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Musikfestspiele
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Osterfestspiele 2022 der Berliner Philharmoniker in Baden – Baden

Pique Dame

Oper in drei Akten (7 Bildern)
Libretto von Modest Tschaikowsky nach der Novelle von Alexander Puschkin unter Verwendung von Versen von
Konstantin N. Batjuschkow, Gawrila R. Derschawin und Wassili A. Schukowski, mit Ergänzungen des Komponisten
Musik von Peter Tschaikowsky

In russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer: 3 1/4 Stunden – eine Pause

Premiere im Festspielhaus Baden-Baden am 9. April 2022
(rezensierte Vorstellung: 12. April 2022)

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Festspielhaus Baden-Baden
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Oper voller Spannung und Magie 

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus

Wie in einem schweren Traum versunken kauert ein Mann an einem langen Tisch. In einer Videoprojektion sieht man hinter ihm ein brennendes Dorf. Fliehende Bauern und Soldaten spielende Kinder platzen herein, der Mann bleibt apathisch am Tisch sitzen. Im Hintergrund erscheint nun ein trostlos leerer Massenschlafsaal in irgendeiner Kaserne. Die Realität überblendet sich mit  Bildern in seinem Kopf.
 
Vom Krieg traumatisiert: Hermann (Arsen Soghomonyan) und Chor
 
Eindrücklich schildern bereits die ersten Minuten dieser Inszenierung die Situation Hermanns, des deutschen Offiziers in russischen Diensten, als die Situation eines traumatisierten Außenseiters. Hermann ist nicht mehr Herr seiner Gefühle, besessen vom Kartenspiel und von der Liebe. Konsequent zeigen Moshe Leiser und Patrice Caurier in ihrer Inszenierung von Tschaikowskys Pique Dame die seelischen Zwänge und den Verfall dieser Figur. Sie zeigen dies in ihrer Version vor dem Hintergrund der russischen Gesellschaft  am Ende des 19. Jahrhunderts (im Original spielt die Handlung ein Jahrhundert davor) und verlegen die Handlung damit in die Entstehungszeit der Oper. Sie handelt aber auch von der Verfallenheit Lisas an Hermann. In Tschaikowskys Sicht eine schicksalhafte Tragik, in der Sicht der Regie Ergebnis gesellschaftlicher Zwänge, die hier deutlich gezeigt werden. Von Kriegsgewalt, ordinärem Machismo oder zynischem Mobbing ist die Sphäre der Soldaten geprägt, die Sphäre Lisas ist die eines Edelbordells, wo die junge Frau die perversen Gelüste ihres angeblichen Verlobten Jeletzki befriedigen muss. Hermann sucht seiner Situation durch die manische Gewinnsucht im Kartenspiel zu entkommen, Lisa indem sie sich an Hermann klammert.
 
Dieses Edelbordell ist Chiffre für die dekadente Genussgesellschaft in einer Welt, die ausstaffiert ist mit opulenten Nichtigkeiten, kostümierter Oberflächlichkeit und inszenierter Nostalgie. Sinnfällig wird im 2. Akt neben dem Maskenball auch die in manchen Inszenierungen  gestrichene Episode, das antikisierende Schäferspiel um Daphnis und Chloë, als eine Art vergnügungssüchtige Realitätsflucht. Grandios das Kostümdesign von Agostino Cavalca. Mit einem Schuss Ironie und dezenten Anspielungen auf die Homophobie im damaligen (wie aktuellen) Russland hat das Regieduo diese Szene mit handwerklicher Souveränität auf die Bühne gebracht, wobei  auch Kirill Petrenko den musikalischen Stilwechsel in ein imaginiertes Rokoko mit den Philharmonikern brillant realisiert.
 
Maskenball: Ensemble
 
Die Doppelbödigkeit der Handlung spiegelt sich im zweistöckigen Bühnenbild, das im unteren Teil den Raum für die Oberfläche des bunten Gesellschaftstreibens und oben in kleinen Kammern den Platz für die Tiefe des Leidens der Protagonisten an dieser Gesellschaft ermöglicht. Hier haben Hermanns anwachsender Wahn und Lisas Verzweiflung ihren geheimen Ort. Mit großer Empathie für beide Figuren lotet die Regie deren Seelenlage aus und  Arsen Soghomonyan (Hermann) und Elena Stikhina (Lisa) sind auch denkbar beste Sängerdarsteller in diesen Rollen - Soghomonyan mit ausdrucksstarker, bis zuletzt verzweifelt-kraftvoller Stimme und  Elena Stikhina mit wunderbar lyrischem Schmelz bis hin zu tiefer Verzweiflung, die Lisa schließlich in den Tod in der Newa führt.
 
Das doppelbödige Bühnenbild: Arsen Soghomonyan (Hermann), oben links und Elena Stikhina (Lisa), oben rechts
 
Mit gleichsam filmischen Mitteln zeigen Leiser und Caurier die phantastisch-dämonische Dimension der Handlung um das Kartengeheimnis der alten Gräfin, das Hermann ihr entlocken will, weil er dadurch zum Erfolg am Spieltisch zu gelangen hofft. So die Szene, in der Hermann der ermüdeten Gräfin die Reihenfolge der angeblich siegreichen Karten abpressen will, wenn er sich zu der ahnungslosen Gräfin über die Treppe anschleicht.  Petrenko steigert hier das Faszinosum der Musik in ihrer Reduktion auf Unheil verkündende Klangsignale zu einem zusätzlichen Element des Spannungsaufbaus. Plötzlich wird die Oper zum Thriller.
 
Doris Soffel gibt die Rolle der Gräfin als eine aus der Zeit gefallene Figur, die sich von der Spaßgesellschaft als Zarin Katharina verspotten lassen muss. Hermann aber projiziert in seinem Wahn in sie Zauberkräfte. Dabei ist sie nur eine alte Frau, die in einem französischen Couplet längst vergangenen erotischen Jugenderinnerungen nachhängt, was Doris Soffel zu einem anrührenden nostalgischen Moment gestaltet. Ihr Tod nach Hermanns plötzlichem Auftauchen erscheint in der Inszenierung eher beiläufig, umso dramatischer wirkt auf den dem Wahnsinn nahen Hermann die Vision ihrer Erscheinung, wenn sie ihm das angebliche Kartengeheimnis verrät. Hermann wird mit diesem trügerischen Wissen das entscheidende Spiel verlieren. Nachdem er in völligem Realitätsverlust sein ganzes Vermögen verloren hat, erschießt er sich noch am Spieltisch. Wie Abfall kickt sein Widersacher Jeletzki die Leiche mit einem Fußtritt beiseite.
 
Filmästhetik der Regie: der Schatten Hermanns hinter der verzweifelten Lisa (Elena Stikhina)
 
Nicht minder spannungsgeladen wie die Regie ist das Spiel der Berliner Philharmoniker, die sich hier auch als grandioses Opernorchester beweisen. Zwischen düsterer Tragik und bis zum Bersten reichender Dramatik lotet Kirill Petrenko das Potential der Partitur aus. Der Klangfarbenreichtum ist überwältigend. Das in allen Rollen exzellente Sängerensemble und die beiden Chöre komplettieren die überragende Qualität dieser Produktion.
 
Fazit
 
Eine der besten Opernproduktionen der Baden-Badener Osterfestspiele bisher: Drei Sternstunden der Oper.
 




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kirill Petrenko

Inszenierung
Moshe Leiser
Patrice Caurier


Bühnenbild
Christian Fenouillat

Kostümdesign
Agostino Cavalca

Licht
Christopher Foren

Choreografie
Beate Vollack

Video
Etienne Guiol

Maske
Sylvie Barrault
Rebecca Barrault


Slowakischer Philharmonischer
Chor

Einstudierung
Josef Charbron


Cantus Juvenum Karlsruhe
Einstudierung
Clara-Sophie Bertram
Lorenzo de Cunzo


Berliner Philharmoniker



Solistinnen und Solisten

Hermann
Arsen Soghomonyan

Lisa / Prilepa (Chloë)
Elena Stikhina

Graf Tomski / Slatogor (Plutus)
Vladislav Sulimsky

Fürst Jeletzki
Boris Pinkhasovich

Gräfin
Doris Soffel

Polina / Milowsor (Daphnis)
Aigul Akhmetshina

Tschekalinski, Offizier
Yevgeby Akimov

Surin, Offizier
Anatoli Sivko

Tschaplizki, Spieler / Zeremonienmeister
Christophe Poncet de Solages

Narumow, Spieler
Mark Kurmanbayev

Gouvernante
Margarita Nekrasova

Kolja (stumme Rolle)
Sergej Czepurnyi

Ein Junge (stumme Rolle)
Jakob Lichti

Tänzerinnen

Aleksandra Aidu
Martina Consoli
Tura Gomez Coll
Milena Kapfer
Jacqueline Lopez
Sophie Melem

Klavier auf der Bühne
Olga Wien



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)




Da capo al Fine

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