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Rossini Opera Festival

Pesaro
09.08.2021 - 22.08.2021


Elisabetta regina d'Inghilterra

Dramma per musica in zwei Akten
Libretto von Giovanni Schmidt
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Koproduktion mit dem Teatro Massimo di Palermo

Vor-Premiere in der Vitifrigo Arena in Pesaro am 8. August 2021


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Rossini Opera Festival

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Die falsche Elisabeth

Von Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)

Auch wenn Rossinis 15. Oper Elisabetta regina d'Inghilterra einen Meilenstein in der Karriere des Schwans von Pesaro markiert, da die Uraufführung am 4. Oktober 1815 im Teatro San Carlo in Neapel ein so großer Erfolg wurde, dass er damit nicht nur den Süden Italiens eroberte, sondern sich das Werk fast 20 Jahre lang im dortigen Repertoire hielt und auch in ganz Europa zur Aufführung kam, wird diese erste von insgesamt neun ernsten Opern, die Rossini für Neapel komponierte, auch im Rahmen der Rossini-Renaissance eher stiefmütterlich behandelt. Ein Grund mag sein, dass die Besetzung mit der sehr anspruchsvollen Titelpartie, die Rossini seiner späteren Gattin Isabella Colban in die Kehle komponierte, und zwei ersten Tenören gerade kleinere Opernhäuser an ihre Grenzen bringen könnte. Auch war ein Großteil der Musik nicht originär sondern aus früheren Werken übernommen, so dass der Oper vielleicht der Makel eines Pasticcios anhaftet. Des Weiteren war das Werk ursprünglich als Huldigungsoper an den von den Habsburgern unterstützten Bourbonenkönig Ferdinand gedacht, der als Ferdinand I. die beiden Königreiche Sizilien und Neapel wieder vereinte, nachdem der Napoleon treue Joachim Murat im Mai 1815 von den österreichischen Truppen geschlagen worden war. Die Milde einer Königin zu preisen, die ihren Feinden gegenüber, wie Ferdinand, Gnade walten ließ, mag vielleicht ein heutiges Publikum nicht sonderlich ansprechen. Außerdem könnte die Ouvertüre, die Rossini auch seiner wohl berühmtesten Oper Il barbiere di Siviglia voranstellte, ein weiteres Hindernis darstellen, da ein heutiges Opernpublikum sich damit vielleicht im falschen Stück wähnen könnte. Nachdem man in Pesaro im Rahmen des Rossini-Festivals dieses Werk 2004 relativ spät erstmals zur Aufführung gebracht hat, steht in diesem Jahr nicht nur hier eine Neuproduktion auf dem Spielplan, sondern die Oper war auch einen Monat zuvor beim Belcanto-Festival Rossini in Wildbad zu erleben (siehe auch unsere Rezension).

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Elisabetta (Karine Deshayes) liebt den siegreichen Heerführer Leicester (Sergey Romaovsky).

Ein Großteil der Figuren der Oper ist zwar historisch, die Handlung ist allerdings frei erfunden und basiert größtenteils auf dem italienischen Theaterstück Il paglio di Leicester von Carlo Federici. Königin Elisabeth I. (Elisabetta) ist in ihren jungen Heerführer Leicester verliebt, der zu Beginn der Oper siegreich aus Schottland zurückkehrt und die Anhänger ihrer Feindin Maria Stuart besiegt hat. Allerdings hat er heimlich Marias Tochter Matilde geheiratet, die ihm gemeinsam mit ihrem Bruder Enrico in Männerkleidung mit den schottischen Gefangenen nach England gefolgt ist. Leicester fürchtet, dass die Königin Matilde gegenüber keine Gnade walten lassen wird, und überlegt, wie er Matilde retten kann. So vertraut er sich seinem falschen Freund Norfolc an, der darin ein geeignetes Mittel sieht, den Rivalen bei der Königin in Misskredit zu bringen, und Elisabetta sofort von Leicesters heimlicher Heirat erzählt. Elisabetta lässt aus verletztem Stolz Leicester, Matilde und Enrico in den Kerker werfen und ordnet ihre Hinrichtung an, weist allerdings auch Norfolc ab. Aus Rache plant er den Sturz der Königin und die Befreiung Leicesters. Dieser ist zwar gerührt von dem scheinbaren erneuten Freundschaftsbeweis, will sich aber trotz allem nicht gegen Elisabetta stellen. Als die Königin in seiner Zelle erscheint, um ihm einen heimlichen Fluchtweg aus dem Gefängnis zu weisen, erfährt er von Norfolcs Intrige. Norfolc sieht seine einzige Rettung in einem Anschlag auf die Königin, der jedoch von Matilde und ihrem Bruder vereitelt wird. So verurteilt Elisabetta Norfolc zum Tode und begnadigt Leicester, Matilde und Enrico. Sie beschließt, auf die Liebe zu verzichten und sich fortan nur noch der Herrschaft zu widmen.

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Norfolc (Barry Banks) buhlt um die Gunst der Königin (Karine Deshayes).

Während Jochen Schönleber in Bad Wildbad bezüglich der Bühnenmöglichkeiten sehr eingeschränkt ist und einen eher abstrakten und zeitlosen Zugang gewählt hat, schöpft das Regie-Team um Davide Livermore zwar die technischen Möglichkeiten in der Vitifrigo Arena voll aus. Ein Gewinn für die Inszenierung ist das allerdings nicht. Die aufwendigen Video-Projektionen von D-wok, die beispielsweise bei Ciro in Babilonia 2012 und 2016 eine grandiose Stummfilm-Ästhetik geschaffen haben, tragen zum Verständnis der Elisabetta bei allem Aufwand leider überhaupt nichts bei. Die gewaltigen Feuer-Fontänen, die nicht nur den projizierten Palast sondern teilweise auch ganze Teile Londons in Schutt und Asche zu legen scheinen, hätten optisch fast besser zu Moïse et Pharaon gepasst. Bei Elisabetta wirken sie eher fehl am Platz. Schließlich ist der Krieg hier bereits vorbei. Auch die schwarzen Wolken, denen eine Art Drache zu entsteigen scheint, erinnern eher an ein Fantasy-Epos à la Game of Thrones als an eine Geschichte aus England. Auch die farbige Blumenwiese, die in einigen Szenen den Palast überwuchert, erschließt sich nicht. Unklar bleibt auch ein immer wieder eingeblendeter Hirsch, der wohl an einen Film über die englische Königin angelehnt ist.

Elisabetta ist bei Livermore auch nicht die "jungfräuliche Königin" sondern ihre Namensvetterin Elisabeth II., was ebenfalls überhaupt keinen Sinn macht, da die heimliche Liebe zu dem jugendlichen Leicester im Leben der jetzigen Königin genauso wenig eine Parallele hat wie der Hass auf die Kinder ihrer besiegten Erzfeindin Maria Stuart. Die Kostüme von Gianluca Falaschi sind zwar wunderschön anzusehen, aber für die eigentliche Handlung sind sie genauso schief wie die Sessel und Stühle, die teils aus dem Schnürboden herabgelassen werden und teils von tanzenden Dienstboten hin- und hergetragen werden. Auch in der Personenregie bleibt einiges fraglich. Wieso setzt Livermore auf große starre Tableaux und lässt die Protagonisten nicht einfach abgehen, wenn es im Libretto so vorgesehen ist? Dass Matilde und Enrico noch auf der Bühne sind, während Leicester sich im ersten Akt seinem falschen Freund Norfolc anvertraut, ist genauso unschlüssig wie die Tatsache, dass Norfolc gemütlich auf einem Stuhl Platz nimmt, wenn er eigentlich laut Anweisung die Bühne eilig verlassen soll. Dass Elisabetta von ihm über Telefon darüber informiert wird, dass ihr Favorit Leicester heimlich die Tochter ihrer Erzfeindin geheiratet hat, ist ebenso unnötig, wie die Schwerter durch Pistolen zu ersetzen und Enrico mit einem gezielten Schulterschuss Norfolc außer Gefecht setzen zu lassen, während dieser die Königin mit der Waffe im Nacken bedroht.

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Elisabetta (Karine Deshayes, vorne Mitte) fordert von Leicester (Sergey Romanovsky), auf Matilde (Salome Jicia, rechts) zu verzichten.

Musikalisch begegnen sich die beiden Produktionen in Bad Wildbad und Pesaro auf Augenhöhe. Der von Giovanni Farina einstudierte Coro del Teatro Ventidio Basso kann natürlich eine ganz andere Wucht entfalten als der Chor in Bad Wildbad, der größtenteils aus dem Off singen muss. Allerdings verzichtet Livermore darauf, Teile dieses Chors als Gefangene auftreten zu lassen, die ja im ersten Akt mit Matilde und Enrico vorgeführt werden. Auch Matilde und Enrico nimmt man in ihrer schicken Kleidung die Gefangenschaft nicht ab. Sie wirken eigentlich wie ganz normale Höflinge. Evelino Pidò versucht, mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai vor allem in der Ouvertüre durch ungewöhnliche Tempi Akzente zu setzen. Soll damit eine Verfremdung der aus dem Barbiere berühmten Nummer erzeugt werden? Ansonsten sind beim Orchester keine Abstriche zu machen.

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Elisabetta (Karine Deshayes) als einsame Königin

Karine Deshayes wirkt in der Titelpartie bei der Auftrittskavatine der Königin noch ein wenig unsicher. Da kommen die Koloraturen zwar sauber, aber noch nicht ganz auf den Punkt. Im weiteren Verlauf zeichnet sie aber ein überzeugendes Porträt einer Königin, bei der Herrschaft und Liebe nicht zusammenfinden können. Mit überzeugendem Spiel gestaltet sie die innere Zerrissenheit der Königin und lässt ihrer Wut und Verzweiflung mit flexiblem Sopran und kräftigen Höhen freien Lauf. Sergey Romanovsky ist stimmlich und optisch ein strahlender junger Leicester, dessen kräftiger Tenor in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Hervorzuheben ist die große Kerkerszene im zweiten Akt, wenn er sich von sauber ausgesungenen Höhen in voluminöse Tiefen hinabbegibt und das Leiden seiner Gattin Matilde beklagt. Ob die Diener während dieser Arie einen imaginären Leicester im Kerker foltern müssen, während Romanovsky noch singt, ist allerdings Ansichtssache. Überzeugend gestaltet er auch die Loyalität zu seiner Königin, ohne jedoch seinen Prinzipien dabei untreu zu werden. Ob der Auftritt zu Beginn der Oper mit einer projizierten Propellermaschine erforderlich ist, ist genauso entbehrlich wie sein verherrlichtes Konterfei auf der Rückwand, das ihn erneut als strahlenden Helden auszeichnen soll. Barry Banks gestaltet den intriganten Norfolc mit recht metallenem Tenor, der gut zum Charakter passt. In den extremen Höhen hat er allerdings bisweilen kleine Probleme. Salome Jicia ist als Matilde eine "sichere Bank". Mit großer Dramatik und sauberen Höhen gestaltet sie die treu liebende Gattin, die für ihren Leicester alle Gefahren auf sich nimmt. Marta Pluda und Valentino Buzza runden als Matildes Bruder Enrico und als Guglielmo das Ensemble überzeugend ab. Der Applaus bei der besuchten Aufführung fällt nicht ganz so begeistert aus wie bei der zwei Tage zuvor aufgeführten Produktion Moïse et Pharaon, was aber wohl eher der Inszenierung als dem Gesang anzulasten ist.

FAZIT

Auch wenn die Inszenierung in Pesaro wesentlich opulenter ist, hat Bad Wildbad im direkten Vergleich wie bereits beim Guillaume Tell 2013 die Nase vorn.

Weitere Rezensionen zu dem Rossini Opera Festival 2021



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Evelino Pidò

Regie
Davide Livermore

Bühnenbild
Giò Forma

Kostüme
Gianluca Falaschi

Licht
Nicolas Bovey

Video-Design
D-Wok

Chorleitung
Giovanni Farina



Coro del Teatro Ventidio Basso

Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai


Solisten

Elisabetta
Karine Deshayes

Leicester
Sergey Romanovsky

Matilde
Salome Jicia

Enrico
Marta Pluda

Norfolc
Barry Banks

Guglielmo
Valentino Buzza

 


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