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Oper voller Spannung und MagieVon Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus Wie in einem schweren
Traum versunken kauert ein Mann an einem langen Tisch. In einer
Videoprojektion sieht man hinter ihm ein brennendes Dorf. Fliehende
Bauern und Soldaten spielende Kinder platzen herein, der Mann bleibt
apathisch am Tisch sitzen. Im Hintergrund erscheint nun ein trostlos
leerer Massenschlafsaal in irgendeiner Kaserne. Die Realität überblendet
sich mit Bildern in seinem Kopf.
Vom Krieg traumatisiert: Hermann (Arsen Soghomonyan) und Chor
Eindrücklich
schildern bereits die ersten Minuten dieser Inszenierung die Situation
Hermanns, des deutschen Offiziers in russischen Diensten, als die
Situation eines traumatisierten Außenseiters. Hermann ist nicht mehr
Herr seiner Gefühle, besessen vom Kartenspiel und von der Liebe.
Konsequent zeigen Moshe Leiser und Patrice Caurier in ihrer
Inszenierung von Tschaikowskys Pique
Dame die seelischen Zwänge und den Verfall dieser Figur. Sie
zeigen dies in ihrer Version vor dem Hintergrund der russischen
Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts (im Original spielt die
Handlung ein Jahrhundert davor) und verlegen die Handlung damit in die
Entstehungszeit der Oper. Sie handelt aber auch von der Verfallenheit
Lisas an Hermann. In Tschaikowskys Sicht eine schicksalhafte Tragik, in
der Sicht der Regie Ergebnis gesellschaftlicher Zwänge, die hier
deutlich gezeigt werden. Von Kriegsgewalt, ordinärem Machismo oder
zynischem Mobbing ist die Sphäre der Soldaten geprägt, die Sphäre Lisas
ist die eines Edelbordells, wo die junge Frau die perversen Gelüste
ihres angeblichen Verlobten Jeletzki befriedigen muss. Hermann sucht seiner
Situation durch die manische Gewinnsucht im Kartenspiel zu entkommen,
Lisa indem sie sich an Hermann klammert.
Dieses
Edelbordell ist Chiffre für die dekadente Genussgesellschaft in einer
Welt, die ausstaffiert ist mit opulenten Nichtigkeiten, kostümierter
Oberflächlichkeit und inszenierter Nostalgie. Sinnfällig wird im 2. Akt
neben dem Maskenball auch die in manchen Inszenierungen
gestrichene Episode, das antikisierende Schäferspiel um Daphnis und
Chloë, als eine Art vergnügungssüchtige Realitätsflucht. Grandios das
Kostümdesign von Agostino Cavalca. Mit einem Schuss Ironie und dezenten
Anspielungen auf die Homophobie im damaligen (wie aktuellen) Russland
hat das Regieduo diese Szene mit handwerklicher Souveränität auf die
Bühne gebracht, wobei auch Kirill Petrenko den musikalischen
Stilwechsel in ein imaginiertes Rokoko mit den Philharmonikern brillant
realisiert.
Maskenball: Ensemble
Die
Doppelbödigkeit der Handlung spiegelt sich im zweistöckigen Bühnenbild,
das im unteren Teil den Raum für die Oberfläche des bunten
Gesellschaftstreibens und oben in kleinen Kammern den Platz für die
Tiefe des Leidens der Protagonisten an dieser Gesellschaft ermöglicht.
Hier haben Hermanns anwachsender Wahn und Lisas Verzweiflung ihren
geheimen Ort. Mit großer Empathie für beide Figuren lotet die Regie
deren Seelenlage aus und Arsen Soghomonyan (Hermann) und Elena
Stikhina (Lisa) sind auch denkbar beste Sängerdarsteller in diesen
Rollen - Soghomonyan mit ausdrucksstarker, bis zuletzt
verzweifelt-kraftvoller Stimme und Elena Stikhina mit wunderbar
lyrischem Schmelz bis hin zu tiefer Verzweiflung, die Lisa schließlich
in den Tod in der Newa führt.
Das doppelbödige Bühnenbild: Arsen Soghomonyan (Hermann), oben links
und Elena Stikhina (Lisa), oben rechts
Mit gleichsam
filmischen Mitteln zeigen Leiser und Caurier die
phantastisch-dämonische Dimension der Handlung um das Kartengeheimnis
der alten Gräfin, das Hermann ihr entlocken will, weil er dadurch zum
Erfolg am Spieltisch zu gelangen hofft. So die Szene, in der Hermann
der ermüdeten Gräfin die Reihenfolge der angeblich siegreichen Karten
abpressen will, wenn er sich zu der ahnungslosen Gräfin über die Treppe
anschleicht. Petrenko steigert hier das Faszinosum der Musik in
ihrer Reduktion auf Unheil verkündende Klangsignale zu einem
zusätzlichen Element des Spannungsaufbaus. Plötzlich wird die Oper zum
Thriller.
Doris Soffel
gibt die Rolle der Gräfin als eine aus der Zeit gefallene Figur, die
sich von der Spaßgesellschaft als Zarin Katharina verspotten lassen
muss. Hermann aber projiziert in seinem Wahn in sie Zauberkräfte.
Dabei ist sie nur eine alte Frau, die in einem französischen Couplet
längst vergangenen erotischen Jugenderinnerungen nachhängt, was Doris
Soffel zu einem anrührenden nostalgischen Moment gestaltet. Ihr Tod
nach Hermanns plötzlichem Auftauchen erscheint in der Inszenierung eher
beiläufig, umso dramatischer wirkt auf den dem Wahnsinn nahen Hermann
die Vision ihrer Erscheinung, wenn sie ihm das angebliche
Kartengeheimnis verrät. Hermann wird mit diesem trügerischen Wissen das
entscheidende Spiel verlieren. Nachdem er in völligem Realitätsverlust
sein ganzes Vermögen verloren hat, erschießt er sich noch am
Spieltisch. Wie Abfall kickt sein Widersacher Jeletzki die Leiche mit
einem Fußtritt beiseite.
Filmästhetik der Regie: der Schatten Hermanns hinter der verzweifelten
Lisa (Elena Stikhina)
Nicht minder spannungsgeladen wie die Regie ist das Spiel der Berliner
Philharmoniker, die sich hier auch als grandioses Opernorchester
beweisen. Zwischen düsterer Tragik und bis zum Bersten reichender
Dramatik lotet Kirill Petrenko das Potential der Partitur aus. Der
Klangfarbenreichtum ist überwältigend. Das in allen Rollen exzellente
Sängerensemble und die beiden Chöre komplettieren die überragende
Qualität dieser Produktion.
Fazit
Eine der besten Opernproduktionen der Baden-Badener Osterfestspiele
bisher: Drei Sternstunden der Oper.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Tschaplizki, Spieler /
Zeremonienmeister
Klavier auf der Bühne
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- Fine -