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Veranstalter-Homepage 16. bis 20.05.2002
Festspielhaus Baden - Baden


Herbert von Karajan Pfingstfestspiele

Momente von hoher musikalischer Intensität

Von Christoph Wurzel / Foto: pr


Viel Beethoven, in zwei Konzerten Bruckner und Schubert, etwas Mozart und einmal Schumann. Dies war das Spektrum der diesjährigen Herbert von Karajan Pfingstfestspiele in Baden-Baden. Mit der Errichtung des Festspielhauses vor fünf Jahren waren sie von Salzburg nach Baden-Baden umgezogen, wo sie seitdem vor allem dem klassischen Repertoire gewidmet sind.

Es sind kaum gegensätzlichere Dirigentenpersönlichkeiten denkbar als Herbert von Karajan und Günter Wand. Und dennoch: Günter Wand wollte das Eröffnungskonzert der Pfingstfestspiele mit "seinem" NDR-Sinfonieorchester dirigieren, eine kleine Sensation angesichts seiner damals bereits geringen Reisetätigkeit. Doch sein plötzlicher Tod im Februar machte die Vorfreude des Baden-Badener Publikums jäh zunichte und sein zweiter Nachfolger als Chefdirigent dieses Orchesters, Christoph Eschenbach, sprang spontan in die Lücke und übernahm das Konzert nun mit verändertem Programm. Es enthielt zwei von Wands Lieblingswerken: Schuberts Unvollendete und Bruckners Neunte.

Kein Zweifel - Günter Wand hat Schuberts Unvollendete gelassener dirigiert. Doch wie sollte sich angesichts seines Todes Gelassenheit einstellen? Christoph Eschenbach betonte vom ersten Takt an denn auch die tiefgründige Traurigkeit, die im h-Moll von Schuberts Werk zum Ausdruck kommt.
Die düsteren Ausbrüche der Musik nahmen schmerzliche Gewalt an und die kantablen Stellen des 2. Satzes wirkten wie Ruhepunkte auf schon entrückten Höhen. Es gelang eine wirklich ergreifende Interpretation, würdig dem traurigen Anlass.

Auch die nachfolgende 9. Sinfonie von Bruckner war von hoher Expressivität geprägt. Die Kontraste von Kampf und Entspannung, von Bruckner hart zu divergierenden Blöcken gefügt, arbeite Eschenbach mit dem Orchester brillant heraus. Seine überaus deutliche, präzise Phrasierung stand völlig im Gegensatz zu Auffassungen, die Bruckner mit dem Weihrauchfass zu mystischen Klangwolken aufblasen, eine Auffassung, die Günter Wand besonders gehasst, und der er mit seinen Dirigaten immer heftig widersprochen hat. So war dieses Konzert in memoriam Günter Wand ganz sicher auch voll und ganz in dessen Sinn.

Mit gleich dreien seiner Werke war dann bereits im zweiten Konzert Ludwig van Beethoven zum Hauptkomponisten der Festspiele geworden. Das Russische Nationalorchester spielte unter Paavo Berglund, der in Baden-Baden vor zwei Jahren mit dem Chamber Orchestra of Europe einen wunderbaren Brahmszyklus musiziert hatte, der auch inzwischen auf CD veröffentlicht wurde.

Auch diesmal setzte der finnische Dirigent auf größte Transparenz des Orchesterklangs, was angesichts der großen Besetzung des Orchesters ( rund 60 Streicher bei allein 8 Kontrabässen) bewundernswert gelang. Im Finale, dem Allegro con brio von Beethovens 7. Sinfonie, zeigte sich dieser Apparat dann wirklich als homogener Klangkörper von beachtlicher Virtuosität.

Boris Berezovsky Der 33jährige Boris Berezovsky betonte als Solist im 4. Klavierkonzert vor allem die virtuosen Seiten, wenn die Linke schon mal zur Pranke mutierte, ansonsten wirkte er aber etwas distanziert. Das Orchester begleitete etwas zu solide, während es sich in der 3. Leonoren-Ouvertüre, einer Reminiszenz an die Fidelio Premiere vom Vortag, von seiner besten Seite gezeigt hatte.

In den Klavierrecitals der festtäglichen Matineen stellten sich drei sehr unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten vor, deren Programm ebenfalls weitgehend von Beethoven bestimmt war. Alle drei auch russischer Herkunft: Mikail Pletnev, Nikolai Lugansky und, für den erkrankten Arkadi Volodos eingesprungen, Elisabeth Leonskaja und alle drei auf ihre Weise auf allerhöchstem pianistischen Niveau. Es ergaben sich spannende Vergleiche zwischen sehr unterschiedlichen Auffassungen, zumal es der Zufall ergeben hatte, dass in zwei Programmen Beethovens "Appassionata" präsentiert wurde.

Elisabeth Leonskaja Schon in den ersten Takten von Schuberts erstem der drei Klavierstücke D. 946 fesselte Elisabeth Leonskaja mit ihrem ungeheuer emotionalen Spiel. Es war, als wollte sie mit den Stücken aus Schuberts letztem Lebensjahr verborgene Phantasien lebendig werden lassen, Szenen einer inneren Erlebniswelt von höchster Intensität und Dramatik.

Auch in ihrem Spiel der Appassionata evozierte sie den mitleidenden Affekt der Zuhörer aufs Äußerste.
In intensiver Detailarbeit stellte sie die innere Spannung des Seitenthemas im 1. Satz heraus. Das pochende Motiv im Bass entwickelte sie zu einem wahrlich bedrohlichen Ostinato, um nach den Turbulenzen am Ende der Durchführung den Satz furios zu beenden.>br> In schlichter Würde stellte sie den choralartigen Charakter des 2. Satzes vor, wählte einen schroffen Übergang zum Finalsatz und entwickelte ihn in großer Anspannung bis zum hochdramatischen Schluss.
Ein inneres Programm hatte Robert Schumann seiner fis-Moll-Sonate selbst gegeben, die er komponierte, nachdem ihm zum ersten Mal Clara Wieck begegnet war. Der Leidenschaftlichkeit seines Künstler-Ichs hat der 22jährige Komponist in den beiden "Davidsbündlern" Florestan und Eusebius Ausdruck verliehen, denen er diese Sonate Clara widmen ließ.
Elisabeth Leonskaja stürzte auch in der Interpretation dieses Werks die Zuhörer in heftige Gefühlswallungen, was sich das Publikum gebannt gefallen ließ.
Nicht um eine Spur verausgabt rundete die Pianistin mit zwei Impromptus von Schubert das Konzert virtuos ab.

Ganz anders war am Tag zuvor Mikail Pletnev an zwei frühe Sonaten Beethovens herangegangen. Sein Spiel zeichnete sich durch ein Höchstmaß an Innerlichkeit aus.
Der D-Dur Sonate Op. 10/3 nahm Pletnev jede mögliche Leichtigkeit und versenkte sich statt dessen nach dem ernsten Presto des Kopfsatzes in die schmerzlich depressive Stimmung des Largo, aus der er die Sonate auch in den folgenden Sätzen nicht mehr entfliehen ließ.

Mikail Pletnev Fast publikumsvergessen entfaltete er die Pathétique in einer ganz vergeistigten Sphäre ohne jedes Auftrumpfen und ohne Äußerlichkeit. Die Rhetorik der Sonatensätze Beethovens trat aufs Deutlichste hervor: das thematische Material wurde energisch vorangetrieben, die melodischen Bögen wunderbar entwickelt.
Dem schlichten Gesangsthema des 2. Satzes verlieh Pletnev durch ein sensibles Rubatospiel eine besonders aparte Gestalt.

Als dritten Programmpunkt hatte der Pianist ein selten gespieltes Werk gewählt, ein Klavierkonzert en miniature gleichsam, das Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott aus dem Jahre 1796. In diesem Werk zeigte sich Pletnev ein wenig mehr von seiner virtuosen Seite, ohne aber übermäßig zu dominieren, obwohl dies durch die Komposition durchaus gerechtfertigt gewesen wäre. Perfekt mischte sich das Klavier mit den schönen Bläserfarben, die die London Winds souverän ausbreiteten. Dennoch wurde der außergewöhnlich intime Charakter der ersten Konzerthälfte nicht mehr erreicht.

Der Dritte in diesem Dreigestirn war der erst dreißigjährige Nikolai Lugansky, der mit Werken von Mozart und Beethoven so etwas wie die Perfektion der klassischen Klavierkunst in Reinkultur darbot. Sein Spiel sparte die innere Spannung der Musik nicht aus, stellte aber deutlich und ohne extrovertierten Anflug allein die Formprinzipien der Werke heraus. So interpretierte er in klassisch ebenmäßigem Spiel, nicht ohne innere Beteiligung, aber ohne eigene Emotionen zur Schau zu stellen, die c- Moll-Fantasie KV 475 von Mozart.

Nikolai Lugansky Gleichsam auf einem goldenen Teller präsentierte er Mozarts letzte Klaviersonate KV 576 als Musterbeispiel seiner Sonatenkunst, als ein kontrapunktisch hochentwickeltes Motivgeflecht in elegant parlierendem Tonfall. Hier war es wirklich gelungen: das Einfache und Leichte, das schwer zu machen ist.

Zwei große Beethovensonaten hatte auch Lugansky ins Programm genommen, die Sturm-Sonate und die Appassionata. Auch hier zeigte sich in seinem Spiel die perfekte Synthese von virtuos makelloser Technik, glasklarer Strukturierung der Formbildungen und ausdrucksintensiver Gestaltung, ohne je aufdringlich zu werden.
Nicht zu Unrecht riss dieser Künstler sein Publikum zu den größten Beifallsstürmen hin.
In allen drei Recitals konnte man wirklich seltene Momente von höchster musikalischer Intensität erleben.

Die Bilanz der Pfingstfestspiele verzeichnet neben einem szenisch misslungenen Fidelio eine Reihe von Konzerten auf höchstem Niveau. Das einzige rein privat bewirtschaftete Konzert- und Opernhaus ist nach einer langen Zeit der finanziellen Unsicherheit auf dem Weg in die Konsolidierung und hat an Akzeptanz erheblich dazu gewonnen. Die Besucherzahlen waren im 5. Jahr erfreulich hoch.
Das Dilemma von Baden-Baden ist es, einerseits ein zahlreiches und auch zahlungskräftiges Publikum anlocken zu müssen, und andererseits eine zeitgemäße Musikkultur pflegen zu wollen. Dass dies nicht immer zusammen kommt, bewies leider ein ärgerlicher Fauxpas im Eröffnungskonzert, als ein - wenn auch kleiner - Teil des Publikums im 4. Satz von Bruckners Neunter in der Generalpause nach dem dissonanten schmerzerfüllten fff -Ausbruch des Orchesters munter zu klatschen anfing, als sei das Stück hier zuende und - nicht genug damit - später mit dem Beifall nicht warten konnte, bis die letzten leisen Pizzicatotupfer die Sinfonie verklingen ließen. Es wäre schon schön, wenn in Zukunft in Baden-Baden nur ein Publikum zusammenkäme, dem der Respekt vor der Kunst ebenso wichtig ist wie das gesellschaftliche Ereignis, das damit verbunden ist.

Die Festspiele sollten programmatisch noch mehr an Kontur gewinnen. Ein gelungener Ansatz dazu waren die Klaviermatineen, die beeindruckende Perspektiven eröffneten. Ganz ausgespart blieb die Musik des gesamten 20. Jahrhunderts. Ob der Widmungsträger Herbert von Karajan nicht doch eher Rückwärtsgewandtheit signalisiert? Günter Wand eignete sich, obwohl fast gleichaltrig wie Karajan, viel besser zum Patron einer gegenwartsorientierten Musikauffassung, die die Prinzipien der überkommenen Traditionen dennoch nicht aus den Augen verliert.


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