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Aus erster Hand
Von Christoph Wurzel
Es gibt Stücke, die man nicht mehr hören mag, weil man sie so oft hören muss. Die akustische Reizüberflutung durch Werbung, in Kaufhäusern oder in telefonischen Warteschleifen lässt sich oftmals unbeschadet nur überstehen, indem man sich durch Verweigerung entzieht. Carls Orffs Carmina Burana gehören zu der Art Musik, die einem überall entgegenplärrt und mit Ravles Bolero verhält es sich ähnlich.
Da das aber etwas wenig für´s Geld ist, wurde kurz vor dem Konzert das Programm noch erweitert um Teile aus Hector Berlioz` Romeo und Julia-Sinfonie. Diese "Dramatische Sinfonie" ist vollständig im Konzertsaal nur selten zu hören. Sie erfordert neben dem Orchester drei Solisten und einen Chor und dauert rund 1 1/2 Stunden.
Ravels Bolero, eigentlich ein Fandango, erfordert ein Höchstmaß an rhythmischer Disziplin, eine subtile Farbgebung in den Instrumenten und die Fähigkeit zu einem stetigen, fast unmerklichen Crescendo des ganzen Orchesterapparats. Allein darauf beruht die Wirkung dieser Musik. Und auf faszinierende Weise wurde sie hergestellt. Die Spannung steigerte sich bis zum Zerbersten, schließlich tanzte Gergiev mehr, als dass er dirigierte, und es war ein Wunder, dass es das Publikum auf den Sitzen hielt. Und niemand dürfte wohl bedauert haben, einem abgedroschen erscheinenden Stück wieder einmal begegnet zu sein und sich mit erstaunten Ohren dem Sog dieser Musik ausgeliefert zu haben.
Zu einem Triumph von Rhythmus und Klangmalerei wurden dann auch die Bilder einer Ausstellung, die Gergiev mit seinem Orchester vor dem geistigen Auge des Publikums aufs Lebendigste wiedererstehen ließ. Der skurrile Gnom, das geheimnisvolle alte Schloss, die aufgeregt spielenden Kinder in den Tuilerien, der plumpe Ochsenkarren, das kecke Kükenballett, die parodistische Begegnung der beiden alten Juden, der Trubel auf dem Markt von Limoges, die düsteren Katakomben, die unheimliche Todesahnung, dann der wilde Hexenritt der Baba Jaga und schließlich das majestätische Große Tor von Kiew: jedem der (verschollenen) Bilder verlieh das Mariinsky-Orchester einen eigentümlichen, ausgeprägten Charakter, was gleichsam mit den Ohren sehend machte.
Überflüssig zu sagen, dass das Publikum von diesem geschickt zusammengestellten Programm begeistert war und noch zwei Zugaben erzwang, einen kurzen Ballettsatz von Tschaikowsky und eine weitere Baba-Jaga-Version von Anatol Liadov, auch dies ein Glanzstück an Orchestervirtuosität. Valery Gergiev und sein Orchester des Mariinsky-Theaters boten diese Perlen aus dem russischen Repertoire in Baden-Baden aus erster Hand.
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