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Freitag, 29.9.2000, 20 Uhr
Historische Stadthalle Wuppertal
Gastspiel des Beethovenfestes Bonn in Wuppertal

Kurt Weill/Bert Brecht
Dreigroschenoper
Sieben Todsünden
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
(Auszüge)
HK Gruber
Frankenstein!! - Ein Pandämonium für Chansonnier und Orchester

MusikFabrik NRW
Alice und Ellen Kessler
HK Gruber (Dirigent und Chansonnier
Singer Pur

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann
HK Gruber und Kessler-Zwillinge beim Internationalen Beethovenfest Bonn 2000

Von Oliver Kautny



Brecht und Weill hatten es damals gut. In jener politisch zugegeben sehr unwirtlichen Zeit, da wußte man noch, was gut war und was schlecht. Und das macht Brechts und Weills musikalisch wie sprachlich atemberaubende Gesamtkunst derart sehnsüchtig verlockend. So traumwandlerisch sicher würde man heute gerne sein und den bösen (gelegentlich fälschlicherweise: schwarzen) Mann treffsicher benennen und wie Seeräuberjenny dann zum befreienden Schlag ausholen. Heute wissen wir zynisch aufgeklärt, daß die Dinge etwas komplizierter liegen, ahnen aber traurig zwischen den Zeilen, das eben doch etwas dran ist, an all der Kapitalismuskritik.

Im Rahmen des diesjährigen Internationalen Beethovenfests Bonn nahm sich der österreichische Dirigent, Komponist und Konzertorganisator HK Gruber dieser Thematik an und versammelte für sein Brecht-Weill-Programm ein reizvolles Ensemble.

Die Kessler-Zwillinge, die bei diesem Gastspiel des Festivals in der Historischen Stadthalle in Wuppertal zu hören waren, bildeten jedoch eine unrühmliche Ausnahme. Statt interpretatorischer Nuance spöttischer Kleinbürgerschelte wurde der Zuhörer durch überraschend nervöse Anspannung der beiden "grandes dames" in Atem gehalten. Derartige Mängel in den Auszügen der Dreigroschenoper konnte auch die fabulös aufspielende MusikFabrik NRW in keine befriedigende Balance bringen. Erfreulicher die Sieben Todsünden: Jener Abgesang auf die Ideale der jungen Anna auf der Suche nach künstlerischer Erfüllung, der aber statt der erträumten Freiheit im Kaberett nur der Zwang zur Anpassung bleibt. Die Zwickmühle ist fatal: Protestantisch-kapitalistischer Arbeitsethos einerseits, die Prinzipien der Unterhaltungsindustrie andererseits. Für ein "Haus in Louisiana" muß sie hungern, sich verkaufen, ihre Freiheit preisgeben.

Brillant, technisch einwandfrei und hochmusikalisch sekundierte die MusikFabrik. Enthusiastisch kommentierte das Orchester die Gesangspassagen, die vor allem im Männerquartett perfekt präsentiert wurden. Das junge Ensemble Singer Pur vertrat beißend spöttisch die moralische Position der Familie, die durch Brecht und Weill typisch verfremdet wurde: Die Mutter etwa sang im tiefsten Männerbaß von Geld und Fleiß für Haus und Heim. Daß aber auch dieses Werk "nur" gut interpretiert wurde, aber nicht völlig entfesselt, mag sicher an einem fatalen Manko gelegen haben. So sehr sich die Kessler-Zwillinge konzeptuell als perfekte Besetzung der verdoppelten Anna (I und II) erwiesen und sich stimmlich zusehends steigerten, so blieben sie in ihrer mangelnden Kommunikation mit den anderen Musikern ein Fremdkörper in einer hingebungsvoll musizierenden Umgebung.

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann - so schallte es in Kindertagen über den Schulhof. HK Gruber jedenfalls nicht. Denn der fühlte sich sichtbar wohl, als es zur zweiten Hälfte ins Gruselkabinett ging. Und zwar in eins aus Kinderreimen nach Hans Carl Artmann. Daß wir Kinderreime wieder schätzen, haben wir in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt Peter Rühmkopf zu verdanken, der uns im Credo der 68er wissen ließ, wie subversiv der Kindermund denn eigentlich sei. Das wußten auch Enzensberger, Grass und sicher auch der österreichische Dichter Artmann, dessen Dadaismus uns nicht nur etwas von kindlicher Alogik, sondern auch das Gruseln lehren konnte. "Frankenstein!!" heißt das Opus von HK Gruber, das Artmanns Kinderreime zu einer musikalisch-textlichen Fraktur verwebte - übrigens 1978 von Sir Simon Rattle uraufgeführt. HK Gruber findet darin die beste Antwort postmoderner Tage auf jene verflixte Komplexität der Dinge, die uns manchmal verzweifeln und uns nach Brecht und Weill sehnen läßt: Es ist das Spiel, das Wittgenstein beschwor und zeitalters den Kinder eigen ist. Hier spielen allerdings intertextuell die Erwachsenen mit den Kindern, manchen aus Kinderreimen klammheimlich Gruselstückchen: Der Bi Ba Butzemann mutiert in Frankensteins Gruselkabinett zum Mi Ma Monsterchen, und Robinson, Batman und Supermann begehen im harmlosen Schafspelz des Reim-dich-Schemas Mord und Totschlag.

Musikalisch setzt Gruber auf Klangspiel und reiche Farben. Als Chansonnier und Dirigent steht er einem großen Orchester vor, das die stilistische Farbpalette fröhlich nutzt. Allusionen an klassische Klänge, minimalistische Permutationen und dissonante Sonoristik brechen sich im frivolen Spiel mit Kinderinstrumenten. Der Österreicher singt, rezitiert, skandiert, dirigiert, setzt die Reime körperlich in Szene und verwandelt Klanggeschehen in musikalische Orgie. Unholden tropft das Blut vom Messer, Vampire und Werwölfe treiben ihr Unwesen. Und die Musik spielt auf zu diesem komisch schaurigen Reigen, auf den der Schatten barocker Totentänze fällt. Was Gryphius das Szenario aus Tod, Pest und Krieg war, das ist Artmann und Gruber das Panoptikum der Folterkammer und Horrorschau, das durch Tanz, Spiel und Reim verfremdet wird. Das Lachen bleibt einem in der Kehle stecken, weil alles Spiel die düstre Stimmung der Thematik nicht verdecken kann, wie Artmann an anderer Stelle über den "schwarzen Mann" bereits trefflich dichtete:

"o tod du schwarzer meister / erhöre uns / verschone uns / von deinen wunden särgen / zerbeiß uns nicht wie glas das hirn".


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