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17.-20.01.2002
Festspielhaus Baden - Baden

Ludwig van Beethoven
Sämtliche Sinfonien
- "Beethoven - Marathon"-

London Philharmonic Orchestra
Kassimira Stoyanova, Sopran
Caroline Masur, Mezzosopran
Stuart Neill, Tenor
Hanno Müller - Brachmann, Bass
SWR - Vokalensemble
WDR Rundfunkchor Köln

Leitung:
Sir Charles Mackerras (17.1.02)
Christoph Eschenbach

42,195 Kilometer Beethoven
Beethoven-Marathon mit dem London Philharmonic in Baden-Baden

Von Christoph Wurzel / Foto: Chris Graham



Der Legende nach lief nach der Schlacht bei Marathon ein Bote den 42,195 Kilometer langen Weg nach Athen zurück, verkündete dort den Sieg über den Feind und brach tot zusammen. Vom Festspielhaus Baden - Baden war die Aufführung aller neun Sinfonien an vier Tagen als "Beethoven Marathon" angekündigt worden. Der Rezensent, der diesen ungeheuren Konzertzyklus erlebt hat, kann den geneigten Leserinnen und Lesern verkünden, dass es ein großer Sieg des London Philharmonic Orchestra unter ihren Generalmusikdirektoren gewesen ist. Glücklicherweise ist auch niemand tot zusammengebrochen, sondern am Ende konnte ein enthusiasmiertes Publikum das Konzerthaus verlassen. Und erfüllt von den Klängen des Schlusschores der Neunten und den Worten Schillers ging es auch sicherlich nicht erschöpft seiner Wege, sondern feuertrunken und beseelt von solch musikalischen Idealismus.
Alles lief also viel seriöser ab, als der reißerische Titel vermuten lässt.

Diese zyklische Aufführung aller Sinfonien Beethovens erlaubte eine konzentrierte und äußerst spannende Reise durch den Kosmos des musikalischen Olympiers. Über mehrere Schaffensperioden hinweg erstreckt sich bekanntlich die Entstehung von Beethovens Sinfonien. Durch eine geschickte Kombination der Werke an den vier Tagen wurden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Beethovens sinfonischem Schaffen deutlich erfahrbar.

Zwei Dirigenten von recht unterschiedlichem Naturell waren die Werke anvertraut. Das Programm des ersten Abends umfasste die eher arkadisch - heiteren Sinfonien Nr. 1, 2 und Nr. 6, die Pastorale.
Mackerras betonte denn auch im besten Sinne die musikantische Seite der Musik. Leicht und duftig wurden die Allegri genommen. "Erwachen heiterer Empfindungen" schon nach den ersten Takten der ersten Sinfonie. Das Menuett in der Ersten, das eigentlich ein Scherzo ist, das Scherzo in der Zweiten und natürlich der 3. Satz der Pastorale, das "lustige Zusammensein der Landleute", kamen als verschwisterte Sätze daher, als ausgelassene bukolische Szenen in schönster Tonmalerei. Mackerras arbeitete den sprechenden Gestus der Musik aufs Feinste heraus und ließ besonders die solistischen Partien deutlich ausspielen.

Natürlich konnten besonders die Bläser ihre überragenden Qualitäten zeigen, als es im 2.Satz der Pastorale in der "Szene am Bach" um die Imagination der vollkommenen Idylle ging. Genüsslich konnte man seine Gedanken vom plätschernden Bach hinweg treiben lassen. In höchster Dramatik kam das Gewitter nieder, die Blitze zuckten naturalistisch in den Flöten und die Spannung entlud sich ergreifend im Hirtengesang des Finales. All dies musiziert in schönster Klangrede mit den Mitteln perfekter Orchesterkunst.

Mackerras hob schon in der Zweiten hervor, was dann in den Sinfonien der folgenden Abende der bestimmende Ton wurde, die bekenntnishaften Fanfaren, mit denen Beethoven besonders in der und der Fünften, aber auch in der Vierten zu fesseln vermag.

Christoph Eschenbach Jetzt hatte Christoph Eschenbach die Stabführung übernommen, und er legte den Schwerpunkt der Interpretation auf eine messerscharf intellektuelle Durchdringung der Strukturen der beethovenschen Sinfonik.
Körperlich sichtbar modellierte er jeden Ton, jeden Takt plastisch heraus.

Zuerst die Vierte, deren Bedeutung oft unterschätzt wird. Eschenbach zeigte, dass sie - entgegen dem Vorurteil gegenüber Beethovens geraden Sinfonien - durchaus kein Leichtgewicht ist.
Die Entfaltung der Motivik erwächst aus einer Art "Ursuppe" heraus. Diesen tastenden, harmonisch und rhythmisch meist noch unentschiedenen Anfängen der meisten Sinfonien Beethovens, widmete sich Eschenbach mit dem Orchester in ungewöhnlich aufmerksamer Weise, so dass der Fortgang der musikalischen Entwicklung umso zwingender wurde.
Überhaupt vermochte es der Dirigent, die Bauteile der Architektur in den einzelnen Sinfonien aufs Deutlichste zu erhellen. Der dramatische Bogen wurde überzeugend gespannt. In den in Tempo und Kraft zurückgenommenen Übergängen war eine Entspannung möglich, um dann umso dramatischer zum nächsten Themenkomplex überzugehen.
Beispielhaft gelang dies in dem berühmten Übergang von der Durchführung zur Reprise im 1. Satz der 5. Sinfonie, einem einzigen Adagio-Takt, der hier vom Oboisten zu einer Elegie aus 10 Tönen kunstvoll gestaltet wurde. Das war nicht nur Beiwerk, sondern ein Drama im Drama.

Besonders im Trauermarsch der Eroica ließ Eschenbach dann die Dramatik sich aufs Schönste entfalten. Scheinbare Nebengedanken erhielten ihr Recht. In ungeheurem Crescendo wuchs die Spannung, bis gegen Schluss des Satzes der Schrecken des "Dies Irae" sich auftürmte und ein kurzer Gedanke an Erlösung, schon an Fidelio erinnernd, aufblitzte. Hier konnte man in derartiger Weltverzweiflung schon die Tonsprache Gustav Mahlers erahnen. Das war atemberaubend!

In halsbrecherischem Tempo nahm Eschenbach die Finalsätze, in denen das ganze Orchester mit voller Wucht auftrumpfte, ohne irgendein Jota an Spielkultur vermissen zu lassen.

Wagner nannte die Siebte eine "Apotheose des Tanzes". Stark rhythmusbetont legte Eschenbach sie an, doch auch die melancholischen Seiten des Werks stellte er aus, vor allem im 2. Satz ließ er die schillernden Modulationen mit ihren vielfältigen Klangfarben erscheinen.

Der Abschluss und Höhepunkt dann in einer festlichen Matinee: zuerst die Achte und dann die Neunte.
So klar und scharfsinnig Eschenbach mit dem Orchester die musikalische Anatomie auch aus der achten Sinfonie heraussezierte, so fehlte es hier doch etwas an dem bissigen Sarkasmus, der besonders im Allegretto versteckt ist. Zu sehr setzte Eschebach auf die verspielte Seite und wollte diese Sinfonie vielleicht eher als den Auftakt zur Neunten verstanden wissen.

Und diese nahm das Publikum nochmals mit all den Qualitäten gefangen, die diesen Konzertzyklus bisher geprägt hatten:
äußerste Deutlichkeit in der Artikulation, höchste dramatische Entfaltung, genaueste Durchleuchtung der Strukturen, präzise kalkulierte Spannungsbögen, temperamentvollstes Spiel, kultivierteste Tongebung und höchste Wachsamkeit im Zusammenspiel.

Das Solistenensemble fügte sich bestens ein und ließ stimmlich nichts zu wünschen übrig. Die beiden Chöre waren zu einem homogenen Klangkörper zusammengewachsen und verhalfen Schillers Worten in Beethovens Musik zu größter Wirkung.

Das Festspielhaus in Baden - Baden konnte mit dieser Konzertreihe beweisen, dass es mit seinem Angebot zur Spitze der Konzerthäuser in Europa gehört.


(Eine Aufnahme der 8. und 9. Sinfonie wird zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt in SWR 2 gesendet werden)




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