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Von Zwängen befreitVon Thomas Molke / Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse) Dass die Corona-Pandemie noch immer unser Leben bestimmt, mussten in diesem Sommer auch die Tiroler Festspiele in Erl schmerzlich feststellen. Am Tag der Premiere von Rossinis Bianca e Falliero musste die Aufführung kurzfristig abgesagt werden, da eine zentrale Partie erkrankt war, die sich nicht ersetzen ließ. So bot man dem Publikum als Ersatz in einem Konzert unter anderem Auszüge aus der Oper an und stellte den Spielbetrieb des diesjährigen Festivals leicht um. Ausfallen lassen wollte man die Produktion nämlich nicht, und so wurden kurzerhand zwei Ersatztermine organisiert. Da ein Teil des Publikums allerdings von weit her zu den Festspielen anreist, konnten natürlich nicht alle diese neuen Termine wahrnehmen, so dass leider bei der neuen Dernière am 28. Juli 2022 ein paar Plätze frei bleiben mussten. Wer aber flexibel genug war, konnte nun auch in Erl Rossinis selten gespielte Oper in einer Produktion erleben, die bereits im Februar in Frankfurt Premiere feierte. Das Stück markiert in doppelter Hinsicht einen Einschnitt im Opernschaffen des Schwans von Pesaro. Zum einen war es die letzte Oper, die er für Mailand komponierte, zum anderen stellte es die fünfte Oper innerhalb nur eines Jahres dar, die Rossini herausbrachte, bevor er sich in den Folgejahren für seine Opern mehr Zeit zum Komponieren ließ. Die Uraufführung am 26. Dezember 1819 war zwar gemäß Presseberichten nur mäßig aufgenommen wurden, aber es sollten dennoch 39 weitere Vorstellungen in dieser Spielzeit folgen, was für einen großen Erfolg sprach. Auch in den folgenden Jahren wurde die Oper an zahlreichen Bühnen in Italien, Spanien und Portugal übernommen. Seit der Wiederentdeckung des Werkes beim Rossini Opera Festival in Pesaro 1986 mit Katia Ricciarelli als Bianca und Marilyn Horne als Falliero konnte sich das Werk allerdings nicht auf den Spielplänen etablieren, so dass es nur wenige weitere Produktionen wie beispielsweise 1987 in Miami, 2005 wieder in Pesaro und 2015 in Bad Wildbad gab, bevor der künstlerische Leiter Bernd Loebe das Stück in diesem Jahr in Frankfurt und in Erl auf den Spielplan gestellt hat. Falliero (Maria Ostroukhova, Mitte) kehrt als ruhmreicher Held nach Venedig zurück (auf der linken Seite: Capellio (Giovanni Batista Parodi) und der Doge (Božidar Smiljanić), auf der rechten Seite: Contareno (Theo Lebow) mit Carlos Cárdenas, dahinter Chor). Die Handlung spielt im Venedig des 17. Jahrhunderts. Die beiden Senatoren Contareno und Capellio befinden sich in einem Erbstreit, für den eine Lösung in Sicht zu sein scheint, da sich Capellio in Contarenos Tochter Bianca verliebt hat und bereit ist, auf seine Ansprüche zu verzichten, wenn er Bianca dafür zur Frau erhält. Bianca liebt hingegen den venezianischen General Falliero, der gerade siegreich aus dem Kampf gegen die spanischen Verschwörer zurückgekehrt ist. Contareno bedeutet die Beilegung der Familienfehde mehr als das Glück seiner Tochter oder der Ruhm ihres mittellosen Geliebten, und so verbietet er ihr den Umgang mit Falliero. An ihre Pflichten als Tochter gemahnend will er sie zwingen, Capellio zu heiraten. Als der Vertrag unterschrieben werden soll, platzt Falliero herein und bezichtigt Bianca der Untreue. Die Hochzeit wird verschoben, und es kommt zu einem weiteren heimlichen Treffen zwischen Falliero und Bianca, bei dem Falliero allerdings in die spanische Botschaft fliehen muss und als Verräter festgenommen wird. Als Contareno ihn deshalb zum Tode verurteilen will, tritt Bianca vor Gericht als Zeugin auf, gesteht ihre Mitschuld am Aufenthalt des Geliebten in der spanischen Botschaft und bittet um Gnade. Capellio, der erkennt, dass Biancas Herz ihm niemals gehören wird, stimmt gegen eine Verurteilung und übergibt Falliero dem Senat, um ein Urteil zu fällen. Auch der Senat befindet Falliero für unschuldig und gibt Bianca in seine Obhut. Durch Capellios Fürsprache beugt sich schließlich auch Contareno diesem Urteil und gibt seine Tochter für Falliero frei. Bianca (Heather Phillips) zwischen Contareno (Theo Lebow, links), Falliero (Maria Ostroukhova, Mitte) und Capellio (Giovanni Batista Parodi) Das Regie-Team um Tilmann Köhler konzentriert sich auf die vier Hauptakteure des Stückes und den Chor als Volk und streicht beispielsweise die Partie der Amme Costanza, die Bianca und Falliero bei ihrer heimlichen Liebe zur Seite steht. Das Bühnenbild von Karoly Risz ist recht abstrakt gehalten und besteht aus mehreren kahlen halbrunden Wänden, die als eine Art Mauern in zwei Kreisen geführt werden und damit die Bühne beherrschen. Sie isolieren einerseits die Figuren von der Außenwelt und dienen als Schutz gegen das Fremde, wirken andererseits aber auch wie eine Art Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Während der Ouvertüre versucht Bianca beispielsweise eine halbrunde Wand beiseite zu schieben, und muss erkennen, dass sich hinter dieser Wand eine weitere Wand als Hindernis befindet. Die Wände dienen auch als Projektionsfläche, die einen Einblick in Biancas Innenleben gewähren. So sieht man sie in eindrucksvollen Videoprojektionen von Bibi Abel in Großaufnahme auf diesen Wänden. Der tiefere Sinn dieser Innenschau erschließt sich allerdings nicht. So lenkt es beispielsweise im Quartett im zweiten Akt, wenn Bianca, Falliero, Contareno und Capellio in kontemplativem Tonfall ihren Gedanken nachgehen, von der inneren Spannung ab, wenn Bianca in der Projektion wild ihre langen blonden Haare schüttelt. Auch im Duett zwischen Bianca und Falliero wird nicht klar, wieso sie sich in der Videoprojektion von weißen Rosenblättern im Gesicht befreit und dann der Film rückwärts läuft, so dass ihr Gesicht wieder mit Rosenblättern bedeckt wird. Auch fragt man sich, wieso sie in der Projektion den Revolver aufisst, mit dem Falliero sich selbst und sie ständig bedroht, um sich ihrer Treue und Liebe zu versichern. Contareno (Theo Lebow, links) will Bianca (Heather Phillips) zwingen, Capellio (Giovanni Batista Parodi, rechts) zu heiraten. Die Kostüme von Susanne Uhl sind modern und zeitlos gehalten. Nur bei der Gerichtsverhandlung treten Contareno, Capellio und Priuli, der Doge, mit roten Kutten auf. Die drei Säulensegmente, die sie als Stühle für die Verhandlung benutzen, werden anschließend zu einer Säule geformt, die an die runden Wände erinnert, die die Bühne einschließen. Bianca wirkt in ihrem blassen Kleid zunächst recht farblos, was ihre anfängliche Schwäche unterstreicht, da sie zunächst nicht imstande ist, sich gegen die Forderungen ihres Vaters durchzusetzen. Erst als sie vor Gericht als Zeugin auftritt, trägt sie dunkle Hosen und erscheint wesentlich kämpferischer und selbstbewusster. Nun gelingt es ihr auch, das Blatt zu wenden. Sie legt ihrem Vater am Ende die Kette an, an der er sie zeit ihres Lebens geführt hat und verbindet ihn mit Falliero, der ihr bis jetzt auch kaum Luft zum Atmen gelassen hat. Gemeinsam mit Capellio im Hintergrund posieren die drei Männer für die neu gewonnene Einigkeit, während der Chor jubelt und die Wände sich vor dieser Szene hinter Bianca schließen. Hat sie sich nun endgültig befreit? Während dieser Ansatz von Köhler relativ stringent verfolgt wird, werfen andere Einfälle der Personenregie Fragen auf. So wirkt es albern, Contareno und Capellio bei den schmissigen Ensembles tanzen zu lassen. Auch Biancas Umgang mit ihrem despotischen Vater ist in Köhlers Sicht bereits recht rabiat, bevor sie sich eigentlich von ihm befreit hat, was eigentlich nicht zur Personenkonstellation in der Mitte des zweiten Aktes passt. Bianca (Heather Phillips) und Falliero (Maria Ostroukhova) Musiziert wird wie bereits in Frankfurt in nahezu gleicher Besetzung auf hohem Niveau. Heather Phillips gestaltet die Partie der Bianca mit großer Dramatik und sauberen Koloraturen. Während sie in ihrer ersten Kavatine, wenn sie sehnsüchtig auf die Rückkehr Fallieros wartet, noch wie ein naives kleines Mädchen wirkt, was Phillips stimmlich und optisch glaubhaft zum Ausdruck bringt, vollzieht sie darstellerisch überzeugend die Entwicklung zur kämpferischen Frau, die ihren Geliebten Falliero vor der Verurteilung rettet. Im finalen Rondo "Deh respirar lasciatemi" dreht sie mit beweglichen Läufen noch einmal so richtig auf, wenn sie ihr Glück darüber besingt, dass ihr Vater nun einer Hochzeit mit Falliero nicht mehr im Weg stehen wird und Capellio bereit ist, auf sie zu verzichten. Dass diese Melodie relativ bekannt ist, liegt daran, dass Rossini sie bereits für Elenas Rondo "Tanti affetti in tal momento" in La donna del lago verwendet hat. Maria Ostroukhova, die die Partie des Falliero in Frankfurt alternierend mit Beth Taylor gesungen hat, punktet in der Hosenrolle mit einer dunkel gefärbten Mittellage und großartigen dramatischen Ausbrüchen mit großer Flexibilität in den Koloraturen. In der Auftrittskavatine zeichnet sie mit beweglichen Läufen den siegreichen Feldherrn als selbstbewussten jungen Mann und vollzieht einen glaubhaften Wandel zum gefallenen Helden, wenn Falliero glaubt, die geliebte Bianca verloren zu haben. Bewegend gestaltet Ostroukhova die große Arie im zweiten Akt, in der Falliero sich selbst aufgegeben hat, mit flexiblen, atemberaubend schnellen und sauber angesetzten Koloraturen. Auch im Duett mit Phillips harmoniert Ostroukhova stimmlich, macht aber deutlich, dass dieser Falliero Bianca ähnlich unter Druck setzt wie ihr Vater Contareno.
Theo Lebow gestaltet die Partie des recht unsympathischen Contareno mit leicht
scharfem Tenor, was der Rolle durchaus gerecht wird. In den extremen Höhen muss
Lebow allerdings ein wenig forcieren. Giovanni Batista Parodi hat als Capellio
zwar keine eigene Arie, stattet die Partie jedoch mit einem profunden Bass aus
und weiß in den Ensembles und im Quartett zu überzeugen, das stimmlich und
musikalisch einen weiteren Glanzpunkt der Oper markiert. Auch die beiden
kleineren Partien sind mit Božidar Smiljanić als Doge und Carlos
Cárdenas in mehreren Rollen gut besetzt. Der von Olga Yanum einstudierte Chor der
Tiroler Festspiele Erl lässt stimmlich ebenfalls keine Wünsche offen. Simone Di
Felice führt das Orchester der Tiroler Festspiele Erl mit leichter Hand durch
den prickelnden Rossini-Sound, so dass es für alle Beteiligten großen und
verdienten Beifall gibt.
FAZIT
Musikalisch und stimmlich hat die Aufführung ihre Meriten und belegt, dass das
Stück durchaus einen Platz im Repertoire verdient hätte.
Weitere Rezensionen zu den Tiroler
Festspielen Sommer 2022 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungSimone Di Felice Regie Bühnenbild Kostüme Licht Video Chor Dramaturgie
Orchester und Chor der Tiroler Festspiele Erl
Solistinnen und SolistenBianca
Falliero Contareno
Capellio
Priuli, Doge von Venedig
Ein Kanzler / Ein Offizier / Ein
Gerichtsdiener
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- Fine -