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La Capitale d'Été
Sommerfestspiele vom 8. Juli 2022 bis 17. Juli 2022

Die Sinfoniekonzerte

Werke von Johannes Brahms, Louise Farrenc, Robert Schumann und Clara Wieck, verh. Schumann

Aufführungen vom 8. Juli 2022 bis zum 17. Juli 2022 im Festspielhaus Baden-Baden

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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

Außergewöhnliches im Festspielhaus 

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Haumann Frietsch, Michael Gregonowitz und  Andrea Kremper

Ziemlich verwundert, aber doch auch anerkennend bemerkte im April 1849 der Rezensent eines Konzertes der Societé des concerts du Conservatoire de Paris, der damals renommiertesten Institution des musikalischen Lebens in der französischen Hauptstadt, dass als "Ausnahme von den geheiligten Gewohnheiten" im Programm des jüngsten Konzerts das Werk einer Komponistin angekündigt worden sei. Es handelte sich um die 3. Sinfonie von Louise Farrenc, die an diesem Abend mit großem Erfolg uraufgeführt worden war. Ein Bruch mit "geheiligten Gewohnheiten" nicht nur im 19. Jahrhundert! Etwas weniger pathetisch könnte ein derartiger Befund nämlich auch auf die Programmgestaltung des Festspielhauses in Baden-Baden zutreffen, das in seiner fast 25jährigen Existenz nun im Jahre 2022 auch zum ersten Mal komponierenden Frauen einen Platz in seinen Konzerten einräumte. Und es erklang in den vier Konzerten des Sommerfestivals auch jetzt dieselbe Sinfonie von Louise Farrenc, dazu ihre 2. Sinfonie und das Klavierkonzert von Clara Schumann. Somit gab es in drei von vier Konzerten Komponistinnen-Musik.
 
Auch an Clara Schumann hat das Festspielhaus Einiges gutzumachen. An mehreren Orten in der Kurstadt stößt man auf ihren Namen, vor allem im Ortsteil Lichtental, wo Clara Schumann von 1862 an mehr als zehn Jahre ein Haus bewohnte, in dem sie sich von ihren ausgedehnten Konzertreisen erholen konnte. Clara Schumanns Residenz in Baden-Baden war für Johannes Brahms der Anlass, über mehrere Sommer hinweg ebenfalls eine kleine Wohnung in Lichtental zu nehmen, die er als seine "Komponierhöhle" bezeichnete. Hier vollendete er seine ersten beiden Sinfonien, komponierte Kammermusik (z.B. das Horntrio) und führte viele seiner Werke im Konzertsaal des Casinos auf. Musik von Brahms wurde und wird in Baden-Baden häufig gespielt, jene von Clara Schumann allerdings nur in kleinem Rahmen. Zwar wurde bei den Osterfestspielen 2019 im Theater Baden-Baden eine Kammeroper über Clara Schumann uraufgeführt (siehe auch unsere Rezension) die Ehre der internationalen Festspielhausbühne wurde ihr in diesem Sommer aber zum ersten Mal erwiesen.
 
Ein deutlicher Bezug zur Geschichte der Festspielstadt Baden-Baden war den diesjährigen Sommerfestspielen eingeschrieben.  Der Untertitel La Capitale d'Été nimmt auf, was Baden-Baden im 19. Jahrhundert auszeichnete, denn der seinerzeit winzige Kurort galt damals als Sommerhauptstadt der Musik. Alles was Rang und Namen in der Musikwelt hatte, versammelte sich in den Sommermonaten der Jahre des 2. Drittels des 19. Jahrhunderts gleichermaßen aus musikalischen wie aus gesellschaftlichen Gründen in der Stadt am Rande des Schwarzwalds - von Berlioz bis Liszt und von Offenbach bis Johann Strauß. Wenn Festspielhaus-Intendant Benedict Stampa ankündigt, dass bei den kommenden Sommerfestivals weiterhin an diese Tradition angeknüpft werden soll, dann sind noch viele spannende Entdeckungen zu erwarten.
 
Public Viewing mit Beatrice Rana (Klavier) und dem Chamber Orchestra of Europe unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin (Foto: © Haumann Frietsch)
 
n diesem Jahr also zuerst der Schwerpunkt Brahms mit seinen Sinfonien Nr. 1 und 2 und seinen beiden Klavierkonzerten. Nach der grandiosen Konzertserie des Chamber Orchestra of Europe unter Yannick Nézet-Séguin mit allen neun Sinfonien von Beethoven im vergangenen Sommer (siehe auch unsere Rezension) konnte man auf dieselbe Besetzung auch dieses Festivals besonders gespannt sein. Die Italienerin Beatrice Rana und der Koreaner Seong-Jin Cho waren die hochkarätigen Solisten in den Klavierkonzerten von Clara Schumann, Robert Schumann und Johannes Brahms. Neben vier Sinfoniekonzerten bestritten die Musikerinnen und Musiker auch zwei Kammerkonzerte. Und neu in Baden-Baden: Eines der Konzerte war in Lichtental - einen Steinwurf vom Brahmshaus entfernt - auch als Public Viewing zu erleben.
 
Ein äußerst steiniger Weg führte Brahms zu seiner 1. Sinfonie. Ganze 16 Jahre brauchte er, um sich aus dem Schatten Beethovens zu befreien. Unter anderem auch die Korrespondenz und die Gespräche mit Clara Schumann spiegeln diesen schweren, streckenweise verzweifelten Prozess. Von derartiger Schwerstarbeit war allerdings in der Interpretation durch Yannick Nézet-Séguin nichts mehr zu spüren. Die Sinfonie erschien wie aus einem Guss, klang vor allem im 2. Satz nahezu schwerelos. Elegante Linienführung, subtile Phrasierung, vor allem auch die nahtlosen Motiv-Übergänge zwischen den einzelnen Instrumenten: ein Brahms ohne bleierne Schwere und in so selten gehörter Leichtigkeit. Der Choral im Finalsatz hatte jede Strenge auch jedes Pathos abgelegt, sondern verband sich mit den Hornrufen zu einer  Feier heiterer Empfindungen angesichts der Natur, die Brahms nach seinen eigenen Worten immer wieder gerade auch bei seinen Spaziergängen rund um Baden-Baden suchte und fand. Mehr zu spüren war dies noch in der 2. Sinfonie, in der Geschmeidigkeit des Adagios, dem federnden Allegretto grazioso und dem fulminanten Tempo des Finalsatzes. Hier, aber nicht nur hier, glänzte das Orchester mit seiner enormen Präzision.
 
Programmatisch blieb man im ersten Konzertblock im Freundeskreis: Clara und Robert Schumanns Klavierkonzerte waren den Sinfonien von Johannes Brahms beigesellt. Clara komponierte ihr Konzert noch lange, bevor sie Roberts Frau wurde und führte es 16jährig noch als Clara Wieck unter der Leitung von Felix Mendelssohn im Leipziger Gewandhaus zum ersten Mal auf.
 
Beatrice Rana und das Chamber Orchestra of Europe bei Sommerfestival 2022 in Baden-Baden (Foto: © Andrea Kremper)
 
In ihrem opus 7 verleugnet die von ihrem Vater seit frühen Kindertragen als Wunderkind am Klavier herangezogene Komponistin keineswegs ihr Selbstbewusstsein als Virtuosin. Die drei ineinander übergehenden Sätze zeugen aber auch von beachtlicher melodischer Kreativität und vor allem von überbordendem romantischen Gefühl. Warum Frédéric Chopin von diesem Konzert förmlich hingerissen war, klang in der Interpretation von Beatrice Rana immer wieder durch. Sie rückte es mit subtilem Rubato, perlenden Läufen, mit federleichtem, klangfarbenreichem Anschlag deutlich in die Nähe Chopins. Dirigent und Orchester passten sich diesem Verständnis wie selbstverständlich an. Zwar ist der Orchesterpart im 1. Satz  (wahrscheinlich von Clara selbst ausgefertigt) noch recht spärlich, umso mehr kam er im Schlusssatz, den Robert weitgehend ausgearbeitet hat, zum Blühen. Höchst animiert wechselte die Rolle des Orchesters mit der des Klaviers. In der zuerst rein solistischen Romanze des 2. Satzes ließ Beatrice Rana das Klavier wunderbar singen, bis das Solocello von William Conway sich im selben Geiste romantisch empfunden in die melodische Linie einreihte.
 
Auch in Robert Schumanns Klavierkonzert begeisterte Beatrice Rana durch ihre ausdrucksstarke Gesanglichkeit und ihre subtile Anschlagskunst. Hier kam ihre kraftvolle Dynamik und pianistische Entschlossenheit noch stärker zur Geltung. Gerade im rondoartigen Finalsatz zeigte die Pianistin besondere spielerische Kreativität in immer wieder neuen Ausdrucksvaleurs und reichem Klangfarbenspiel.
 
Die beiden Zugaben bestätigten den hohen Rang ihrer hochsensiblen Interpretationskunst, vor allem in der Bearbeitung des Schumann-Liedes Widmung ("Du meine Seele, du mein Herz") von Franz Liszt, das sie deutlich mehr von der Stimmung des Liedes als von der Lisztschen Virtuosität her auffasste.
 
Nach einer einwöchigen und offenkundig intensiven Probenphase stand der zweite Konzertblock mit den zwei Klavierkonzerten von Brahms und zwei Sinfonien von Farrenc an. Auch hier zeigte sich dieses Projektorchester in Hochform, enthusiastisch bei der Sache, technisch auf höchstem Niveau und in allem Gruppen mit exzellenter Klangkultur. Zwischen Yannick Nézet-Séguin und diesen Spitzenmusikerinnen und -musikern scheint eine produktive Symbiose entstanden zu sein, die sie zu beglückenden musikalischen Höhenflügen animiert.
 
Seong-Jin Cho und das Chamber Orchestra of Europe unter der Leitung von  Yannick Nézet-Séguin im Festspielhaus Baden-Baden
 
Der Pianist in den beiden Klavierkonzerten von Brahms war der 28jährige Seong-Jin Cho, Preisträger mehrerer renommierter Wettbewerbe, zuletzt Gewinner des Warschauer Chopin Wettbewerbs (2015). Seine exzellente Technik bewies er vom ersten Takt an. Zupackend mit jugendlichem Schwung gelang etwa das Rondo von op.15. Doch in der Kadenz, die spieltechnisch makellos gelang, wurde deutlich, worin er nicht vollkommen überzeugen konnte. Cho meisterte die virtuosen Anforderungen ohne Einschränkungen, allein man vermisste die Seele, die Empfindung hinter den Noten. Auch der Dialog zwischen dem Solocello (an diesem Tag herrlich cantabel: Richard Lester) und dem Klavier im Andante des 2. Konzerts blieb daher aufseiten des Solisten etwas blass und ausdruckslos. Das Orchester war wieder weit mehr als ein Partner, sondern ein herausragender Gegenspieler.
 
Der Name Louise Farrenc dürfte wohl den meisten der Konzertbesucherinnen und -besucher bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt gewesen sein. Nach den beiden Aufführungen von Sinfonien der französischen Komponistin (1804-1875) war die Meinung in Publikum allerdings einhellig: eine wahre Entdeckung! Louise Farrenc ereilte das Schicksal der meisten komponierenden Frauen im 19. Jahrhundert: Spielten sie die eigene Musik selbst, meist Kammermusik oder solistische Klaviermusik, war ihnen Anerkennung gewiss, ansonsten wurden sie nicht weiter beachtet und aufgeführt. Louise Farrenc hatte immerhin noch das Glück, dass ihr Ehemann als Verleger für die Verbreitung ihrer umfangreichen Kammermusik sorgte. Ihre vier Sinfonien kamen aber über die Uraufführungen, die sie meist selbst organisieren musste, zu ihren Lebzeiten nicht hinaus. Erst jüngst halten sie nach der Herausgabe einer kritischen Gesamtausgabe, wenn auch nur zögerlich, Einzug in die Konzertsäle. Immerhin wirkte Louise Farranc mehr als 30 Jahre als erste Klavierprofessorin in ganz Europa am Pariser Konservatorium, wo sich die couragierte Frau die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen erstritten hatte.
 
Das Chamber Orchestra of Europe unter der Leitung von  Yannick Nézet-Séguin in Baden-Baden
 
Kraftvoll ist auch ihr Kompositionsstil. Dass sie besonders an Beethoven geschult ist, hört man ihrer Musik an. Vor allem folgt sie dem Formmodell der klassischen Sinfonie. Doch füllt sie die Tradition mit origineller Eigenständigkeit. Beethovens Stringenz und dramatischem Impuls setzt sie immer wieder Inseln der Kontemplation entgegen, meist als melodisch wunderschön ausgearbeitete Holzbläserpartien, die besonders in den Trios der Scherzi die Solobläserinnen und -bläsern des COE für herrliche Momente nutzten. Die 3. Sinfonie g-Moll von 1849 beginnt schon mit einem elegischen Oboensolo, das bald in ein lebendiges Allegro mündet. Immer wieder sind Farrencs Kompositionen voller überraschender Wendungen und interessanter Details, die Nézet-Séguin deutlich herausarbeitete, wie er überhaupt großen Wert auf eine intensive Klangrede legte. So machten sich Dirigent und Orchester um die Musik von Louise Farrenc in höchsten Maße verdient und machten Lust, viel mehr von dieser Komponistin hören zu können.
 
Fazit:
 
Mit dem Sommerfestival La Capitale d'Été war in Baden-Baden bisher Ungekanntes gelungen: einen expliziten Bezug zur musikalischen Lokalgeschichte zu verbinden mit einer spannenden Erweiterung des Repertoires und dies noch präsentiert von exzellenten Musikerinnen und -musikern auf höchstem Niveau. Chapeau an die Leitung des Festspielhauses für diese Programmkonzeption.

 

 




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Ausführende

Chamber Orchestra of Europe
Dirigent:
Yannick Nézet-Séguin

Solisten: Beatrice Rana
und  Seong-Jin Cho, Klavier


Die  Programme

8. Juli 2022

Clara Wieck (verh. Schumann)
Klavierkonzert a-Moll op. 7

Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

Solistin: Beatrice Rana, Klavier


10. Juli 2022

Robert Schumann
Klavierkonzert a-Moll op. 54

Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73,
"Lichtentaler"

Solistin: Beatrice Rana, Klavier



15. Juli 2022

Johannes Brahms
Konzert für Klavier und Orchester
Nr. 1 d-Moll op. 15

Louise Farrenc
Sinfonie Nr. 3 g-Moll op. 36

Solist: Seong-Jin Cho, Klavier



17.Juli 2022
Johannes Brahms
Konzert für Klavier und Orchester
Nr. 2 B-Dur op. 83

Louise Farrenc
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 35

Solist: Seong-Jin Cho, Klavie



Weitere Informationen
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