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Osterfestspiele Baden-Baden 2024
Die Sinfoniekonzerte Aufführungen im Festspielhaus Baden-Baden am 24. und 25. März 2024 und am 1. April 2024 |
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Bruckner-Blöcke, Wagner-Ekstase und Sibelius-Melancholie Von Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus Drei Sinfoniekonzerte (davon zwei jeweils wiederholt), zwei Dirigenten und zwei Solisten - und wer alle drei Konzerte miterlebte, konnte tiefere Bezüge zwischen den Komponisten entdecken. Subkutane Linien ließen sich ziehen zwischen Beethoven, noch bis ins späte 19. Jahrhundert übermächtiger Urvater aller sinfonischen Musik, und Brahms, der sich in seiner Vierten Sinfonie endgültig vom Schatten dieses historischen Vorbilds gelöst hatte. Von ihm zu Bruckner, der dem Norddeutschen in herzlicher Abneigung verbunden war (was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte), ist es zeitlich gesehen nur ein kurzer, in der Auffassung, wie man Sinfonien komponierte, aber extrem weiter Weg. Auch Bruckner schätze Beethoven hoch, obwohl er sich diametral von dessen Prinzipien unterschied, stattdessen vergötterte er Wagner (der wiederum in Beethoven einen Heiligen sah) und setzte dem verehrten Meister im Adagio seiner Siebten ein klingendes Memento in hochgespannter Klanglichkeit. In den Ausschnitten aus Wagners Tannhäuser und Walküre kamen in konzertanter Aufführung dramatische Spannung und sinfonische Breitwandmalerei gleichermaßen zu ihrem Recht. Einzig Sibelius fällt ein wenig aus diesem Bezugsrahmen, außer man sähe in seinem irisierenden Klangspektrum und in seiner Hinwendung zur nationalromantischen Bewegung versteckte Anklänge an Wagner. Sein Versuch, mit Brahms in Kontakt zu treten, scheite. Sibelius blieb letztlich in Finnland ein Eremit, was die kompositorischen Strömungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts angeht. Jan Lisiecki und die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Tugan Sokhiev Im ersten Konzert begeisterte Jan Lisiecki als Solist in Beethovens 3. Klavierkonzert. Unmissverständlich selbstbewusst gestaltete er nach der ausgedehnten Orchesterexposition seinen Soloauftritt, energisch im Hauptthema, lyrisch empfunden im Seitenthema, perlend die Sechszehntelketten, duftig und leicht wie von Mozart her gedacht. Mit Schwung und ausdrucksvoller Rhetorik in den Dialogen mit dem Orchester ging es in die Durchführung. Lebhaft und höchst differenziert in Dynamik und Ausdruck phrasierte Lisiecki die Kadenz. In purer Klangschönheit mit herrlichen Farben der Holzbläsersoli und den sanft gebundenen Sextolen im Klavier breitete sich im Largo seelenvolle Ruhe aus. Vorwärtsdrängend und energetisch kraftvoll zielten Klavier und Orchester im Rondo auf die effektvolle Schlussstretta hin. Mit Chopins Regentropfen-Prelude als Zugabe beruhigte Jan Lisiecki die Beethoven-Erregung wieder und brachte mit ausgeprägt feinem Anschlag das Klavier zum Singen. In mächtigen Blöcken dazwischen mit markanten Generalpausen gestaltete Tugan Sokiev Bruckners Siebte Symphonie, König Ludwig dem Zweiten von Bayern "in tiefster Ehrfurcht" gewidmet und im Gedenken an den Tod Richard Wagners komponiert. Es war vor allem der 2. Satz, das "Adagio. Sehr feierlich und sehr langsam", in welchem der Trauerschmerz des Komponisten hörbar wurde, wo vor allem die sog. Wagnertuben im Zusammenklang mit den Hörnern exponiert diesen Trauergestus einnahmen, wovon sich wiederum das zweite Thema, ein inniger Wechselgesang der Violinen und Violoncelli wie tröstend dagegen abhob. Sehr deutlich stellte Sokhiev beide Empfindungen wie Strophen eines Satzes einander gegenüber, bis der Satz mit einem mächtigen Beckenschlag in gewaltiger Klangballung kulminierte und mehr und mehr sanft verlosch. Kräftige Rhythmik zeichnete das Scherzo aus mit geheimnisvollen Schattierungen im Trio. Schließlich das Finale im passenden Tempo "bewegt, doch nicht zu schnell": Es bekam rhythmisch deutliche Kontur bis zum gewaltigen Schlussfortissimo. Das Dirigat Tugan Sokhievs allerdings wirkte sonderbar. Extrem detailversessen, fast pedantisch und mit heftigem Körpereinsatz war seine Zeichengebung. Dennoch: Das Orchester ließ sich von solcher Hektik nicht beirren: Die Philharmoniker spielten grandios und enorm feinfühlig für die wechselnden Stimmungen. Wagner-Gala: von links: Vida Miknevičiūtė, Klaus-Florian Vogt, Kirill Petrenko und Kwangchul Youn mit den Berliner Philharmonikern Das Programm ihrer Wagner-Gala hatten Kirill Petrenko und die Philharmoniker bereits an Silvester in Berlin gespielt. Dennoch war das Konzert bei den Osterfestspielen mehr als eine Zweitverwertung, denn außer Vida Miknevičiūtė als Sieglinde im ersten Walküre-Akt standen auf der Bühne in Baden-Baden andere Sänger als in Berlin: als Siegmund Klaus Florian Vogt und Kwangchul Youn als Hunding. Beide Herren konnten leider in Baden-Baden nicht voll überzeugen, selbst wenn man berücksichtigt und wertschätzt, dass Vogt kurzfristig eingesprungen war und daher wirkte, als ginge er an diesem Abend nicht ganz in der Rolle auf: Sehr schön gelangen die lyrischen Stellen ("Winterstürme"), aber im dramatischen Ausdruck blieb er doch hinter den Erwartungen zurück. Kaum glaubhaft war die Existenznot, die Siegmund umtreibt, die Erzählung seiner Irrfahrt blieb spannungsarm. Aber dass er sehr gut bei Stimme war, bewies er in den ausgedehnten "Wälse"-Rufen. Die Litauerin Vida Miknevičiūtė dagegen beeindruckte als Sieglinde. Mit eher dunkel gefärbtem Sopran war sie bei bester Textverständlichkeit eine anrührende Sieglinde, einfühlsam im Erahnen von Siegmunds Identität, mit vokalem Glanz in der schwärmerischen Hinwendung zum wiedergefundenen Bruder und zum Geliebten. Kwangchul Youn, langjährig erfahren als Wagner-Bass, oblag hier die stimmlich undankbare Rolle des Hunding, die er mehr plakativ als sensibel gestaltete. Bereits in der ersten Konzerthälfte dirigierte Petrenko die Philharmoniker mit sicherem Gefühl für ausgeprägte Klangopulenz. In der Tannhäuser-Ouvertüre strahlten alle Farben, die in der Partitur stecken. Vom feierlich frommen Pilgerchormotiv der Eröffnung bis hin zur erotischen Extase des Bacchanals im Venusberg - die Strahlkraft des Orchesters war schier grenzenlos und die Steigerung überwältigend. Im ersten Walküre-Akt ließ Petrenko besonders in den Zwischenspielen dem erzählenden Orchester viel Raum zur Entfaltung. Gewaltig und orgiastisch war die Steigerung am Ende des Akts. Lisa Batiashvili beim Sibelius-Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Kirill Petrenko Auch bei Sibelius und Brahms stand der Chef an Pult. Dem Violinkonzert des Finnen entlockte er phänomenale Klangfarben, hier allerdings vorwiegend in dunklen Facetten. Wie eine düstere Saga wirkte der rhapsodische Charakter dieses Werks. Mit wundervoll schönem Ton und energischer Präsenz hielt die Solistin mit heftigen Ausbrüchen in höhere Regionen dagegen, als wolle sie mit schnellen Läufen den melancholischen Tiefen des Orchesters entkommen, leicht wie ein auffliegender Vogel und in den halsbrecherischen Kadenzen unerschrocken kraftvoll, mit großem Ton und in technischer Perfektion. Ungemein sanft begleitet von einem Kollegen-Quartett aus dem Orchester rundete Lisa Batiashvili mit der helltönenden Air aus Bachs dritter Orchestersuite ihren aufregenden Soloauftritt ab. Der Vierten von Brahms galt der fulminante Abschluss der diesjährigen Philharmoniker-Konzerte in Baden-Baden. Der große Bogen ebenso wie das ziselierte Detail - Petrenko gestaltete aufs Neue in bewundernswerter Klarheit. Fülle des Wohlklangs und magische Verführung, sei es mit Wagner oder mit Brahms. FAZIT Zahlreiche musikalische Glücksmomente bereiteten die Berliner Philharmoniker in diesem Jahr dem Baden-Badener Publikum. 2025 werden sie zum letzten Mal die Osterfestspiele bestreiten. |
Die Programme und Ausführenden24. März 2024 Ludwig van Beethoven Anton Bruckner Berliner Philharmoniker
25. März 2024 Wagner-Gala Die Walküre - 1. Aufzug Vida Miknevičiutė (Sieglinde)
1. April 2024 Jean Sibelius Johannes Brahms Lisa Batiashvili, Violine
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