Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Klang und FarbeVon Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Die Farbe fließt in Strömen von den Wänden, die den Bühnenraum nach hinten abgrenzen, in wechselnden, sich überdeckenden (nicht vermischenden) Farbtönen. Gleichzeitig verschütten "Malerassistenten" und "-assistentinnen" literweise Farbe auf den Bühnenboden, meist im großen Schwung und keineswegs geräuschlos. "Malaktion von Hermann Nitsch" nennt sich diese Performance zur Musik von Wagners Walküre in provokativer Einfachheit. Ein Projekt, das aus der Not geboren wurde, denn eigentlich stand ja schon 2020 die Neuinszenierung des Ring des Nibelungen, coronabedingt auf 2022 verschoben, wobei in diesem Jahr bereits geprobt wird. Der erste Abend der Tetralogie hat es immerhin zur Konzertreife gebracht, aber allein mit einer konzertanten Aufführung wollte Festspielchefin Katharina Wagner sich dann doch nicht zufrieden geben - und hat den 83-jährigen Hermann Nitsch eingeladen, "ein aktionistisches geschehen auf der bühne zu veranstalten", wie dieser unter Verzicht auf Großbuchstaben im Programmheft schreibt.
So sauber sieht es zu Beginn eines jeden Aufzugs aus
Was man nicht erwarten darf: Eine Inszenierung der Oper, und daher gehen die lautstarken Proteste von Teilen des Publikums am Ende der hier besprochenen zweiten Aufführung ins Leere. Denn zu sehen bekommt man das, was man bei Nitsch erwarten darf, jedenfalls den harmloseren Teil davon. Waren doch in den 1960er-Jahren Tierblut und Eingeweide dessen bevorzugte "Materialien" - im Bayreuther Festspielhaus bleibt es bei Farbe. Die hat bei Nitsch allerdings vielfältige Bedeutung, nicht nur im Hinblick auf die verwendete Farbpalette (es gibt dazu eine eigene Nitschsche Farbenlehre), sondern auch als Gestaltungsmedium an sich. Das Verschütten und Verspritzen von Farbe wird zum elementaren Ausdruck des Lebensprozesses. Dass diese Form des action painting eine ausgesprochen theatralische Komponente hat, manifestiert sich im "Orgien Mysterien Theater", dem von Nitsch konzipierten ritualhaften Gesamtkunstwerk, mitunter als Gegenentwurf zum Wagnerschen Gesamtkunstwerk verstanden, wie es sich vor allem im Ring manifestiert. Der existentielle Anspruch von Nitsch zeigt sich oft in der Verwendung christlicher Symbolik, vor allem der Kreuzigung. Schöpfung und Passion als Urgründe des Menschseins - das wird auch in dieser Produktion sichtbar. Kurz: Es geht nicht um Farbe, es geht um alles. Darauf muss man sich einlassen wollen.
Die Sängerinnen und Sänger tragen schwarze Kutten und bekommen dadurch eine pseudoreligiöse Funktion, den Farb-Aktionsraum betreten sie aber nicht. Sie sitzen auf unlackierten Holzstühlen, wie man sie preisgünstig bei einem beliebten SB-Möbelhaus erstehen kann, und singen auswendig - Noten oder gar Notenständer fehlen. In einigen wenigen Momenten wird die Handlung angedeutet, in Umarmungen etwa, und insofern ist es dann doch keine konzertante Aufführung, aber noch weniger eine halbszenische, am ehesten ein kultisches Spiel. Jeder der drei Aufzüge hat eine eigene Farbpalette: Der erste bevorzugt Spektralfarben mit einer Dominanz von grün und blau, der zweite hat viel mehr Mischfarben und einer Eintrübung zu braun und schwarz, der dritte erscheint ziemlich bunt mit einer deutlichen Akzentuierung von orange und rot - der "Feuerzauber", der die schlafende Brünnhilde einschließt, findet da eine faszinierende Entsprechung, ohne dass Nitsch hier plakativ wird. Ohnehin steht rot im Werk von Nitsch für Leben und Tod, natürlich für Blut und für Feuer - das Rotorange des Finales lässt sich als Quintessenz der Aufführung sehen.
Brünnhilde
Mit Wagners Versuch, im Ring die Welt zu erklären, hat das wenig zu tun, aber es wirft andere Gedanken und Assoziationen auf. Wenn man sich auf die Verbindung - oder Konfrontation - von Wagner und Nitsch einlässt. Liest man aus der Walküre zentrale Archetypen heraus wie - um ein paar zu nennen - Angst und Flucht, Geborgenheit, Liebe und Frühling (im ersten Aufzug), Gesetz, Gewalt, Tod (im zweiten), Strafe, Vater-Tochter-Liebe, Schlaf und Feuer, dann gibt es durchaus manche Verbindungslinien zum Nitsch-Kosmos, aus dem auch in dieser Walküre das Element der Kreuzigung (im zweiten und dritten Aufzug) auftaucht. Der Ring ist in der jüngeren Festspielgeschichte ja oft intellektuell-politisch gedeutet (Chereau 1976, Kupfer 1988, Castorf 2013) oder, als Gegensatz dazu, naiv märchenhaft erzählt worden (Hall 1983, Kirchner 1994). Sich auf gar keine Erzählstruktur einzulassen wie hier, das ist ein völlig anderer Ansatz - aber es ist eben, siehe oben, gar keine "Inszenierung". So radikal haben sich die Bayreuther Festspiele noch nie einem erweiterten Kunstbegriff geöffnet (selbst der Schlingensiefs Parsifal 2004 orientierte sich letztendlich am Handlungsgerüst). Dazu ist die Aufführung eingebettet in einen Diskurs Bayreuth - Ring 20.21, zu dem auch die Komposition einer neuen Oper Immer noch Loge von Gordon Kampe gehört, die das Rheingold paraphrasiert, ein virtual reality-Projekt Sei Siegfried von Jay Scheib, bei dem man sich in der Walküren-Pause vor dem Festspielhaus eine VR-Brille aufsetzen und gegen einen Drachen, der scheinbar im Zuschauerraum wütet, kämpfen kann, sowie eine Skulptur The Thread oft he Fate von Chiharu Shiota, die den Schicksalsfaden der Nornen aus Götterdämmerung in intensiv leuchtendem Rot in den Park stellt. So gibt es doch noch einen Ring in Bayreuth, aber einen verspielt anderen als erwartet.
Zurück zur Walküre, denn da gibt es ja auch noch die Musik. Die Berufung des inzwischen 41-jährigen Finnen Pietari Inkinen zum Ring-Dirigent war ja durchaus eine Überraschung. Inkinen sucht einen schlanken, die Sänger begleitenden Tonfall, im weitesten Sinne ein Parlando, das den Text in den Vordergrund rückt und Monologe wie Dialoge sorgfältig ausgestaltet, sich auch (viel) Zeit dafür nimmt, dafür auf gewichtige symphonische Momente verzichtet. Man darf gespannt sein, wie gut das über vier Abende funktioniert; bei dieser Walküre sind die Eindrücke ambivalent. Als Gegenstück zur Nitsch-Malaktion wäre eine wuchtige "symphonische" Interpretation eigentlich naheliegender, aber vermutlich ist Inkinens Interpretation viel mehr auf die Regie von Valentin Schwarz ausgerichtet. Alle Phrasen sind sorgfältig ausmusiziert, die Tempi wirken zwar nicht unbedingt langsam, sind aber doch sehr kontrolliert (und die Aufführung ist rekordverdächtig lang). Die Leitmotive gewinnen ihre Funktion weniger als akustische Signale denn als Bausteine im Orchestersatz (das ist dann auf seine Art doch wieder symphonisch gedacht). Manches wird dadurch verschenkt, so die Gewittermusik des Beginns oder die Auftritte Hundings, die allzu wenig Gewicht bekommen. Aber die Dialoge werden sehr plastisch - und vom Pathos befreit. Frickas Streit mit Wotan bekommt plötzlich intellektuelle Schärfe - da ringen tatsächlich zwei Kontrahenten um Deutungshoheit -, und Wotans Abschied von Brünnhilde erklingt ungewohnt zärtlich. Aber da reden und diskutieren wohl doch eher Menschen als Götter. Das heroisch-tragische Weltendrama gibt es bei Inkinen nicht. Man muss abwarten, wie das letztendlich aufgeht.
Feuerzauber
Bedauerlich, dass Günther Groissböck die Partie des Wotan ein paar Tage vor der Premiere zurückgab - wohl weil er sich nach monatelanger Coronazwangspause nicht ausreichend sicher fühlte. Thomasz Konieczny, der kurzerhand die Rolle übernommen hat, verfügt über eine Riesenstimme, braucht aber bei Inkinens zurückhaltendem Dirigat nur selten richtig aufdrehen (was er dann aber wirkungsvoll tut). Er zeigt viele Zwischentöne, stuft sorgfältig ab, überhaupt bleibt vieles im Piano (gerade in seiner langen monologischen Erzählung im zweiten Aufzug). An seine strahlend trompetenhaften Ausbrüche kommt sicher derzeit niemand heran, aber die stimmliche Eleganz, mit der Groissböck in anderen Partien glänzt, besitzt er nicht - gleichwohl eine eindrucksvolle, berührende Darstellung des trauernden Vaters. Iréne Theorin ist eine ordentliche Brünnhilde ohne große Schwachpunkte, manchmal ein wenig matt im Piano, allerdings auch keine allzu charismatische Sängerin. Und sie hat es einfach schwer gegen Lise Davidsen, 34-jähriger neuer Stern am Wagnerhimmel: Die singt eine glutvolle, höchst intensive, fast schon hochdramatische Sieglinde, auch im Pianissimo noch mit größter Kraft leuchtend. Sie dürfte ruhig noch öfter Piano singen, manches gerät ihr recht pauschal im Forte, manche Phrasierung dürfte noch an Geschmeidigkeit gewinnen. Aber die Stimme ist grandios undliefert das vielleicht stärkste Argument für diese Produktion.
Gegen diese leidenschaftliche Frau wirkt der Siegmund von Klaus Florian Vogt wie ein braver Konfirmand. Die sehr "gerade" und direkte Stimme ist ohnehin Geschmackssache, Vogt schlägt sich auch durchaus wacker, bleibt aber der nette Typ, der irgendwie mitsingen darf und das auch ganz schön mtut. Immer noch besser als der Hunding von Dmitry Belosselskiy, der seine Einwürfe zwar rabenschwarz und zuverlässig singt, aber wie schon beschrieben vom Orchester "vergessen" wird und daher nicht allzu gefährlich wirkt. Eindrucksvoll die sorgfältig gestaltete Fricka von Christa Meyer. Das Festspielorchester spielt auf gewohnt hohem Niveau; einen eigenen spezifischen Klang hat es unter Inkinen noch nicht entwickelt.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Aktionskünstler
Licht Solisten
Siegmund
Hunding
Wotan
Sieglinde
Brünnhilde
Fricka
Gerhilde
Ortlinde
Waltraute
Schwertleite
Helmwige
Siegrune
Grimgerde
Rossweiße
Malassistentinnen/Malassistenten
Michaela Hetzel Pia Kober Leonhard Kopp Dagmar Kunert Erich Roth Joseph Smutný Andreas Statsa Federico Vecchi Judith Weissenböck Weitere Informationen erhalten Sie von den Bayreuther Festspielen (Homepage) Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2021 |
- Fine -