Online Klassik - Rezensionen
Homepage zur&uumlck e-mail Impressum



4. Gastkonzert in der Stadthalle Wuppertal am Mittwoch, 11. Februar 1998

Camille Saint Saens: Cellokonzert Nr.1 a-moll
Peter I. Tschaikowsky Rokkoko-Variationen op. 33
Sofia Gubaidulina: Sonnengesang

Mstislav Rostropowitsch, Violoncello
Litauisches National Symphonic Orchestra
Juozas Domarkas, Leitung


Die zwei Gesichter des Meisters

Mstislaw Rostropowitsch wußte bei seinem Auftritt in Wuppertal nicht vollständig zu überzeugen

Von Tobias Burgsmüller

Nicht gerade leicht hat es der Rezensent, wenn er sich mit einer der "Lebenden Legenden" des Musiklebens auseinandersetzen muß. Doch genau ein solcher unangefochtener Ausnahmekünstler kam an diesem Mittwoch in die Wuppertaler Stadthalle: Mstislaw Rostropowitsch, derzeit wohl bedeutendster Cellist in den Konzertsälen dieser Welt. Unvoreingenommen kann der Kritiker kaum an ein solches Konzert herantreten, zu sehr ist auch er geblendet von der Aura des Ruhms und der künstlerischen Unantastbarkeit des allgemein anerkannten Genies. Was aber, wenn der Versuch einer objektiven Betrachtung auf einmal zu Tage führt, daß das Dargebotene so überwältigend nun gar nicht war ? Wenn dem Meister offensichtliche Patzer unterlaufen, im Zusammenspiel mit dem Orchester Mängel auftreten und die Vorstellung insgesamt nicht den in sie gesetzten Erwartungen von Weltklasse entspricht ? Darf der Rezensent es sich in diesem Fall erlauben, das musizierende Denkmal vom Sockel stoßen ? Oder sollte er doch lieber ehrfürchtig den Mantel des Schweigens über die ein oder andere empfundene Unzulänglichkeit ausbreiten ? Wir meinen, in aller Bescheidenheit, er hat das Recht und die Pflicht zu Ersterem und müssen somit kurz und knapp für den ersten Teil des Konzertes konstatieren: Solist und Orchester wurden den Ansprüchen nicht gerecht !

Camille Saint-Saens Cellokonzert Nr.1 a-moll und Peter Tschaikowskys Rokoko- Variationen op. 33 standen, nach diversen angekündigten und dann teilweise wieder zurückgenommenen Änderungen, letztendlich auf dem Programm des ersten Konzertteils. Gehen wir von der sicherlich zutreffen Annahme aus, daß diese beiden Stücke gemeinsam mit Dvoraks Cellokonzert die wohl am häufigsten gespielten Werke aus Rostropowitschs Repertoire sind, so darf man bei über 50-jähriger Konzerttätigkeit von wohl einigen Tausend (!) Aufführungen durch Rostropowitsch ausgehen. Und: Genau so klang es ! Zwar begeisterte der Cellist mit seinem gewohnt kraftvoll und gleichermaßen weichem Ton (eindrucksvoll: der ruhige Menuettartige Part des Saint Saens Konzertes), zwar imponierte er durch die Leichtigkeit, mit der er sein Instrument beherrschte (nicht zuletzt im rasenden Allegro Vivo der Rokkoko-Variationen) , und doch: der Funke der Freude am Spiel sprang nicht über, das Dargebotene wirkte eher wie eine lästige Pflichtübung denn begeistertes Musizieren. Sicher, die Grenzen zwischen spielerischer Leichtigkeit und Schludrigkeit sind nicht immer leicht zu ziehen, doch mancher Schnitzer, den Rostropowitsch sich sowohl in Bezug auf Intonation als auch im Zusammenspiel mit dem Orchester leistete, war mehr als eine musikalisch verzeihbare Lässigkeit und hätte manch ambitioniertem Jungmusiker die Aufnahme an eine Musikhochschule vermasselt. Das Orchester selber glänzte überwiegend durch Zurückhaltung. Damit übernahmen die Musiker sicherlich eine Rolle, die der in beiden Stücken hervorstechenden Position des Cellos angemessen war. Nichts desto Trotz hinterließen sie weitgehend einen blassen Eindruck und wußten den vom Solisten ausgestrahlten Mißmut nicht wettzumachen.

Wie schön also, daß der Abend auch noch einen zweite Programmteil hatte. Und der übertraf nun alle Erwartungen ! Geboten wurde der Sonnengesang der tatarischen Komponistin Sofia Gubaidulina, ein 1997 anläßlich des 70. Geburtstages Rostropowitschs komponiertes Werk für die gleichermaßen ungewöhnliche wie faszinierende Besetzung Violoncello, Schlagzeug und Kammerchor. Das religiös inspirierte Stück, das als Textvorlage den Sonnengesang des Franz von Assisi benutzt, überwältigt durch seine mitreißenden Klangeffekte beim Zusammenwirken der drei so unterschiedlichen Klangkörper. Bei allen drei Gruppen geht die Komponistin dabei über das Gewohnte hinaus. So interpretiert der Chor nicht nur den Text, sondern bekommt in gesummten, gehauchten, ja sogar geseufzten, häufig clusterartigen Passagen regelrecht instrumentalen Charakter. Das Schlagzeug überrascht neben konventionellen Platten- und Stabinstrumenten durch "singende" Weingläser. Und der Cellist darf sein Instrument außer mit seinem Bogen auch mit Schlagzeugschlegeln bearbeiten, darf mit einem Kontrabaßbogen dem Saitenhalter Töne entlocken, kann durch Hinunterstimmen der C-Saite das Tonsprektrum seines Instrumentes nach unten erweitern und darf zwischenzeitig sogar seinen Platz verlassen um im Herumgehen eine "singende Säge" (Flexaton) zu spielen. Auch das Bearbeiten einer großen Trommel bleibt ihm nicht vorenthalten. Trotz all dieser unkonventionellen Einfälle besticht das Stäck jedoch nicht durch Effekthascherei sondern durch die Ausstrahlung einer tiefen Ruhe und Ernsthaftigkeit.

Und wie anders wirkte der große Meister Rostropowitsch in diesem Teil des Konzertes. Mit Begeisterung, ja mit Hingabe wurde hier musiziert, es schien, als sitze ein anderer auf der Bühne als noch wenige Minuten vorher. Diesmal wurde abgewartet, bis sich die Unruhe im Saal gelegt hatte, anders als im ersten Teil, als gleichsam unbeteiligt von der Umwelt, mit dem Platznehmen das Hinunterspulen der Stücke gestartet wurde. Hier zeigte Rostropowitsch, daß er nicht nur ein sich in seinem Ruhm ausruhender, alt werdender Mann ist, sondern immer noch über die Fähigkeit verfügt, gleichsam eins mit seinem Instrument und der Musik zu werden. Alles in allem also eine Darbietung, die den ersten Teil vergessen machte und für die der Künstler vom vollbesetzten Saal gebührend mit Standing Ovations gefeiert wurde. Eine Darbietung auch, nach der nahezu jede mögliche Zugabe verblaßt wäre, weswegen Rostropowitsch konsequenterweise die B&uul;hne verließ, ohne noch mal zum Instrument gegriffen zu haben. Eine Darbietung letztlich, nach der das Denkmal wieder fest und unantastbar da stand, wo es hingehört: auf seinem Sockel.

impressum zur&uumlck e-mail Impressum
©1997 - Online Musik Magazin
http://www.bergnetz.de/omm
*****"