische Gedanke, den Schiff hier ausformuliert, korrespondiert direkt mit dem arpeggierenden Beginn von Beethovens Sturm-Sonate, in dem sich die lineare Struktur in einer Art Klangwolke auflöst. Querbeziehungen stellen sich später auch ein in den Trillerketten in der Es-Dur-Sonate Les Adieux. Schiff bewältigt die technischen Anforderungen mit einer Leichtigkeit und Schwerelosigkeit, durch die alle "schnellen Noten" und Triller zu klangbildenden strukturellen Elementen werden. Konnte man an den Tagen zuvor bei Kit Armstrong erleben, wie Virtuosität und technische Brillanz als pianistische Mittel zum Spiel mit dem Publikum eingesetzt werden (was vor allem in der frühen C-Dur-Sonate aufging), so behandelt sie Schiff hier als strukturelle Elemente, die neue Räume erschaffen.

Schiff nimmt das Allegro des Kopfsatzes nach dem staunend-zarten Largo-Auftakt im Tempo eher behutsam, vermeidet einen allzu großen Kontrast - bei ihm ist das Allegro die logische Fortsetzung, weniger die überrumpelnde Attacke. Vor allem durch die kraftvollen Bassfiguren bekommt die Musik bei ihm eine plastisch-erzählerische Komponente, aber bei aller Expressivität behält sein Spiel eine Noblesse, die einen gewissen Abstand schafft. Sicher, in der Musik spielen sich Dramen ab, aber Schiff verliert sich nicht darin, sondern behält den souveränen Blick über das Geschehen. Der Mittelsatz, nicht zu statisch genommen, behält eine nachdenkliche Leichtigkeit, ohne an Tiefe zu verlieren, und Schiff gibt jeder Wendung Bedeutung, ohne sie mit Gewicht zu erdrücken. Er hebt die gesanglichen Elemente hervor als Kontrast zum permanent bedrohlichen Bass, der in dieser Sonate allgegenwärtig ist, hervor. Auch für das Finale wählt Schiff ein kontrolliertes Tempo, und über den mit großer Noblesse gespielten Satz liegt eine wunderbar rätselhafte Stimmung. Schiff erklärt nicht, er führt das Geheimnis vor. Schade, dass bereits in den Schlussakkord hinein der Applaus den Moment der Stille zerstörte, dessen es als Reflexion bedurft hätte.

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Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr

Konzertpausen sind ja des Hygienekonzepts wegen derzeit gestrichen, dabei wäre in der Dramaturgie dieses Konzertes eine Unterbrechung durchaus angesagt gewesen, denn nach den ungreifbaren Welten des Sturms die vordergründig viel realeren musikalischen Abschiedsszenarien, zunächst Bachs hübsches Cappriccio "Über die Abreise eines geliebten Bruders". Schiff spielt die sechs kurzen und prägnanten Sätze mit bestechender Nonchalance und ungekünstelter Naivität, etwa die fast kindlich anmutenden Tonleiter- und Oktavfiguren in der Arie di Postiglione oder das kinderliedartige Fugenthema im Finale. Die Satzbezeichnungen in Beethovens Es-Dur-Sonate op. 81a aus den Jahren 1809/10 Das Lebewohl / Die Abwesenheit / Das Wiedersehen knüpfen an diese Gedankenwelt an, bezogen sind sie konkret auf Erzherzog Johann von Österreich, Beethovens Gönner und Schüler. Beethoven baut darüber allerdings eine komplexe Sonate weit jenseits des unmittelbar Narrativen. Schiff hört in seiner abgeklärten, ungemein konzentrierten und auf jede Wendung neugierigen Interpretation dem Neuartigen dieser Komposition nach: Ein Abschied in übertragenem Sinn von Vertrautem; ein Wiedersehen wird es in veränderten musikalischen Welten geben.

Gewichtig, was nach dem offiziellen Programm kommt: Beethovens (recht kurze) As-Dur-Sonate op.26, in ihrer überraschenden Form (beginnend mit einem Variationssatz) ein kleiner Kosmos für sich und als Zugabe wegen der Komplexität und Kleinteiligkeit ziemlich fordernd. Bewundernswert, mit welcher Konzentration der Pianist (der am Nachmittag ja dasselbe Programm - mit anderen Zugaben - gespielt hat) hier noch einmal den großen Atem findet. Und zum Schluss aus Bèla Bartóks Klavierzyklus Im Freien von 1926 der vierte Satz Klänge der Nacht - eine illustrative, gleichwohl sehr moderne Naturbeschreibung in schillernden, von Schiff mit überwältigender Nuancierung nachgezeichneten Klangfarben interpretiert. Der Eindruck, man erlebe ein gekürztes Konzert, stellte sich da beileibe nicht ein.




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Klavier-Festival Ruhr 2020
Essen, Philharmonie
1. Juli 2020, 17 Uhr und 20:30 Uhr
(besprochen ist das Konzert um 20:30 Uhr)


Ausführende

Sir András Schiff, Klavier



Programm

Johann Sebastian Bach
Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903

Ludwig van Beethoven
Sonate Nr. 17 op.31/2 d-Moll Der Sturm


Johann Sebastian Bach
Capriccio B-Dur
BWV 992 "Über die Abreise eines geliebten Bruders”

Ludwig van Beethoven
Sonate Nr. 26 Es-Dur op.81a Les Adieux


Zugaben:

Ludwig van Beethoven
Sonate Nr. 12 As-Dur op.26

Béla Bartók
aus: Im Freien Sz81:
4. Satz Klänge der Nacht


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