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Mit Höchstgeschwindigkeit an die Bar
Von Stefan Schmöe / Fotos: Peter Wieler
Wenn schon Bach, dann aber bitte zu meinen Konditionen: Toccata und Fuge d-Moll, das sicher populärste Orgelstück aller Zeiten, liefert das Material, Ferruccio Busoni hat 1900 die Klavierfassung erstellt, und die 1990 geborene amerikanische Pianistin Claire Huangci verwendet die Musik als Steilvorlage, um zu zeigen, über welche pianistischen Fähigkeiten sie verfügt. Verschiedene Registerfarben? Kein Problem, die zaubert sie auch auf dem Steinway-Flügel beeindruckend hin. Die starre Terrassendynamik der Bach´schen Orgel? Kann sie auf dem Klavier viel besser, da liegen die Extreme von Pianissimo und Fortissimo nahe beieinander. Bachs strenge Toccata nimmt sie rhapsodisch frei, ein hyperromantisches Bravourstück mit extremen und extrem schnellen Stimmungswechseln. (Etwas geordneter dürfte sie in das Stück hineinkommen, die markante Verzierung der Auftaktnote gerät so überstürzt, dass der intendierte Signalcharakter verstolpert wird.) Und dann spielt sie den Beginn der Fuge plötzlich barock streng und der Flügel klingt wie eine Orgel: Hört, das kann ich selbstredend auch. Ziemlich frech und draufgängerisch, dieser Konzertbeginn, da inszeniert sich eine junge Pianistin selbst, und das sehr wirkungsvoll. Die Bach-Bearbeitung wird zur pianistischen Visitenkarte.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Eigentlich hätte ja die große Maria João Pires spielen sollen, die für eines ihrer seltenen Konzerte aus ihrer portugiesischen Heimat nach Wuppertal gereist wäre - wenn sie denn gedurft hätte: Das Infektionsgeschehen in Portugal und die damit verbundenen Ein- und Ausreisevorschriften ließen das nicht zu, und so sprang kurzerhand Claire Huangci ein. Die ist beim Klavierfestival Ruhr keine Unbekannte, hat schon dreimal gespielt, bei ihrem Debut 2018 hatte sie gerade den Concourt Geza Andra gewonnen. Wie sie auf dem Podium dynamisch, fast hektisch auf den Flügel zuläuft, das setzt sich in ihrem Spiel ebenso fort wie die ausladenden, die große Geste zeigenden Armbewegungen. Das extrem hohe Tempo des Eingangssatzes von Beethovens Waldstein-Sonate lässt zwar brillante Läufe zu, geht aber hörbar zu Lasten der Struktur. Aus Allegro con brio wird hier ein gehetztes Presto, mit dem sich zwar allerlei Fingerfertigkeit vorführen lässt, die Huangci durchaus extrovertiert in den Vordergrund stellt. So wird der Satz zu einer Art Schaulaufen für Beethoven und Huangci gleichermaßen. Sicher, auch Beethoven wusste als Virtuose zu glänzen und hat das sicher beim Komponieren mitgedacht. Aber hier bleibt doch allzu nebensächlich, dass es sich um eine der großartigsten Kompositionen für Klavier handelt, und vieles wird im Rausch der Geschwindigkeit dann doch überspielt.
Huangcis Interpretation der langsamen Sätze und die stillen, zurückgenommenen Passagen jedenfalls gefallen mir besser, da hat sie schöne Momente von erlesener Klangkultur. Wenn etwas im Ohr bleibt, dann (um vorzugreifen) die frageartigen letzten Takte der Exposition im Kopfsatz von Schuberts B-Dur-Sonate. Aber zurück zu Beethoven: Die Beruhigung im kurzen Mittelsatz ist nach dem Parforceritt zuvor durchaus wohltuend, und auch das Rondo spielt sie geschmackvoll und mit angemessener Noblesse. Natürlich wartet man auf ein pianistisches Feuerwerk in der Prestissimo-Coda, aber das bleibt fast ein wenig blass - es müsste präziser vorbereitet werden.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Dann Schuberts Sonate B-Dur, seine letzte Klaviersonate. Claire Huanci überdehnt die erste Note des Hauptthemas, lässt ein ziemlich extravagantes Rubato folgen und bringt das Thema damit gezielt ein wenig aus dem in der Begleitung strengen Takt, eine durchaus eigenwillig-markante Sichtweise, aus der aber keine wirkliche Interpretation erwächst - in der Reprise spielt sie das Thema sehr viel liedhafter und konventioneller. Gewollt? Unbedacht? Gleichwohl: Es gibt schöne Momente. Delikat, als spiele sie parallel in drei sehr unterschiedlichen Registern, gelingt der langsame Satz, auch wenn er vor lauter Klangsinnlichkeit mitunter zu zerfallen droht. Das Scherzo ist im Tempo deutlich überzogen, das Finale ganz schön austariert zwischen Eleganz und Bravour.
Als Zugabe dann Debussys Clair de lune, und Claire Huanci groovt das jazzig-lässig mit allerlei verträumten Arpeggien dahin, als bemühe sie sich um den Titel der besten Bar-Pianistin aller Zeiten - kann man als Zugabe so machen, wobei sie damit natürlich noch einmal das Salonhafte unterstreicht, das ihrem Spiel anhaftet. Bei der abschließenden Aria von Friedrich Gulda allerdings waren für meinen Geschmack die Grenzen zum Kitsch überschritten.
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Klavier-Festival Ruhr 2021 Historische Stadthalle, Wuppertal 6. Juli 2021 AusführendeClaire Huangci, KlavierProgrammJohann Sebastian BachToccata und Fuge d-Moll BWV 565 (Transkkription für Klavier: Ferruccio Busoni) Ludwig van Beethoven Sonate Nr. 21 C-Dur op.53 "Waldsteinsonate" Franz Schubert Sonate Nr. 21 B-Dur D 960 Zugaben: Claude Debussy: Clair du lune aus: Suite Bergamasque Friedrich Gulda: Aria Klavierfestival Ruhr 2021 - unsere Rezensionen im Überblick
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