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Musiktriennale Köln

Chicago Symphony Orchestra 3


Konzert am 8. Juni 1997

York Höller, AURA für Orchester (1990-91)
Jean Sibelius, Violinkonzert d-Moll op. 47 (1903/5)
Manuel de Falla, Nächte in spanischen Gärten (1911-15)

Maxim Vengerov, Violine
Chicago Symphony Orchestra
Placido Domingo, Dirigent
Daniel Barenboim, Dirigent und Klavier

Farbig und leidenschaftlich.
Romantische Impressionen vom Chicagoer Symphony Orchestra

Wenn Sie die kraftvolle und gleichzeitig stilisierte Leidenschaft der Romantik lieben, sollten Sie sich einmal das Chicagoer Symphony Orchestra anhören. Unter seinem Dirigenten Daniel Barenboim gehört es zu den besten Orchestern der Welt und glänzt mit einem eigenen Stil, weit entfernt vom perfektionistischen Streicher-Geglitzer vieler Mozart-Interpretationen und ebenso fern von behäbig bedeutungsschwerer romantischer Symphony-Soße.

‚Direkt', würde ich den Gesamtklang nennen, und ‚kraftvoll warm'; das CSO hat exzellente ‚principals', Stimmführer, und kann im (Klang)Raum eine packende Atmosphäre schaffen. Faszinierend, wie gut die Instrumentengruppen aufeinander eingespielt sind und wie jede dennoch ihre eigene Farbe bewahrt!

Ein Großteil dieser Qualitäten kann man Barenboims Arbeit zurechnen, doch er ist nur der bislang letzte einer Reihe renommiertester Dirigenten wie Rafael Kubelik, Fritz Reiner, Claudio Abbado, Georg Solti u. a. Typisch für Barenboim ist vielleicht, daß er sich sehr für die Erweiterung des Orchester-Repertoires in Bezug auf Musik des 20. Jahrhunderts einsetzt, und unter diesem Zeichen stand auch das Konzert am 8. Juni in der Philharmonie.

Die kurzfristige Programmänderung , statt des Lutoslawski-Konzertes de Fallas ‚Nächte in spanischen Gärten' zu spielen, auch noch mit Placido Domingo am Dirigentenpult, tat keinem weh außer vielleicht ein paar Spezialisten (wie meiner Wenigkeit), war doch die etwas modernere Richtung schon mit der europäischen Erstaufführung einer Komposition von York Höller abgedeckt.

‚AURA' von 1991 gehört jedoch zur ‚reinsten' (und besten) Neo-Spätromantik (man vergebe mir die Kategorisierung) unseres Jahrhunderts und knüpft stark an Orchesterkompositionen von Alban Berg oder Claude Debussy an. Schon die Instrumentierung mit viel Celesta, Glocken, Harfen, den hohen Lagen der Streicher, orgelhaften Syntheziser-Klängen und gefühlvollen Bläserkantilenen ließ die Musik des Impressionismus aufscheinen; dieser Eindruck wurde nur verstärkt durch spannungvoll geführte Crescendi und Decrescendi, kraftvolle Tutti-Effekte, romantische Register-Kontraste und Smorzandissimi - ein tolles Stück, das das ganze Können, die Bandbreite und Flexibilität der Chicagoer zeigte und erforderte. Die Geschichte, die das Programmheft über diese Komposition erzählte, von der tragischen Liebesaffaire des Dionysos mit der Nymphe Aura, war gar nicht nötig, um den Spannungsbogen zu erhalten.

Jean Sibelius beherrschte die Kunst der Orchestrierung ebenfalls mit Meisterschaft (so wie alle, die T.W. Adorno nicht leiden konnte - meine These). Hier fiel mir besonders auf, was ich oben ‚kraftvolle und stilisierte Leidenschaft der Romantik' genannt habe: dieses Hin- und Hergerissen-Sein zwischen der Wahrnehmung künstlerisch geordneter, traditionsbewußter Formgebung und dem Ertrinken in klanglichen Orgien. Wie geht es Ihnen, wenn Sie einen hingebungsvoll brillierenden, selbstvergessen unseren Beifall heischenden Virtuosen mit erstaunlicher Präzision und sicherem Gestaltungswillen erleben? Die reife Interpretation des dreiundzwanzigjährigen Maxim Vengerov erregte an diesem Abend den meisten Applaus und hätte auch Sie in ihren Bann gezogen.

Es war ein Abend der Stars: Barenboim setzte sich nach der Pause an den Flügel und überließ Placido Domingo das Pult - eine schon irgendwie besondere und ungewohnte Situation. Die Leistung der beiden Musiker ist sicherlich über jeden Zweifel erhaben, aber ich sehe Barenboim doch lieber am Dirigentenpult und Domingo als Sänger daneben stehen. Nichtsdestotrotz beobachtet man solchen Rollentausch natürlich mit Interesse.

De Fallas Musik entspricht ehrlich gesagt nicht ganz meinem persönlichen Geschmack, wahrscheinlich weil es mir manchmal zu betont ‚spanisch' bzw. ‚andalusisch' klingt, aber dieses folkloristische Flair hat auch viel Reizvolles. Eine der Zugaben des Abends, ‚Faruka' aus dem ‚Dreispitz' von de Falla, zehn Jahr vor Ravels Bolero komponiert, trieb den tänzerischen Charakter der Musik schließlich auf die Spitze und riß das Publikum zu Begeisterungstürmen hin.

Wie sagt man so schön: ein Abend der Superlative. Ein Konzert, daß den Beweis erbrachte, daß nicht alle Menschen rausgehen, wenn zeitgenössische Musik gespielt wird, sondern sogar äußerst zahlreich bleiben (die Philharmonie war wohl fast ausverkauft); denn auch moderne Musik hört man lieber von exzellenten Musikern gespielt. Das Chicago Symphony Orchestra brachte zudem einen Spaß am Musizieren mit, der in vielen musikverwaltenden deutschen Orchestern längst verloren gegangen ist.

Ein Dank den großzügigen Sponsoren, guess who: amerikanische Motoren und deutscher Stahl - so gehört sich das.

von Annette van Dyck

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