Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Ruhrtriennale 2021-2023 E-mail Impressum



Haus

Eine musiktheatrale Raumperformance von Sarah Nemtsov, Heinrich Horwitz und Rosa Wernecke

Instrumentalzyklus HAUS (2012 - 2022) von Sarah Nemtsov
Text (Prolog) von Heinrich Horwitz

Prolog in deutscher und englischer Sprache

Dauer: ca. 1h 50' (keine Pause)

Eine Produktion der Ruhrtriennale
Premiere am 31. August 2022 in der Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum
(rezensierte Aufführung: 01. September 2022)

Logo: Ruhrtriennale 2021

Mein Haus, mein Körper, trasitionierend

von Stefan Schmöe / Fotos © Katrin Ribbe / Ruhrtriennale 2022

Jedes Haus hat seine eigene Geschichte. Eine Plattitüde, gewiss, aber natürlich auch richtig für ein so sonderbares Haus wie die Turbinenhalle hinter der Bochumer Jahrhunderthalle, ein Anhängsel, 1895 erbaut und schon 1909 wieder stillgelegt, dann erneut von 1917 bis 1968 im Betrieb - zwei Turbinen sind erhalten geblieben und stehen dort rostend als Skulpturen einer vergangenen Industriezeit herum. Inzwischen ist das Gebäude, ziemlich schmucklos im Vergleich zur Jahrhunderthalle, umgewandelt in einen Kulturraum. Sagen wir besser: Transformiert, das klingt irgendwie trendiger und erlaubt ungleich mehr Assoziationsketten. "Dies ist ein Haus. Das Haus ist ein Körper. […] Unser Körper. Unser transformierender Körper.", heißt es im von Heinrich Horwitz verfassten Prolog. Und Chefdramaturgin Johanna Danhäuser führt den Gedanken vollmundig im Programmheft weiter: "Das Haus als *trans Körper anzuerkennen, bedeutet nicht nur, sich von der patriarchalen Domäne der Heteronormativität zu lösen, um queere Formen raumgreifen zu lassen. Es bedeutet auch, auf das Eigenleben des Raumes zu vertrauen, sich seiner Vergangenheit und seinen Geistern zu stellen, um Zukunft imaginieren zu können." Solche Dramaturgenlogik bedarf üblicherweise keiner weitergehenden Begründung, und so schwimmt die Ruhrtriennale obenauf der queeren Zeitgeistwelle. Was ja für Kunst, die Stellung beziehen möchte, erst einmal nicht falsch ist. Nur ist die Substanz des Abends gerade in dieser Hinsicht ziemlich dünn.

Vergrößerung in neuem Fenster

Weil das Format des Abends erklärungsbedürftig ist, steht am Anfang, man wartet bei zum Glück schönem Wetter vor der Halle, eine Art Gebrauchsanweisung für die Performance. Das Publikum quasi kindgerecht an die Hand zu nehmen, hat freilich etwas reichlich Verkrampftes, dazu beinahe Anachronistisches. Zunächst hört man also vor der Halle den Prolog-Text an, von zwei Performer*innen in deutscher und englischer Sprache vorgetragen, , eine Art poetische Kurzvorlesung unter freiem Himmel, in der die oben geschilderte queere Konnotation aufgeworfen wird. Dann wird man hineingeleitet, darf sich aber eine halbe Stunde lang nicht setzen, sondern schlendert herum und lässt Raum und Musik auf sich wirken. Die Zuschauertribüne ist mit einem leichten weißen Tuch bedeckt, das schließlich unter mystischer Beleuchtung weggezogen wird - wobei ausgerechnet dieser ziemlich wirkungsvolle theatralische Effekt, in dem sich erlebbar eine Transformation des Raumes vollzieht, konzentrierter inszeniert sein dürfte. Dann sitzt man eine ganze Zeit lang in ganz konventioneller Manier (freie Platzwahl, aber es gibt viel mehr Plätze als Besucher), bevor man zum Finale wieder hinausgeführt wird.

Vergrößerung in neuem Fenster

Die Musik stammt von Sarah Nemtsov, geboren 1980 in Oldenburg: Der Instrumentalzyklus HAUS, komponiert zwischen 2012 und 2022, für Flöte, Klarinette (beides in verschiedenen, oft tiefen Lagen), Harfe (präpariert), Perkussion und Synthesizer sowie Elektronik. Die einzelnen Stücke tragen Bezeichnungen wie Keller, Tür, Zimmer I - II oder Halle, das letzte zusammenfassend Haus. Nemtsov gestaltet oft flächenhafte, verfremdete Klänge, aus denen sich rhythmische Strukturen herausbilden. Manchmal meint man, historische Musik zu erahnen, gleichwohl gibt es selten "melodische" Elemente. Im ersten Teil, während man herumgeht, wird der Raum dadurch zum Klang-Raum, und das ist der Abschnitt, der die Turbinenhalle am stärksten zum Teil der Performance macht. Man kann den Klängen nachgehen (was nichts bringt, da diese elektronisch verstärkt werden und wenig Rückschlüsse auf ihren Entstehungsort zulassen), den Performer*innen zuschauen. Die eigentliche Struktur der Komposition spielt kaum eine Rolle, die einzelnen Werke sind nicht einmal voneinander zu trennen - was man als Ausprägung eines "rhizomorphen" Konzepts verstehen kann, was aber auch zu einer gewissen Beliebigkeit und Austauschbarkeit führt. Es gibt auch Videos (Rosa Wernecke): Eine Hand, die über das Tuch auf der Tribüne streicht; im kleinen Nebenraum Löcher in der Wand, die aufreißen. Was man nur sieht, wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort wandelt. Aber diese Bilder sind nicht stark genug, um der Performance eine eigene Ebene ein zuziehen, sie verlieren sich in der Architektur.

Vergrößerung in neuem Fenster

Wenn man dann auf die Tribüne und zum Sitzen gebeten wird und zum passiven Rezipienten in konventioneller Manier transformiert, verliert das Konzept zunächst an Wirkung, zumal die szenischen Aktionen auf der Fläche davor, die zur Bühne wird, denkbar dürr sind. Die Performer*innen, mit Knieschonern ausgestattet, werfen sich auf den Boden, und man denkt: ihre Kernkompetenzen liegen wohl doch eher bei ihren Instrumenten als bei solch' entbehrlichen Darbietungen. Die Kostüme, graublaue Anzüge mit aufgedruckten Mustern, dem Programmblatt nach Wärmebilder, verleihen etwas Androgynes, und in den Farben mag man den Regenbogen erkennen - darin erschöpft sich dann aber auch die erkennbar queere Komponente (später wird Perkussionist Jonathan Shapiro die Aufführung mehr und mehr an sich reißen und allen queeren Überbau vergessen lassen). Ein Tuch quillt aus einer Turbine wie ein Wasserfall, und das Video dazu suggeriert Teich, vielleicht Sterne - hart am Kitsch. Es fällt schwer, sich auf die subtile Musik Nemtsovs, die sich wie ein Soundtrack über die Halle und das minimalistische Geschehen legt, zu konzentrieren. In dieser Phase zieht sich das Stück recht zäh dahin.

Vergrößerung in neuem Fenster

Das ändert sich, wenn die Musiker*innen sich ganz klassisch vor der Tribüne platzieren, man plötzlich reale Menschen an ihren Instrumenten nicht nur hört, sondern auch sieht. Plötzlich wird greifbar, was vorher gefehlt hat: Interaktion, ein aufeinander Eingehen, die Notwendigkeit eines Musizierens aus dem Moment heraus. Da ist das hetero- wie queernormative , auch das architektonische Drumherum beinahe vergessen, man kann sich das Zusammenspiel genauso gut etwa im alten Sendesaal des WDR am Kölner Walraffplatz vorstellen. Es erklingt ganz elementar Musik, die lebt und fesselt und keinen Überbau braucht. Susanne Peters (Flöten) und Laurent Bruttin (Klarinetten) spielen ganz ausgezeichnet, ebenso Valeria Kafelnikov (Harfe) mit den wirkungsvolleren Aufgaben, Sebastian Berweck (Synthesizer und Elektronik) ist in seinem Part schwer greifbar. Der großartige Jonathan Shapiro (Perkussion) sticht sie nach und nach alle aus, schon lautstärkemäßig. Er beschließt die Performance draußen (dort, wo ein Stück der Halle abgerissen wurde, eine "Amputation" eines Gebäudeteils) mit drummed variation für, so die niedliche Bezeichnung, "kein Drumset und Kaosspad": Plastikeimer und Topf statt teurem Instrumentarium, elektronisch verfremdet durch das Kaoss Pad (ein gerät, bei dem Effekte über einen Touch Screen gesteuert werden). Rechts und links qualmt es mächtig, ein letzter verpuffender Bühneneffekt. Der Applaus gilt dann wohl doch mehr den Musiker*innen.

FAZIT

Das zu durchwandernde HAUS gibt sich ein bisschen wie eine ziemlich harmlose Geisterbahn mit Klangtapete, und fesseln kann die Performance erst dort, wo sie sich ganz konventionell auf die Musik und die Ausführenden konzentriert. Auf die Gefahr hin, dass Aktivisten diesem Fazit vehement widersprechen: Der queerphilosophie Überbau spielt keine direkte Rolle.




Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Regie, Raum
Heinrich Horwitz

Raum, Video, Licht
Rosa Wernecke

Kostüme
Magdalena Emmerig

Sound Design
Paul Jeukendrup

Dramaturgie
Johanna Danhauser



Performer*innen

Synthesizer, Elektronik
Sebastian Berweck

Klarinette
Laurent Bruttin

Harfe
Valeria Kafelnikov

Flöte
Susanne Peters

Perkussion
Jonathan Shapiro


weitere Berichte von der
Ruhrtriennale 2021 - 2023


Homepage
der Ruhrtriennale


Die Ruhrtriennale in unserem Archiv



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Ruhrtriennale 2021-2023 E-mail Impressum

© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -