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Klassik-Rezensionen

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Sonntag, 12.12.1999, 20.00 Uhr, Philharmonie Köln
Große Violinenkonzerte des 20. Jahrhhunderts II


Sergej Prokofjew: Konzert für Violine und Orchester Nr.2 g-moll op.63
Dmitrij Schostakowitsch: Konzert für Violine und Orchester Nr.2 cis-moll op.129
Robert Schumann: Sinfonie Nr.3 Es-Dur op.97 "Rheinische Sinfonie"

Gidon Kremer, Violine

NDR-Sinfonieorchester
Christoph Eschenbach, Leitung



Der Geiger, der Dirigent und die Hörner

Von Oliver Kautny

Künstler wie Kremer sind rar. Wenn jemand nach einer vergleichbaren Persönlichkeit in der klassischen Musikszene fragen würde, müßte man lange - und wahrscheinlich vergeblich - nachdenken. Wann kommt es schon vor, daß sich universale Spieltechnik, musikalische und intellektuelle Potenz in einer Person derart vereinigen. Von seinem unermüdlichen Einsatz für Neue Musik und der Förderung junger Nachwuchstalente in seiner KREMERata Musica ganz zu schweigen. Und schließlich darf man auch seine profunde Reflexion über Musik nicht vergessen, wie etwa in Oase Lockenhaus (Residenzverlag: Wien 1996). Seit nunmehr drei Jahrzehnten beweist der Oistrach Meisterschüler aus Riga in unermüdlichen Konzerttourneen allerhöchste Interpretationskultur, von der man sich nun beim zweiten seiner drei Kölner Auftritte in dieser Saison wieder mal vergewissern konnte.

Was ihn meines Erachtens vom "gros" der Weltspitze abhebt, ist die ingeniöse Mischung aus strengem intellektuellem Formgefühl und musikalischer Sensibilität, für die dessen schier unglaubliche Technik nur eine "selbstverständliche" Voraussetzung ist.

Allein sein Einsatz zu Prokofjews Violinenkonzert war ein Ereignis, das Eschenbach derart feinfühlig im Pianissimo aufnahm, daß man für diesen Augenblick allein hätte dankbar sein können. Jedoch setzten die beiden damit schlicht und einfach Standards, die den gesamten Abend zum musikalischen Hochgenuß werden ließen.

Kremer löste in beiden Violinenkonzerten das ein, was Schiller Schönheit nennt. In ihr vereinigt sich Form und Sinnlichkeit in einer Balance, der Kremers Spiel ideal entsprach. Es schien, als oszilliere er stets zwischen intellektueller Formung und emotionaler Hingabe. Sein Ausdruck war nie Pathos und seine Gestaltung niemals blutleerer Selbstzweck. Und noch etwas Entscheidendes: sein Spiel suggeriert dem Hörer Notwendigkeit. Jenes Gefühl, der gerade gespielte Ton müsse genau so sein und nicht anders und fordere notwendig, zwingend den nächsten Ton nach sich usf. Vielleicht ist es ja genau das, was eine packende - ich will nicht sagen: große - Interpretation ausmacht.

In beiden Konzerten zeigte Kremer, wie flexibel seine Ausdrucksmöglichkeiten sind. Lebte Prokofjew von den endlosen Kantilenen und dem wunderbaren Dialogen mit dem kammermusikalisch disponierten Orchester, tauchte Kremer Schostakowitschs Konzert in eine kühle Welt der musikalischen Machinerie. Kremer zeigte dem Orchester die kalte Schulter und beharrte penetrant auf die Quart-Repetitionen, das einem nur so die Schauer über den Rücken liefen. Diese Welt aus Stein zehrte sich auf in dumpfen Registern, in langen Linien - vibratolos - gespenstisch fahl.
Das Horn bließ der gerade verblaßten Kadenz des zweiten Satzes noch eine Reminiszenz, als Kremer schließlich den Spuk beendete und sich im Wahnwitz des grotesken Finales als wahrer Berserker erwies. --
Jubelstürme zur Pause.

Das Übliche nach einer genialen ersten Hälfte: Man glaubt, es wäre besser Schluß. Weit gefehlt! Es kam noch besser.
Was Eschenbach und die NDR-Sinfoniker mit Schumanns Dritter veranstalteten, war sensationell und gesellte sich als Pendant zu Kremers Darbietungen wie "Eusebius" zu "Florestan" in den Davidsbündlertänzen.

Vielleicht mochte der eine oder andere im Auditorium zwischenzeitlich sich gefragt haben, ob es sich tatsächlich um ein gewöhnliches Konzert gehandelt haben mag. In der Tat war Eschenbachs genialisches Dirigat höchst unkonventionell und erinnerte allein optisch mitunter an eine szenische Darbietung, der die äußerliche Ähnlichkeit Eschenbachs mit Star Trek Commander Picard eine pikante Note gab.

Gerne hätte ich von dem Orchester 'in Aktion' eine Wärme-Kälte-Grafik erstellt. Will sagen: Schumann war Energie! Eschenbach-Picard stürmte das Podium und rieß fast noch im Gehen mit forderndem Gestus das Orchester in einen spielerischen Freudentaumel, der dem Klassiker fast ekstatische Kräfte entlockte. Wer das NDR-Sinfonieorchester unter dem erhabenen Günter Wand kannte, mußte an eine komplette Metamorphose glauben. So etwas Quirliges, Lebendiges, völlig Gelöstes habe ich kaum zuvor gehört. Und die Hörner! Die Hörner! Überhaupt die gesamten Blechbläser, die Eschenbach excellent in Szene setzte! Mit Claudia Strenkert (1. Solohorn) und ihrer Horngruppe darf sich das Orchester eines Kleinods glücklich schätzen.

Fazit: Ein Ausnahmekonzert.



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