1. Konzert: Montag, 4. Mai 1998
Russisches Nationalorchester Ltg.: Mikhail Pletnev
Der Publikumsgunst nach zu urteilen, übertraf das zweite Konzert das vorherige. Euphorie pur nach dem 2. Klavierkonzert von Rachmaninow, dem 'Renner' unter seinen Klavierkonzerten. Vor allem der Solist Nikolai Lugansky wurde mit Bravos nur so eingedeckt. Es mag ungerecht sein, zwei Pianisten miteinander zuvergleichen, die von der Spieltechnik sowie vom Ausdruck unterschiedlicher nicht sein können als Lugansky und der Solist des ersten Abends Olli Mustonen. Dennoch 'brillierte', 'erstaunte' und 'überzeugte' Mustonen als Tasten'teufel' in seiner interpretatorischen Sicht auf Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini Op. 43 ein Stück weit mehr als Lugansky im 2. Klavierkonzert.
Vielleicht läßt sich die gegenteilige Publikumsgunst auf die hohe Popularität des Klavierkonzerts und auf 'klischeehafte' Vorstellungen zurückführen, die sich in der westlichen Welt über einen 'typisch' russischen Klang der russischen Musik eingebürgert haben. Nicht zuletzt amerikanische Orchester interpretieren Rachmaninow und Tschaikowsky gerne mit viel Phatos, extremer Dynamik und der Streicherklang wird nicht selten mit viel Vibrato dick unterfüttert, als sei allein dies der adäquate Ausdruck einer sog. 'russischen Seele'.
Der musikalische Ausdruck der Interpretationen entsprach im zweiten Konzert eher diesen Vorstellungen. Dabei blieb insbesondere die frühe Sinfonische Dichtung Der Fels Op. 7 von Rachmaninow sehr blaß. Man vermißte organische Steigerungen und Klangfarbenwechsel. Hier wurde Musik gearbeitet, nicht musiziert und so hörte es sich über weite Strecken auch an. Sichtbares Anzeichen war dabei auch das gegenüber dem ersten Abend ausschweifende Dirigat Pletnevs. Denn dieser überraschte im ersten Konzert mit einer überaus ruhigen Schlagtechnik, nur ganz wenigen, sparsamen aber stets äußerst präzisen Handzeichen. Fast hatte man das Gefühl, er hörte seinem Orchester beim Musizieren eher zu als daß er sie leitete. Auch die Steigerungen in der Fantasie-Ouvertüre 'Romeo und Julia' von Peter Tschaikowsky wurden nicht gestisch gefordert, sondern ergaben sich fast wie von selbst. Die sparsame Gestik ging jedoch nie auf Kosten der musikalischen Intensität. So konnte man einer musikalisch perfekten Interpretation dieser Ouvertüre beiwohnen, wie dann auch bei den Sinfonischen Tänzen Op. 45 von Rachmaninow. Man hatte immer den Eindruck, daß Mikhail Pletnev seine Musiker nie an die dynamischen Extremgrenzen gehen ließ.
Überhaupt gefiel das Orchester mit einem durchgängig homogenen Klangbild, technisch erwiesen sich die Instrumentalisten als phasenweise erschlagend brillant. Vor allem in den Sinfonischen Tänzen und bei der von Pletnev zusammengestellten Auswahl einzelner Nummern aus Prokofjews Ballettmusik Romeo und Julia konnte man sich in einem vielschichtigen Klangfarbenspektrum sonnen. So knüpften Dirigent und Orchester mit dieser Interpretation an ihre vom ersten Abend bekannte Musizierweise an.
Am Freitag, 8. Mai findet das letzte Konzert des Zyklus statt. Man darf gespannt sein, von welcher Seite sich das Orchester dann bei Strawinskys Feuervogel und im 3. Klavierkonzert von Rachmaninow präsentieren wird.